Enttabuisieren!

Wenn Kombilöhne für sozialversicherungspflichtige und tarifgebundene Arbeitsplätze sorgen, kann man über die Vorschläge reden. von helmut holter

Als Odysseus weiland dem Sirenengesang widerstanden hatte, warteten Charybdis, ein Ungeheuer, das dreimal täglich die Meeresflut einschlürfte, und Scylla, ein Ungeheuer mit weiblichem Oberkörper und wilden Hunden als untere Hälfte, auf ihn. Es gelang dem Seefahrer zwar, zwischen Scylla und Charybdis hindurchzusegeln, er verlor aber sechs Gefährten. Auch die gegenwärtige Kombilohn-Diskussion zu einem schiffbaren Weg aus der Massenarbeitslosigkeit beschwört zwei Ungeheuer. Zum einen den Sturz der Löhne und Gehälter ins Bodenlose – Armut trotz Job – wie auch »Mitnahme- und Drehtüreffekte«, da Unternehmer gewissermaßen teure Leute feuern und billige dafür einstellen. Zum anderen die schier unbezahlbare Dauersubvention. Beide Gefahren sind real, aber zu bannen.

Ich bin bereit, über Lohnkostenzuschüsse zu reden, weil ich will, dass in Deutschland endlich unverkrampft über einen öffentlich geförderten Beschäftigungssektor debattiert wird. Ich habe mich dieser Tage über Heinrich Alt, Vizechef der Bundesagentur für Arbeit, und seine Überlegungen zu öffentlich geförderter Beschäftigung gefreut. Wenn er sie auch auf Arbeitslose beschränkt, die als erwerbsfähig eingestuft sind, aber nur wenige Stunden pro Tag arbeiten können und praktisch nicht vermittelbar sind. Auch sie brauchen eine Chance, mit staatlicher Förderung gemeinnützige Aufgaben zu erfüllen, die für Unternehmen nicht gewinnbringend genug sind. Wichtig ist, dass die Arbeitsplätze sozialversicherungspflichtig sind.

Dabei gehe es nicht in erster Linie um die Bereitstellung zusätzlichen Geldes, sondern um eine neue gesellschaftspolitische Herangehensweise an Erwerbsarbeit. Gemeinnützige Arbeit muss genauso anerkannt sein wie Arbeit in einem Wirtschaftsunternehmen. Es geht mir darum, die für Arbeitslosengeld, Unterkunftskosten und Eingliederungsmaßnahmen ohnehin ausgegebenen Mittel in Milliardenhöhe anders einzusetzen.

Es könnten zum Beispiel soziale Wirtschaftsbetriebe mit strukturpolitischer Ausrichtung geschaffen werden, die gezielt Aufgaben übernehmen. Grundlage dafür ist eine Vereinbarung von Bundesregierung und Bundesagentur, in der diese Modelle ausdrücklich empfohlen werden. Arbeitsgemeinschaften und Optionskommunen sollten diese Möglichkeit nutzen und Arbeitslosen eine sinnvolle Beschäftigung ermöglichen.

Selbstverständlich muss sichergestellt sein, dass nicht reguläre Arbeitsplätze ersetzt werden. Gewerkschaften und Vertreter der lokalen Wirtschaft können am besten beurteilen, ob Arbeitsplätze verdrängt werden.

Ich bin gegen eine Verteufelung von Kombilöhnen als »teuren Irrweg«, wie das Handelsblatt zu Jahresbeginn schrieb. In Deutschland arbeiten rund 2,5 Millionen Menschen zu Armutslöhnen und weitere fünf Millionen Arbeitnehmer zu prekären Arbeitsbedingungen. Für sie wäre es bitter notwendig, einen Mindestlohn einzuführen. Umso mehr wäre die Einführung eines Kombilohns an eine Grenze nach unten gebunden. Und selbstverständlich müsste er an Bedingungen geknüpft sein, wie sie schon für Eingliederungszuschüsse gelten.

In der Kombilohn-Diskussion muss zudem geklärt werden, wovon eigentlich die Rede ist. Bundespräsident Horst Köhler hat nicht von ungefähr bei seinem Vorschlag, Niedriglöhne für gering qualifizierte Arbeitslose mit staatlichen Zuschüssen aufzustocken, auf das Modell einer «negativen Einkommenssteuer» in den USA verwiesen. Andere Vorschläge, so die Kürzung des Arbeitslosengeldes II, um die Zuschüsse zu finanzieren, sind wirklichkeitsfremd. Ohne Zweifel müssen die Sorgen der Gewerkschaften, dass Kombilöhne benutzt werden, um das tarifliche Gefüge auszuhebeln, sehr ernst genommen werden. Staatlich geförderte Niedrigstlöhne unterhalb der vereinbarten Tarife darf es nicht geben. Die Tarifautonomie darf nicht angetastet werden.

Bevor Odysseus zwischen Scylla und Charybdis hindurchsegeln musste, hatte er eine andere Prüfung abzulegen. Und zwar die, dem Sirenengesang zu widerstehen. Er verklebte seinen Gefährten mit Wachs die Ohren und band sich selbst am Mast fest. Das dürfte ein schlechtes Vorbild für die Linkspartei und Linke überhaupt sein. Anders hielt es Orpheus. Er übertönte mit seiner eigenen Stimme den Gesang der Fabelwesen. Wie auch immer – ich bin dafür, Kombilöhne zu enttabuisieren, aber sehr dagegen, den Sirenen zu folgen, die mit Lohnkostenzuschüssen ein Allzweckmittel zum Abbau der Massenarbeitslosigkeit verheißen.

Der Autor ist Politiker der Linkspartei und Minister für Arbeit, Bau und Landesentwicklung in Mecklenburg-Vorpommern