Arbeitsagentur Fußballverein

»Suchen Fußballer, bieten Arbeitsplatz.« Mit Annoncen fahndet ein bayrischer Kreisligist in Ostdeutschland nach arbeitslosen Kickern. von mathias liebing

Ein flach und scharf in den Rücken gespielter Ball genügt, um die gegnerische Abwehr auszuhebeln. Der Empfänger des Zuspiels, ein hoch aufgeschossener junger Mann, macht einen Schritt auf das heranschnellende Spielgerät zu, um einen Schuss mit dem rechten Fuß anzutäuschen. Zur Überraschung seines Gegenspielers lässt er den Ball nun aber vorbeirauschen, um mit seinem starken Linken abzuziehen. Nur den Bruchteil einer Sekunde später schlägt der Vollspannschuss im linken unteren Toreck ein. Beim Abdrehen ballt er kaum sichtbar für seine Teamkollegen die Faust.

Seit mehr als einer Stunde läuft an diesem kalten Winterabend die Übungseinheit auf dem lichtdurchfluteten Trainingsplatz des TV Hemau 04 nun schon, und eben eine solche Aktion hat dem jungen Mann noch gefehlt. Schließlich geht es für ihn, der beim Abschlussspielchen soeben das Team mit den roten Leibchen mit 2:1 in Führung schoss, um mehr als Sieg oder Niederlage, Ballannahme oder Torschuss, sondern um seine persönliche Zukunft. Sebastian Bollmann kämpft in diesem Probetraining darum, gut genug für den oberpfälzischen Kreisliga-Klub zu sein und deshalb einen Job für sich und seine Freundin zu finden.

Mit dieser existenziellen Hoffnung werben die Fußballer aus der beschaulichen Speckgürtel-Gemeinde Regensburgs in den Anzeigenteilen ostdeut­scher Regionalzeitungen. »Bereit, nach Bayern um­zuziehen? Bayrischer Sportverein sucht zur Verstärkung Fußballspieler. Bevorzugt Abwehrspieler. Niveau ab Landesklasse. Geboten wird Umzugshilfe, Arbeits- und Wohnungsvermittlung.« So oder ähnlich heißt es in den Annoncen, die seit 2002 regelmäßig zwischen Halle, Dresden und Erfurt erscheinen.

Nicht ohne Erfolg: Etwa 25 vorgeblich talentierte Ostdeutsche absolvierten seither beim TV Hemau ein Probetraining; etwa die vierfache Anzahl von Interessenten meldete sich unter der angegebenen Telefonnummer. »Aber bei den meisten wird schon am Telefon klar, dass sie nichts für uns sind«, sagt Herbert Pfeiffer. Der frühere Mittelfeldspieler ist für die Anzeigen und die Vorauswahl der Kicker zuständig und hat schon die kuriosesten Anfragen erlebt. In der Regel dann, wenn die Väter der potenziellen Starspieler anrufen und im Stil von mäßig seriösen Spielervermittlern ihre Söhne verkaufen wollen. Pfeiffer: »Einer kam hier an und hat gedacht, er bekommt so etwas wie einen Profivertrag. Dem haben wir sofort das Fahr­geld gezahlt und ihn wieder heim geschickt.« Denn Geld, so macht der Mannschaftsverantwortliche des Kreisligisten klar, gibt es für das Fußballspielen beim TV Hemau nicht.

Sebastian Bollmann, dem Pfeiffer ohne zu zögern das Probetraining anbot, weiß genau, worum es bei dem offerierten Deal geht: »Wenn der Trainer mich für brauchbar erachtet, kümmern sie sich um Arbeit. Auch für meine Freundin.« Ein verheißungs­volles Angebot für den arbeitslosen Akademiker aus dem sächsischen Vogtland, der im Sommer sein Magisterstudium der Sport­wissenschaft und Germanistik erfolgreich beendet hat und seither erfolglos auf Jobsuche ist. Über 30 Bewerbungen hat er bereits verschickt und nur selten eine Antwort bekommen. Zwischenzeitlich jobbte er sogar in einem Steinbruch und seit Beginn des Weihnachtsgeschäfts in der Kneipe des Nach­bardorfs.

Zum Retter in der Perspektivnot könnte Robert Padberg werden. Der gepflegte Mann mit dem markanten Blick arbeitet als Verkäufer für einen deutschen Automobil­hersteller. Bei den Fußballern des TV Hemau ist er wegen seiner guten, nicht selten freundschaftlichen Kontakte zu den Gewerbetreibenden in der Oberpfalz zur zentralen Figur des Modells geworden. Meist, so verrät Pfeiffer, genüge ein Anruf, um schon am nächsten Tag ein Vorstellungsgespräch für einen wechselwilligen Spieler zu organisieren.

So einfach liegt der Fall bei Bollmann nicht. Im Bereich der Öffentlichkeitsarbeit oder der Sportverwaltung, vielleicht auch in einer Reha-Klinik möchte er Arbeit finden. Seine Freundin, die ebenfalls im Sommer ihren Abschluss in Geschichte und germanistischer Literaturwissenschaft gemacht hat, sucht in der PR-Branche. »Die beiden sind unsere bislang größte Herausforderung«, sagt Padberg und wirkt dabei trotzdem optimistisch. Wobei er sofort betont, dass gelernte oder werdende Handwerker leichter zu vermitteln sind.

Mit der Ausnahme eines zu Saisonbeginn aus Erfurt gekommenen Groß- und Einzelhandelskaufmanns haben seit 2002 bislang zwölf Spieler des TV Hemau auf diese Weise einen Job bei ansässigen mittelständischen Handwerksbetrieben gefunden. Junge ostdeutsche Arbeitslose wie Hei­ko Dortschack. Der 25jährige hatte in Zittau eine Lehre als Maschinenführer in der Textilindustrie gemacht; eine Ausbildung für einen Beruf, für den es in Deutschland kaum noch Bedarf gibt, und schon gar nicht im östlichen Zipfel Sachsens. In Hemau kam der Abwehrspieler als Bauhelfer unter, bis er vor wenigen Wochen zu einer Malerfirma im Ort wechselte. Nebenbei hat der frühere Nachwuchskicker des einst ruhmreichen VfB Zittau beim TV Hemau zwei Aufstiege miterlebt: Die »Ossis«, wie das Team in der Oberpfalz gerade bei Auswärtsspielen gern beschimpft wird, sind von der zehnten bis in die achte Liga geklettert. Derartig erfolgreich hat das 5 000-Seelen-Städtchen Hemau nur nach dem Krieg und für eine Saison Mitte der neunziger Jahre gespielt.

Derzeit stehen neun auswärtige Spieler im Aufgebot des Kreisligisten, der in den nächsten Jahren bis in die Bezirksliga aufsteigen will. »Mehr geht nicht«, sagt Pfeiffer, »da spätestens in der Landesliga wieder Geld gezahlt werden muss.« Und gerade damit haben die Hemauer schlechte Erfahrungen gemacht: Ende der neunziger Jahre lag die Fußballabteilung am Boden. Hilfe bot ein Spielervermittler, der unter anderem mit Marcel Kirchhoff einen Jugendnationalspieler vom großen FC Bayern München nach Hemau lotste. »We­gen des Geldes, was für die dazugeholten Spieler gezahlt wurde, gingen innerhalb der Mannschaft die Scherereien los«, erinnert sich Pfeiffer. Am heimischen Küchentisch sei ihm daraufhin die Idee gekommen, das Modell der Spielervermittlung zu kopieren. Einziger Unterschied: Statt ein monatliches Einkommen zu bieten, vermitteln die Hemauer den arbeitssuchenden Talenten einen Job.

Bollmann, der sächsische Mittelstürmer, hat bei seinem Probetraining alle zu nehmenden Hür­den übersprungen. Sympathisch sei der 24jährige, meint Pfeiffer, und sein möglicher neuer Trainer Stefan Wagner sagt: »Er ist ein intelligenter Bursche mit guter Technik, dazu ist er ein Linksfuß und hat den Blick für seine Mitspieler. Damit passt er ideal in mein Konzept.« Nun ist es an Padberg, der nach dem Training in der Ecke des Sportheims bereits ein gut gelauntes Telefonat führte. »Drei Tage hast du Zeit, und dann will ich Positives hören«, sagte er, legte auf und grinste.