Auf großer Mikrobenjagd

Der Medizinhistoriker Christoph Gradmann hat eine kritische Biografie des Bakteriologen und Nobelpreisträgers Robert Koch verfasst. von oliver walkenhorst

Was haben Werbeversprechen von Haushaltsreinigern, die Heavy-Metal-Band »Anthrax« und die Panik um die Vogelgrippe gemeinsam? Auf den ersten Blick nicht viel. Bei näherem Hinsehen zeigt sich aber, dass sie alle auf einer der wichtigsten medizinischen Gewissheiten der Moderne basieren und diese ausnutzen: der Existenz von allgegenwärtigen kleinsten Lebewesen wie Bakterien oder Viren, die für den Menschen gefährlich sind, da sie Krank­heiten verursachen. Die zu dieser Gewissheit führende wissenschaftliche Revolution vollzog sich gegen Ende des 19. Jahrhunderts und ist maßgeblich mit dem Mediziner und Bakteriologen Robert Koch verknüpft, der dafür 1905 den Nobelpreis er­hielt.

Das Jubiläum dürfte Christoph Gradmann, Medizinhistoriker an der Uni Heidelberg, zum Anlass genommen haben, seine Habilitation zur Veröffent­lichung zu überarbeiten. Herausgekommen ist mit »Krankheit im Labor. Robert Koch und die medizinische Bakteriologie« keine der unzähligen Ha­giografien über den Helden im Kampf mit den Infektionskrankheiten, der sich als bescheidener Out­sider mit primitiven Mitteln und genialen Ideen gegen die bereits etablierten Medizin-Stars wie Rudolf Virchow und Louis Pasteur durchsetzen musste. Gradmann versucht vielmehr, einen kri­tischen Blick auf das Forschungslabor von Robert Koch und den wissenschaftlichen und gesellschaftlichen Kontext zu werfen. Methodisch ist seine solide und detailreiche Studie dabei vom prac­ti­cal turn der neueren Wissenschaftsgeschichte getragen, versetzt mit einem gehörigen Schuss erkenntnistheoretischer und wissenschaftssoziologischer Anleihen bei Georges Canguilhem und Ludwik Fleck. Dass Wissenschaft in dieser Sichtweise nicht als Produzentin von harten Fakten im stillen Kämmerlein erscheint, versteht sich von selbst.

Zu Beginn seiner wissenschaftlichen Karriere gelangen Robert Koch (1843 bis 1910) in kurzer Fol­ge drei große Würfe auf seiner »Mikrobenjagd«: Mit Hilfe innovativer Methoden konnte er erstmals nachweisen, dass Milzbrand, Tuberku­lose und Cholera durch bakterielle Erreger ver­ursacht werden. Insbesondere der Nachweis des Tuberkelbazillus als Erreger bescherte ihm 1882 schlagartig Weltruhm – die als »weißer Tod« bekannte Tuberkulose war die wichtigste Infektions­krankheit der damaligen Zeit – und machte ihn zum Gründervater der medizinischen Bakterio­logie.

Damit etablierte er zugleich ein völlig neues Paradigma der Krankheitsdefinition: Hatte man Infektionskrankheiten bisher allein anhand der klinischen Symptome diagnostiziert, so wurde jetzt der Nachweis der Erreger im Körper das ausschlaggebende Kriterium. Dieser so genannte bakteriologische Reduktionismus setzt die bloße Anwesenheit von Bakterien mit Krankheit gleich und sieht den Körper als passives Kulturmedium permanent durch die Invasion von aktiv migrierenden Bakterien bedroht. Dass hierbei auch Vorstellungen und Metaphern zwischen der Wissenschaft und dem öffentlichen Raum kräftig hin und her migrieren, kommt später noch zur Sprache.

Nach der Phase der intensiven »Mikrobenjagd« ließ der therapeutische Nutzen der neu gewonnenen Erkenntnisse zunächst auf sich warten; zwar kannte man den »Feind« jetzt, aber man wusste ihn nicht zu »bekämpfen«. Kochs eigene jahrelange Be­mühungen um ein Mittel gegen die Tuberkulose mün­deten 1890 schließlich im so genannten Tuberkulinschwindel. Das von ihm entwickelte Tuberkulin stellte sich nämlich nach anfänglicher Euphorie bald als therapeutischer Flop heraus. Dazu kam seine Geheimniskrämerei um die Zusammensetzung des Tuberkulins, die er zunächst verschwieg, da er den Wirkmechanismus offenbar selbst nicht durchschaute. Heftige Kritik erntete er, wie Gradmann berichtet, nicht zuletzt wegen der in diesem Zusammenhang durchgeführten Menschenversuche. Ihr oft zweifelhafter therapeutischer Nutzen und die fehlende Einwilligung der Patienten sensibilisierten die Öffentlichkeit allerdings für die bald einsetzende Debatte über Patientenrechte.

Im letzten Jahrzehnt seines Forscherlebens stürz­te sich Koch dann begeistert auf die noch junge Disziplin der Tropenmedizin. Ihre Entstehung ist untrennbar mit der Hochzeit des Kolonialismus um 1900 verbunden, ihre Aufgabe lag im Rahmen der »kolonialen Menschenökonomie« angesichts grassierender Seuchen darin, das »lebendige Stamm­kapital« der Kolonien nicht nur in voller Höhe zu erhalten, sondern rentabel zu verwerten. Außerdem sollten mit ihrer Hilfe die europäischen Kolonialmächte als Zivilisationsbringer legitimiert werden. Koch kam das alles Gradmann zufolge sehr gelegen, denn zum einen zog es ihn schon immer in ferne exotische Länder, zum anderen meinte er, dass »das Gold der Wissenschaft«, welches er als Pionier fernab von konkurrierenden Kollegen auszugraben hoffte, in den Tropen noch »auf der Straße« liege.

Im Auftrag der deutschen und der britischen Regierung unternahm er zahlreiche Expeditionen in die Kolonien und war dort gegen Malaria, Schlafkrankheit, Rinderpest und Küstenfieber im Einsatz. Insbesondere seine Schlafkrankheitsexpedition, die ihn 1906 ins britische Ostafrika führte, erscheint allerdings – teilweise schon aus damaliger Sicht – äußerst problematisch. Koch probierte dort an Tausenden von Patienten mittels schmerzhafter Injektionen das Präparat Atoxyl aus, dessen hoher Arsengehalt bei vielen Behandelten bald starke Nebenwirkungen bis hin zur Erblindung zur Folge hatte. Da sich das Atoxyl zudem als ziemlich wirkungslos erwies, verweigerten immer mehr Patienten die Behandlung und verließen das Krankenlager. Trotz allem hielt Koch aller­dings weiterhin starrsinnig am Atoxyl fest und plante im Schluss­bericht der Expedition weitere Reihenuntersuchungen und die Errichtung von Schlaf­krank­heits­be­kämp­fungs­lagern, so genannten Konzentrationslagern, die sich allerdings auf deutschem Kolo­nial­gebiet befinden sollten, wo die Patienten dann auch gegen ihren Willen festgehalten werden durften.

Diese »Konzentrationslager« wurden auf Kochs Empfehlung wenig später in Deutsch-Ostafrika und Togo auch tatsächlich errichtet und boten durch Zwangs­internierung samt brutalen Behandlungsmethoden schließlich die gewünschten exzellenten Forschungsbedingungen. Hier endet Gradmanns Schilderung, es sollte jedoch erwähnt werden, dass es von hier aus offensichtliche Verbindungs­linien zu den Humanexperimenten in den Konzen­trationslagern des NS gibt, auch innerhalb der Tropenmedizin, wie beispielsweise die Malaria­versuche des ehemaligen Kolonialarztes Claus Schilling im KZ Dachau zeigen.

Am Ende des Buches wirft Gradmann noch einen leider kurzen, aber sehr interessanten Blick auf das Verhältnis von wissenschaftlicher Bakteriologie und dem populären Topos der Bedrohung durch unsichtbare, allgegenwärtige Gegner. Insbesondere der politische Gebrauch dieses Topos war eine der großen Erzählungen des 20. Jahrhunderts und dabei meist durchtränkt von einer bakteriologischen Metaphorik, die oft auf der Gleichsetzung von individuellem Körper und Volkskörper beruht. So wurden Slawen, Polen und Russen als wandernde Bakterienträger angesehen, die aus dem Osten kommend »Ungeziefer« nach Deutsch­land einschleppten, und diesem rassistischen Phantasma folgend zunehmend mit ihrer Fracht gleichgesetzt. Gradmann nennt als weitere Beispiele die »jüdischen Parasiten« samt ihrer Vernichtung in den »Desinfektionsduschen« von Auschwitz – wo auf metaphorischer Ebene wohl eigentlich der Volkskörper desinfiziert werden sollte – und den Bioterror durch Anthrax-Briefe nach dem 11. September, in deren Folge auch das Szenario von mit Bakterien vollgepumpten Selbstmordattentätern die Runde machte.

Auffällig ist zudem, so Gradmann, dass die populären Vorstellungen über Infektionskrankheiten bis heute – trotz aller wissenschaftlichen Relativierungen – hartnäckig dem Antagonismus von Mensch und Mikrobe und den primitiven Kampfmetaphern verhaftet bleiben. Seine eigenen Forschungen zu Robert Koch legen nahe, dass dessen »bakteriolo­gischer Reduktionismus« samt kriegerischer Rhetorik nicht als Ergebnis seiner wissenschaftlichen Arbeit angesehen werden kann. Für diese Vorstellungen hatte Koch nämlich keineswegs überwältigende Belege, im Gegenteil hätten die instabilen wissenschaftlichen Bedeutungssysteme ihn eher an der Einfachheit dieser Konzepte zweifeln lassen müssen. Deshalb müssten populäre Vorstellungen umgekehrt als ideologische Vor­aussetzung der Forschungsarbeit Kochs aufgefasst werden. Das Neue an der medizinischen Bakteriologie sei also, neben ihrem Bruch mit älteren Wissenssystemen, die wissenschaftliche Modernisierung und Verdinglichung traditioneller Seuchen- und Bedrohungsängste: Wo in früheren Zeiten allgegenwärtige »kleine Teu­felchen« am Werk waren, wimmelte es fortan von Bakterien.

Christoph Gradmann: Krankheit im Labor. Robert Koch und die medizinische Bakteriologie. Wallstein Verlag, Berlin 2005, 376 S., 38 Euro