Lieber keine ­Gefangenen

Die USA, Deutschland und die Folter von thomas v. d. osten-sacken

Der ehemalige Kulturminister Michael Naumann läuft angesichts des Skandals um geheime CIA-Flüge in Europa in der Zeit einmal mehr zu Hochform auf. »Folterstaat Amerika« ist einer seiner Artikel betitelt, »Wenn der Freund quält« ein anderer. In einer kongenialen Weise gelingt es ihm dabei, besser noch als der Konkurrenz vom Spiegel, die es immerhin zu der Überschrift »Archipel CIA« gebracht hat, die ganze Bigotterie des nimmer endenden deutschen Moralisierens gegen die USA auf den Punkt zu bringen. Niemals zuvor, erklärt uns Naumann, habe sich »über den demokratischen Ruf der Vereinigten Staaten der berechtigte Vorwurf gelegt, unter Missachtung aller völkerrechtlichen Verpflichtungen zur mittelalterlichen Praxis der Folter zurückgekehrt zu sein«.

Das stimmt natürlich alles nicht, hört sich aber wirklich empört an. Der erste Trick des Antiamerikanismus besteht darin, so zu tun, als hätte man bis gestern geglaubt, in den USA herrschten paradiesische Zustände, und sei erst jetzt eines Besseren belehrt worden.

Folter ist so wenig »mittelalterlich«, wie die Vorwürfe gegen die CIA neu sind. Im Gegenteil, der amerikanische Geheimdienst steht seit Jahrzehnten unter dem Verdacht, bei Verhören zu foltern. Ob aus Chile, Nicaragua oder Vietnam, regelmäßig veröffentlichen US-amerikanische Medien entsprechende Berichte. So war es auch diesmal die Washington Post, die den Skandal aufdeckte. Neu also an der Affäre ist weder, dass sich die CIA, gedeckt von der amerikanischen Regierung, derartiger Praktiken bedient, noch dass die Bundesrepublik davon Kenntnis hat. Auch zu Zeiten des Kalten Krieges wusste man in Bonn, was amerikanische »Ausbilder« in Lateinamerika so trieben.

Neu ist nur, dass spätestens seit dem Herbst 2002 die Deutschen so taten, als führten sie eine »Achse des Friedens« an und kämpften im Namen der Weltgemeinschaft gegen die amerikanischen Pläne zur Weltherrschaft. Umso unangenehmer, dass die rot-grüne Bundesregierung gleichzeitig offenbar die Entführung eines deutschen Staatsbürgers durch amerikanische Geheimdienststellen duldete und dem Entführten Khaled al-Masri jenen Schutz verweigerte, den ein Staat jedem seiner Bürger zu gewähren hat. Oder war es ihr gar nicht so unrecht, dass, wie US-Außenministerin Condoleezza Rice kürzlich erklärte, die USA die Schmutzarbeit für die Europäer erledigten? Schließlich braucht man sich in Deutschland nicht mit heiklen Problemen zu beschäftigen, etwa mit der Frage, wie mit gefangenen Kämpfern von al-Qaida oder anderen Gotteskriegern völkerrechtskonform zu verfahren sei.

Eine Frage, die keineswegs akademischer Natur ist; schließlich leeren deutsche Soldaten in Afghanistan nicht nur Mülleimer oder helfen alten Leuten über die Straße. Das Kommando Spezialkräfte der Bundeswehr etwa, von dessen Kampfeinsatz nichts an die Öffentlichkeit dringt, sollte dem Spiegel zufolge einer bis zu diesem Jahr gültigen internen Direktive zufolge »mutmaßliche Terroristen nicht verhaften, um sie nicht an die Amerikaner ausliefern zu müssen«.

Eine Alternative, die weder überzeugend noch glaubhaft klingt. Denn träfe sie zu, so ließe man al-Qaida-Mitglieder, um ihnen Guantánamo zu ersparen, entweder laufen oder »entledigte« sich ihrer auf andere Weise. Von einer Initiative seitens der Bundesregierung, sie stattdessen künftig als Kriegsgefangene zu behandeln, ist nichts bekannt, andere Vorschläge fehlen ebenso. Sie störten möglicherweise auch nur das Bild des moralisch den USA haushoch überlegenen Deutschland.