Regeln per SMS

Unihockey ist schneller, einfacher und unbekannter als alle anderen Hockeysportarten. von mathias liebing

Aus den Hallenlautsprechern dröhnen die Beastie Boys. »Sabotage« lautet der Titel, der eine Hand voll gut gelaunter junger Männer beim Abbau der Bande begleitet. »BA Tempelhof« steht auf den Rücken ihrer schwarzen Trikots, die sie als Bundesliga-Spieler kennzeichnen, nicht aber vom Wegräumen der 120 Bandenmeter befreit. Randsportrealität.

In der Mitte der Spielfläche steht Adrian Mühle, dessen Blick über die spärlich gefüllte Tribüne der Berliner Lilly-Hennoch-Sporthalle wandert. Der 24jährige sieht fix und fertig aus. 60 Minuten hat er sich auf dem Feld aufgerieben. Lediglich das Ergebnis stimmte: 8:3 hieß es am Ende des vorangegangenen Unihockey-Bundesligaspiels zwischen der SGBA Tempelhof Berlin und dem ETV Hamburg. Es war ein schnöder Arbeitssieg. Durch und durch unterdurchschnittlich: Wenig packende Szenen vor den Toren, kaum Tempo und im Ergebnis drei Treffer unter dem Liga-Schnitt. Dabei hatten sich die Berliner so viel vorgenommen: »Fritz«, der Jugendradiosender des RBB, übertrug eine Radioshow an diesem Sonntagnachmittag extra wegen der Unihockey-Partie live aus der Halle. Ein Medieninteresse, wie es dieser Sport in Deutschland bislang nicht im Ansatz erlebt hat. Dieser Nachmittag im November sollte also nicht weniger als der große Befreiungsschlag einer Sportart werden, die in Deutschland erst in einigen Landstrichen an Relevanz zu gewinnen beginnt. In Berlin wird sie jedoch bislang kaum enthusiastischer wahrgenommen als Formationstauchen.

Dabei gilt Unihockey international längst als Trendsport der ersten Kategorie. In Schweden jagen bereits 500 000 Menschen täglich dem 23 Gramm leichten Plastiklochball hinterher – weit mehr, als zusammengenommen gegen Fußbälle treten, in Handballtore werfen und auf Eishockey-Pucks einschlagen. Kein Wunder, in dem skandinavischen Land wurde das Spiel, das sich anschaulich als Eishockey in der Sporthalle beschreiben lässt, vor mehr als 35 Jahren erfunden. Seither hat sich der Sport, welcher international als »Floorball« bezeichnet wird, auf fünf Kontinenten verbreitet. Von einer viertel Million lizenzierter Unihockey-Spieler weltweit spricht die Internationale Floorball Federation (IFF), die nach eigenem Bekunden Unihockey bis 2020 olympisch machen will.

Mitreißend, zuschauerwirksam und leicht zugänglich ist das Spiel allemal: Unihockey wird von jeweils sechs Akteuren pro Team gespielt, wobei der Torwart ohne Stock auskommen muss und dafür in einen Schutzanzug gekleidet ist. Das Equipment der Spieler kommt ebenso wie das Regelwerk sehr einfach daher. Die gewöhnlichen Stöcke bestehen aus Kunststoff, die besseren Modelle aus luftgepresstem Carbon. Die Grundregeln lassen sich in einer knappen SMS erklären: Verboten ist das Stockschlagen, das Stoßen in jeglicher Form, das Schwingen des Stocks über Hüfthöhe, der Fußpass und fertig. Anders als beim Hallen-, aber ähnlich wie beim Eishockey wird auch hinter den Toren gespielt.

Der Name des Spiels leitet sich nicht etwa von Universität ab, sondern von Universal-Hockey. Hier soll, so heißt es, das Beste aus allen Hockey­sportarten zusammenkommen. Die Attraktivität des Spiels liegt ganz klar in der Dynamik. Es ist schneller und einfacher als das verwandte Hallenhockey. Experten wie der Sportwissenschaftler Rolf Blanke von der Universität Halle-Wittenberg erklären, dass Unihockey zu den schnellsten Mannschaftssportspielen der Welt zählt: »Die Ursachen liegen in der beträchtlichen Folge der Umkehrsituationen, der hohen Abspielhäufigkeit und dem leichten Material begründet.«

Zurück in die Schöneberger Lilly-Hennoch-Sport­halle. Dort hat Adrian Mühle, inzwischen im Kabinengang angekommen, seinen Mitspieler Simon Keller getroffen. Der Unihockey-Bundesligaspieler hat soeben sein erstes Radio-Interview gegeben. Was er erzählt hat, muss dem Radiomoderator und den Hörern an den Empfängern wie eine Geschichte aus einer anderen Welt geklungen haben. Dabei gilt Unihockey in der Schweiz, wo der 28jährige Keller zuletzt sogar in der Nationalliga A, der höchsten Spielklasse einer der weltbesten Nationen gespielt hat, hinter Fußball und Volleyball bereits als drittgrößte Mannschaftssportart. Etwa 30 Halbprofis aus den Hochburgen Schweden, Finnland und der Tschechischen Repu­blik verdienen dort so viel wie hierzulande schlecht bezahlte Regionalliga-Kicker. Hinzu kommen weitere 20 Schweizer, die bei der Armee den Status von Spitzensportlern genießen und entsprechend gefördert werden, was im Ergebnis Uni­hockey auf einem Niveau ergibt, das in Deutschland frühestens in 15 Jahren erreicht werden kann.

»Wir sind im internationalen Vergleich ein absolutes Entwicklungsland«, erklärt Adrian Mühle und rechnet vor, dass es in Deutschland gegenwärtig gerade einmal 3 400 Spieler gebe. In Berlin seien es knapp 200, so der Team-Koordinator der Herren- und Damen-Bundesligateams der Unihockey-Abteilung der Sportgruppe des Bezirksamtes Tempelhof, die den jungen Sport seit Anfang der neunziger Jahre in der Hauptstadt beherbergt. »Aber die Sache entwickelt sich«, sagt Mühle und verweist darauf, dass es in Berlin seit neuestem einen eigenen Landesverband und immerhin schon fünf Vereine gebe. Zudem werde nun auch in manchen Schulen Unihockey gespielt, was als beste Methode zur Etablierung des skandinavischen Volkssports im trägen Deutschland gilt. »In Sachsen und Sachsen-Anhalt, wo Unihockey seit Mitte der neunziger Jahre im Lehrplan steht, hat sich der Sport bislang am besten entwickelt. Dort gibt es bereits eine große Vereinsdichte, richtig viel Nachwuchs und die professionellsten Strukturen.«

Von Professionalität ist Unihockey in Berlin noch weit entfernt: Erst seit ein paar Wochen gibt es bei der SGBA Tempelhof mit Christoph Kowalczyk jemanden, der sich um die Spon­soring- und Öffentlichkeitsarbeit des Vereins kümmert. Ehrenamtlich, versteht sich. Bis zur letzten Saison liefen die Berliner noch im Obergeschoss einer zweistöckigen Sporthalle auf, die mit einem Balkon über der Spielfläche ausgestattet war und nicht mehr als 20 Zuschauern Platz bot. Seit Beginn der aktuellen Bundesligasaison spielen die Berliner nun in der Lilly-Hennoch-Sporthalle – wegen der an Antoni Gaudí erinnernden Baukunst eine der schönsten Sportstätten der Stadt, und dazu eine, die eine richtige Tribüne hat. Knapp 100 Zuschauer sind es in dieser Saison im Schnitt, die erfolgreicher läuft, als es alle Beteiligten zu hoffen wagten. Die Berliner können mit einem Sieg beim nächsten Spiel, das am 7. Januar gegen Chemnitz ansteht, bereits zum zweiten Mal in dieser Saison die Tabellenspitze übernehmen.

Kaum noch zu nehmen scheint den Berlinern nach elf von 18 Bundesliga-Partien die Qualifikation für die Play-off-Runde der vier besten Teams im Frühjahr. Einen erheblichen Anteil haben daran die sechs zu Saisonbeginn aus der Schweiz, Schweden und Finnland geholten Legionäre, die in Berlin nebenher entweder der Lohnarbeit nachgehen oder Praktika absolvieren. »Die Jungs helfen uns immens weiter. Und dies nicht nur, was die Ergebnisse angeht, sondern auch im Trainingsalltag«, sagt Mühle und fügt hinzu, dass von der höheren Intensität insbesondere die jungen Spieler profitieren. Er selbst zählt in der Bundesliga mit 24 Jahren schon zu den Älteren.

In der Halle tanzen inzwischen spärlich bekleidete Mädchen auf Rollschuhen, »Rolltanz« heißt dieser Sport. Und statt den Beastie Boys läuft nun glatt gebügelte Chartsware. 1:0 für Unihockey. Freilich wieder kein großer Sieg im Kampf um die öffentliche Wahrnehmung in der Millionenstadt – aber immerhin einer.