Vorwärts, rückwärts, seitwärts, ran

Dem SPD-Magazin Vorwärts wird ein Relaunch verpasst. Aber reicht das? von jörg sundermeier

Was müssen die Mitglieder der SPD wissen? Etwa dies: In Berlin findet eine interessante Ausstellung statt. Oder »warum Franz Müntefering Zupfgeigenhansel mag«. Jürgen Klinsmann, Wladimir Putin, Franz Mün­te­fe­ring, Matthias Platzeck und Frank-Walter Steinmeier sind ihrem Freund, Wegbegleiter oder Helfershelfer Gerhard Schröder dankbar. Daher schreiben sie in einer Sonderausgabe des Vorwärts mit dem Titel danke, gerd! eine Menge gefälliges Zeug. Und sie schreiben Sätze (»Wir haben Veränderungen angestoßen, die helfen«), die die Leserinnen und Leser augenblicklich in den Tiefschlaf versetzen.

Der Vorwärts ist die Mitgliederzeitung der SPD, die 1989 entstand, indem das bisherige Wochenblatt Vorwärts, das einstige »Zentralorgan der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands«, mit dem Sozialdemokrat Magazin verschmolzen wurde und fortan monatlich erschien. Damit endete die lange Tradition der Zeitung, die einst, vor dem Nationalsozialismus, zu den führenden politischen Tageszeitungen in Deutschland gehörte und nach dem Krieg, nun als Wochenblatt, immerhin noch hie und da auffiel. Seit jedoch unter diesem Titel das Vereinsblatt erscheint, das der alte Vorwärts so nie war, ist das Blatt zu einem intellektuellen Nichts verkommen, das locker mit der Bäckerblume und dem Apothekermagazin konkurrieren könnte.

Der Vorwärts wurde 1876 von Wilhelm Liebknecht und Wilhelm Hasenclever gegründet. Heut­zutage hat das Blatt eine Auflage von 550 000 Exemplaren, die an die SPD-Mitglieder verschickt werden.

Nach dem großen Relaunch, den die SPD gerade hingelegt hat – neues Personal, neue Partner, neue Programme –, soll auch der Vorwärts aufpoliert werden. Für den publizistischen Neustart sorgen soll der ehemalige Regierungssprecher Uwe-Karsten Heye, der mit seinen 65 Jahren neuer Chefredakteur des Vorwärts wird und damit zu seinen Ursprüngen zurückkehrt: Heye ist gelernter Journalist. Unter seiner Regie soll das Monatsblatt, das seit einiger Zeit wieder auf Zeitungspapier gedruckt wird, einen Layoutwechsel erfahren. Heye plant, aus dem parteiinternen Mitteilungsblatt ein offenes Diskussionsforum zu machen, das auch externen Autoren und kontroversen Meinungen eine Plattform bietet, meldete der Spiegel. Eine Meldung von Spiegel online, wonach der Vorwärts demnächst auch wieder am Kiosk verkauft werden soll, wurde unterdessen dementiert.

Es wäre auch verwunderlich gewesen, versucht doch die SPD, die sich neben der Weimarer und frühen BRD-KPD wohl die meisten Zeitungen und Zeitungsbeteiligungen hielt, seit den sechziger Jahren konsequent, sich von ihren Zeitungen zu lösen. Zwar hält sie weiterhin Anteile an der Frankenpost, der Neuen Westfälischen, der Hannoverschen Allgemeinen, den Cuxhavener Nachrichten, dem Nordbayerischen Kurier, der Sächsischen Zeitung, der Leipziger Volkszeitung, den Dresdner Neuen Nachrichten und dem Göttinger Tageblatt und ist seit Mai 2004 zudem an der Frankfurter Rundschau beteiligt, doch Anzeichen für eine direkte politische Einflussnahme bei diesen Zeitungen sucht man vergebens. Im Gegenteil, bei der FR, die traditionell als SPD-nah galt, versucht man gerade den für die Sozialdemokraten nicht selten hilfreichen überregionalen Teil der Zeitung zu verkleinern, um das Blatt als Lokalblatt besser abstoßen zu können. Die Essener WAZ-Gruppe, die ebenfalls als ein der SPD gewogenes Unternehmen gilt, wird zwar mit abgelegten Politikern wie Bodo Hombach versorgt, doch auch hier bemüht die SPD sich nicht groß darum, sich zu profilieren. Im Gegenteil, Gerhard Schröder versuchte stattdessen jahrelang, sich bei Bild einzuschmeicheln, und er wird wohl bis heute darüber erbost sein, dass der Helmut-Kohl-Liebling Kai Diekmann die Anbiederung zurückwies.

Überhaupt tun sich die größeren Parteien recht schwer mit ihren Zeitungen. Die CSU ist mit dem Bayernkurier nicht glücklich geworden, und die Politiker der Linkspartei können von montags bis samstags im Neuen Deutschland verfolgen, für wie senil und gegenwartsvergessen die dortige Redaktion ihre Klientel, also die Wählerinnen und Wähler der Linkspartei, hält.

Warum aber haben die größeren Parteien in Deutschland so eine Scheu vor der Meinungsmache? Die Angst vor der Beeinflussung der Leserinnen und Leser jedenfalls kann es nicht sein, den widerlichen Kampagnenjournalismus, auf den sich vor allem FAZ, Spiegel und Bild seit ein paar Jahren verlassen, könnte eine Parteizeitung nicht mehr unterbieten. Bei einer parteieigenen Zeitung hingegen wüsste das Lesepublikum immer gleich, wer die Kampagne bezahlt hat und wessen Ideen hier vorgetragen werden. Parteieigene Zeitungen bieten zudem die Möglichkeit, über Probleme in und mit der Partei zu diskutieren. 1971, angesichts der Regierung Brandt, sagte Gerhard E. Gründ­ler, der damalige Chefredakteur des Vorwärts: »Hofberichte schaden dem Ansehen des Blattes, ohne das Ansehen der Partei zu mehren.« Dementsprechend wurde zumindest ein bisschen an der Parteilinie kritisiert.

Genau das aber ist das Problem – die heutigen Parteien wünschen sich keine Diskussion, spätestens, seit sie an ihr »Image« glauben, vermeiden sie es möglichst, innerparteiliche Kritik an die Öffentlichkeit kommen zu lassen, auch sollen die einzelnen Parteimitglieder nicht länger an einer Debatte über Thesenpapiere oder Personalien beteiligt werden.

Man will keine Debatte, wohl aber ist es der SPD sehr darum zu tun, die Hegemonie in einer »Debattenkultur« anzustreben. Mit Scharping und Lafontaine, spätestens aber mit Schröder hat die SPD nämlich den guten Kontakt zu den so genannten Intellektuellen verloren. Diese »Intellektuellen«, die geschäftstüchtige Kleinkünstler sind und Grass, Rühmkorff, Staeck, Fitz oder Demirkan heißen, lassen sich zwar immer wieder zu einem Wahlaufruf hinreißen, doch selbst ihr Widerwille ist gewachsen. Daher muss man sie, so wird in der SPD schon seit längerem diskutiert, wieder an die Partei binden, Intellektuelle aber kauft man sich bekanntlich am günstigsten, indem man ihnen Aufmerksamkeit verschafft. Was gäbe es da Besseres, als ihnen mit einer Zeitung, die 115 Jahre lang einen guten Ruf hatte und 15 Jahre einfach gar keinen, ein Forum zu verschaffen?

Insofern wird der Vorwärts, wie er Heye vorschwebt, der als Regierungssprecher gelernt haben sollte, wie man Aufmerksamkeit vermeidet und erzeugt, eine Art monatlich erscheinendes Kursbuch werden. Dort wird viel über die frechen USA und die schlimmen Effekte der »Heuschreckenplagen« zu lesen sein, man wird den Zustand des Ruhrgebiets beweinen, vor deutlichen Worten erschrecken, und Grass wird mit seiner Nobelpreisurkunde wedelnd irgendwas anmahnen.