Yogastunde bei Mr. Lynch

David Lynch warb an der Deutschen Film- und Fernsehakademie in Berlin für Meditation und vedisches Denken. von florian scheibe

Als ich die E-Mail der Deutschen Film- und Fernsehakademie Berlin lese, denke ich, ich träume: »David Lynch live at the dffb!!!! Wir laden alle Studenten, Dozenten und Mitarbeiter herzlich ein zu einem spontanen ›Talk‹ mit David Lynch zwischen 12.00 und 15.30 im Arsenal.« Wie ein Lauffeuer breitet sich die Nachricht in der kurzen Zeit bis zum nächsten Mittag aus. »Meint Ihr, er kommt wirklich?« – »Ich glaube es erst, wenn ich ihn sehe …« – »Ich fasse es nicht …« – »Ich habe drei wichtige Termine verschoben, um hier sein zu können.« – »Er ist der Grund, warum ich Filme machen will …«

Es ist ein wenig so, als würde Gott eine Morgenmesse besuchen.

Auch ich bin schon eine Stunde vorher da, sitze perfekt in der dritten Reihe, Mitte, dem Altar ganz nah. Um mich herum füllt sich das große Kinoschiff in einem stetigen Strom, bis die Menschen sich stehend an der Wand entlang drängen. Die Notausgänge werden blockiert, Kameras aufgebaut, Mikros in die Höhe gestreckt, Fotoapparate noch einmal überprüft und zitternd letzte SMS geschrieben.

Nur die erste Reihe ist immer noch unbesetzt. Große Schilder sind dort angebracht, schwarze Schrift auf weißem Grund: Reserviert! Reserviert für wen, frage ich mich. Für all jene Kitiker, die seit fast zehn Jahren darüber rätseln, ob »Lost Highway« ein »endloses Moebius-Band« darstellt, einen »Faust im Medienzeitalter« oder ob er vielleicht einfach nur »von der Hölle« handelt?

Und was ist mit dem Podium? Warum stehen dort gleich vier Mikrofone in einer Reihe? Wen wird David denn noch mitbringen? Isabella Rosselini? Willem Dafoe? Dennis Hopper? Nicolas Cage? Oder sogar Patricia Arquette?

Und während ich mir noch Gedanken darüber mache, ob Patricia Arquette wohl mit blonden oder schwarzen Haaren zur Messe kommen wird, beginnt sich auf einmal die erste Reihe zu füllen. Seltsame Menschen versammeln sich dort, noch seltsamer als Filmkritiker sogar. Die Frauen sehen aus wie Eurythmielehrerinnen: Sie haben ihre strähnigen Haare in der Mitte gescheitelt und tragen wallende Kleider in gedeckten Pastelltönen. Die Männer sind in unförmige Cordhosen oder ockerfarbene Anzüge verpackt und wirken wie Wollsockenvertreter auf einem Bildungsurlaub.

Man kennt sich untereinander. Hände werden geschüttelt, und es wird gelächelt, viel gelächelt sogar. Wahrscheinlich sind sie die Mitglieder eines Lynch-Fanclubs, schießt es mir durch den Kopf. Und zur Feier des Tages haben sie sich verkleidet, als ob sie direkt dem Schrecken des Ortes Twin Peaks entflohen seien, dem Eintrittstor zur Hölle.

Dann kommt auf einmal Bewegung in die dicht gedrängte Menge im Eingangsbereich. Ein Mann mit einem länglichen Gesicht und aschblondem Haar tritt an eines der Mikrofone und sagt mit einem heiseren Krächzen: »Meine Damen und Herren, heißen Sie herzlich willkommen: Mr. Lynch …!« Und schon im nächsten Moment taucht die berühmte grauweiße Tolle in der Tür auf, und der Applaus brandet durch das Kino, tosend schwillt er an, bricht sich an den Wänden, schäumt weiter zwischen den Lehnen, bildet immer neue Strudel, eine Minute lang, zwei, drei, dann erst verebbt er in vereinzelte Klatscher, und ich bilde mir ein, dass meine Hände mit die letzten sind, die sich berühren.

Lange steht David Lynch in den Fluten, lächelnd, dann erst setzt er sich. Er sagt, dass er froh ist, heute hier sein zu können, um mit uns über ein Projekt sprechen zu können, das ihm besonders am Herzen liegt, über die »University of Peace«. Einen Moment lang herrscht Stille. Drei Minuten lang hatte sich mein Blick an David Lynch festgefressen, hatte ihn fokussiert, wie mit einem Teleobjektiv, und alles andere ausgeblendet. Erst jetzt bemerke ich, dass auch die anderen Mikrofone besetzt sind, von seltsamen Männern mit glänzenden Krawatten und sandfarbenen Anzügen. Direkt neben Lynch ein runder Kopf mit kleinen, glänzenden Augen, der seine Fingerspitzen aneinander presst, daneben ein gerötetes Doppelkinn, das seine Hände buddhagleich über dem riesigen, runden Bauch verschränkt hat, und ganz links außen die aschblonden Haare mit den zusammengepressten Lippen und einem starren Blick ins Publikum.

Spätestens jetzt hätte ich den Saal verlassen sollen, denn das, was jetzt folgte, war schrecklich. Schrecklicher noch als eine Szene in einem der Filme von David Lynch.

Es beginnt damit, wie Mr. Lynch seinen Blick über das Publikum schweifen lässt und dabei erzählt, dass er zwei Mal täglich meditiere, jeweils 20 Minuten lang. »Seitdem habe ich keine Angst mehr«, sagt er. »Ich verspüre keine Wut und keine Beklemmungen. Ich bin ein glücklicher Mensch.« Das Publikum reibt sich verwundert die Augen: Keine Angst? Keine Wut? Keine Beklemmungen? Glücklich? Sie, Mr. Lynch?! Der runde Kopf mit den kleinen Augen nickt getragen, und, ohne seine Fingerspitzen voneinander zu lösen, sagt er mit einem summenden Unterton: »Die Transzendentale Meditation ist der einzige Bewusstseinszustand, bei dem sich die beiden Gehirnhälften miteinander verbinden. Das ist wissenschaftlich… und physikalisch und …«

Doch ich höre schon nicht mehr wirklich zu. Ich beobachte stattdessen die Eurythmielehrerinnen und die Wollsockenvertreter in der ersten Reihe, wie sie ihre Köpfe zusammenstecken, flüstern, nicken und sich im Takt der Worte wiegen. »Wie arbeiten Sie denn mit Ihren Schauspielern, Mr. Lynch?« kommt eine typisch unbeeindruckte Filmhochschülerfrage aus dem Publikum, und ohne jede Mühe schafft es Mr. Lynch, bereits nach anderthalb Sätzen wieder bei der Transzendentalen Meditation zu landen: »Früher habe ich immer eine große Wut auf die Produzenten in Hollywood gehabt, aber das ist jetzt vorbei! Seitdem ich nach der Methode von Maharishi Mahesh Yogi meditiere, bin ich stark geworden! Seitdem können sie mir nichts mehr anhaben.«

Während im Publikum das erste vorsichtige Gemurmel einsetzt, erklären Mr. Lynch und der runde Kopf mit den glänzenden Augen, Ziel ihrer Tour durch Deutschland sei es, »Meditationszentren« aufzubauen, denn die »kosmische Kraft«, die sich durch die Meditation entfalte, werde sich auch auf »den Rest des Landes« übertragen, und wenn nur genug von diesen Zentren entstehen würden, dann gebe es nicht nur keine Kriege, keine Armut und keinen Terrorismus mehr, sondern ein Land wie Deutschland könne sich auf »friedfertige Weise unbesiegbar« machen.

Ich selbst habe inzwischen meine Augen fest geschlossen, versuche mir die Ohren zuzuhalten und bin so tief wie möglich in meinen Sitz gesunken. In dieser Position bekomme ich nur noch mit, wie Mr. Lynch 20 quälende Minuten später einem Studenten, der sich gerade darüber beschwert, unter falschen Vorzeichen in eine Werbeveranstaltung gelockt worden zu sein, mit lauter Stimme an den Kopf wirft: »Wenn Sie Mr. Bush wollen und den Krieg und die Vogelgrippe, dann können Sie ja weitermachen wie bisher! Wenn nicht, dann öffnen Sie sich für die Trans­zen­den­tale Meditation.« Und noch bevor Mr. Lynchs Worte zwischen den Kinositzen verhallen, erheben sich die vier Gestalten von dem Podium wieder und mit ihnen auch die Eurythmielehrerinnen und Wollsockenvertreter und verschwinden in der Menge. Ich bleibe noch eine ganze Weile stumm sitzen und starre auf den roten Vorhang, während sich die Messe um mich herum allmählich leert.

Als ich nach einer Viertelstunde nach draußen auf die Straße trete, sehe ich noch, wie Mr. Lynch inmitten seiner Meditationsgruppe auf ein Auto wartet. Auf einmal kommt er mir vor wie ein verwirrter älterer Mann, der wieder zurück in sein Heim gebracht wird. Ich gehe nach Hause, ziehe die Vorhänge zu und schalte den Fernseher an. Ohne lange zu überlegen, entscheide mich für Lost Highway, und bereits in dem Moment, in dem die Kamera über die kalten Wände des bunkerähnlichen Hauses gleitet, habe ich den zurückliegenden Nachmittag fast wieder vergessen. Ich hoffe sehr, dass es dabei bleibt.