Das Erfolgsrezept

Wie links sind diese Linken? von andrés pérez gonzález

Es sind sicherlich nicht die libertären Forderungen nach Gleichheit und Brüderlichkeit, denen die die Linken in Lateinamerika ihre jüngsten Erfolge zu verdanken haben. Eine weitaus größere Rolle spielen stattdessen die apologetische Rede von der »Rasse«, manchmal verschämt auch »Ethnie« genannt, sowie der Militarismus und der Nationalismus. Insbesondere gilt dies für Evo Morales’ Aufstieg in Bolivien, für das Ölmäzenatentum von Hugo Chávez in Venezuela und den möglichen Wahlsieg des ehemaligen Militärs und Ethnonationalisten Ollanta Humala im April in Peru.

Diese Leute, die als »populistisch« und »antikapitalistisch« getadelt werden, haben es verstanden, Überzeugungen zu übernehmen, die zuvor der politischen Rechten vorbehalten waren. »Izquierda y derecha unidas jamás serán vencidas« (etwa: »Vereinte Linke und Rechte werden niemals besiegt!«), hatte der Chilene Nicanor Parra einmal gedichtet, und genau darin scheint das Erfolgsrezept dieser Narrenlinken zu liegen.

Die fundamentale Unterscheidung besteht in Wirklichkeit zwischen Autoritärem und Libertärem. Um die Politik der Regierenden zu analysieren, darf man sich daher nicht allein mit ihren Diskursen beschäftigen, sondern muss sich ihr Handeln genauer betrachten. Dies gilt insbesondere für Hugo Chávez oder für den über den grünen Klee gelobten Fidel Castro in Kuba. Ihre öffentlichen Auftritte sind reich an Rhetorik ohne Inhalt oder reiner Opportunismus. Chávez brüstet sich damit, ein Antiimperialist und Sozialist zu sein, beliefert aber weiterhin die USA mit Öl, und in seinem Land gibt es keine Fabriken oder Unternehmen, die unter der direkten Kontrolle der Arbeiter stünden. Die viel gerühmte »bolivarianische Revolution« existiert allein in der Phantasie einiger linker Nostalgiker oder Autoritärer.

Für Castros Experiment genügt es, sich an Michail Bakunins bekannten Satz zu erinnern, demzufolge »Sozialismus ohne Freiheit Sklaverei und Brutalität« bedeutet, »Freiheit ohne Sozialismus« hingegen »Privilegienwirtschaft und Ungerechtigkeit«.

Der venezolanische Politologe Alfredo Ramos meint, dass wir in Lateinamerika vielleicht die Kategorien »links« und »rechts« hinter uns gelassen hätten und uns nun »im Dilemma zwischen Demokratie und Autoritarismus« befänden. Dem kubanischen Regime oder der venezolanischen Regierung, zu denen sich vielleicht Morales und eventuell Humala gesellen werden, stellen diverse Beobachter die »gemäßigtere« Linke gegenüber, den red set, der in Brasilien mit Luiz Inacio Lula da Silva, in Uruguay mit Tabaré Vásquez und demnächst in Chile mit Michelle Bachelet die Macht verwaltet. Doch folgt man dem Politologen Ramos, ist die Unterscheidung zwischen einer reformistischen und einer radikalen Linken hinfällig geworden. Stattdessen kombiniert das neopopulistische Regime eines Chávez traditionell linke Elemente mit rechten zu einer neuen Politik. Um die komplexe lateinamerikanische Realität zu verstehen sind neue Begrifflichkeiten nötig, während man mit der Unterscheidung von »links« und »rechts«, wie sie für das vergangene Jahrhundert galt, nicht mehr weit kommt.

Vor allem denkt kein einziger der gegenwärtigen Repräsentanten dieser »linken« Welle daran, mit dem ökonomischen Modell im Ganzen zu brechen, mit der Hierarchie in der Entscheidungsfindung und der Unterscheidung zwischen Repräsentanten und Repräsentierten. Aus dieser Perspektive beschränken sich alle, wenn auch in unterschiedlichem Grade, auf die machiavellistische Verwaltung des Bestehenden.