Nur rumsitzen ist schöner

Seit über 130 Tagen befindet sich der überwiegende Teil der Belegschaft des Unternehmens Gate Gourmet am Düsseldorfer Flughafen im Streik. Die Arbeitskämpfer besuchte stefan kindler

Ein kleiner Container dient den Streikenden als Wärmeraum. Schaut man aus seinem Fenster, sieht man keinen Steinwurf entfernt einen schwarzen VW-Bus der Sicherheitsfirma Chevalier. Er ist so geparkt, dass man den beiden Sicherheitsmitarbeitern in die Augen sehen könnte, würden die Scheiben nicht spiegeln. Dazwischen stehen ein paar provisorisch aufgestellte Absperrgitter. Mit Kabelbindern hat man ein Blatt Papier befestigt, auf dem zu lesen ist: »Dieses Gelände wird videoüberwacht.« »Das ist unsere eigene kleine Berliner Mauer«, witzelt ein Streikender.

Hinter der Absperrung befindet sich die Düsseldorfer Niederlassung des weltweit operierenden Catering-Unternehmens Gate Gourmet. Seit über 130 Tagen befinden sich 82 der 120 Mitarbeiter des Unternehmens im Streik. »Fünf Tage die Woche, sieben Stunden täglich bin ich hier, zurzeit allerdings nur vier Stunden, wegen der Kälte«, sagt Hacer Kumsar, eine Vorarbeiterin aus der Produk­tion. Die multinationale Gruppe der Streikenden muss eine Menge Disziplin aufbringen, um durchzuhalten. Seit Wochen verbringen sie ihre Zeit auf einem zugigen Parkplatz zwischen Lagerhallen, Kerosinlagern und der Zufahrtsstraße und müssen zusehen, wie die weißen Laster von Gate Gourmet weiterhin die Flugzeuge der LTU beliefern.

»Wir haben eigentlich alle mit maximal zwei bis drei Wochen Streik gerechnet«, sagt Mustafa, ein LKW-Fahrer von Gate Gourmet, »an über 120 Ta­ge haben wir damals nicht gedacht.« Auch Axel Peters, ein Vertreter der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG), war zunächst von der Dauer des Streiks überrascht: »Wir haben erst im Laufe des Streiks gelernt, welche Pläne die Texas Pacific Group mit Gate Gourmet hat und mit welcher Gewalt sie diese Ziele umsetzen will.« Die Lohn­kosten sollen um zehn Prozent verringert wer­den, fordert der US-amerikanische Investor, der Haupt­anteilseigner von Gate Gourmet ist. Die Streikenden und die NGG halten mit einer Forderung nach 4,5 Prozent mehr Lohn dagegen.

Statt in Verhandlungen zu treten, investiert Gate Gourmet in die Aufrechterhaltung der Produktion. Zusammen mit einem knappen Drittel der Belegschaft – darunter auch Betriebsräte –, das sich nicht an dem Streik beteiligt, Leiharbeitern und der Unterstützung anderer Filialen schafft es das Catering-Unternehmen, den Betrieb aufrechtzuerhalten.

Nur gelegentlich kam es zu kurzfristigen Lieferschwierigkeiten. Zeitweise blockierten und besetzten Unterstützergruppen in den vergangenen Wochen das Werksgelände. Offiziell werden solche Aktionen von der Gewerkschaft abgelehnt, die strikt alles ablehnt, was nicht legal ist. Über den Besuch von »Wandergruppen«, wie die Unterstützer von den Streikenden genannt werden, freuen sie sich aber doch. »Wenn die da sind, dann ist Power angesagt«, sagt Mustafa. Das Gefühl der Machtlosigkeit gegenüber der weiter produzierenden Firma Gate Gourmet wird dadurch zumindest etwas gemindert.

Große Enttäuschung herrscht über die Streikbrecher. »Am Anfang haben wir mit den anderen geredet, aber inzwischen sind die Blicke feindlich geworden«, beschreibt der LKW-Fahrer Akban die Situation. Hacer Kumsar fragt sich, wie sie mit den unsolidarischen Kollegen nach dem Streik umgehen soll. »Wir müssen ja wieder miteinander reden. Aber erst mal nur über die Arbeit. Bis wir uns wieder privat unterhalten, das wird sicherlich eine Zeit dauern.« Die Fronten sind klar. Nur zwei Streikende haben im Lauf der Monate die Seite gewechselt. Sich nach 130 Tagen den Streikbrechern anzuschließen, kann sich von den Anwesenden keiner vorstellen.

»Das Verhalten und die Stimmung untereinander sind sehr gut«, sagt Hacer Kumsar. »Es würde mir in der Seele wehtun, wenn ich die anderen enttäuschen müsste.« Ein Streikender, der seinen Namen nicht nennen möchte, gibt allerdings zu: »Ein wenig langweiliger ist die Kommunikation nach vier Monaten natürlich schon geworden. Neue Themen gibt es nicht mehr, alle Witze habe ich schon dreimal gehört.« Aufgeben komme aber für ihn nicht in Frage: »Mit einem Minus gehe ich hier auf gar keinen Fall raus.«

Das ist das erklärte Ziel aller: bloß kein Minus, nicht nach über 130 Tagen Streik. Dass der Arbeitskampf eine finanzielle Belastung für jeden Einzelnen darstellt, ist den Streikenden natürlich bewusst. Der finanzielle Verlust durch vier Monate Streik wird sich mit ein paar Prozent Lohnerhöhung, sollte es überhaupt zur gewünschten Einigung mit dem Unternehmer kommen, nur schwer ausgleichen lassen. Doch die Lohnforderungen sind für die Beschäftigten nicht der alleinige Grund für den Streik.

»Menschenwürde« steht auf einem Transparent vor dem Streikcontainer, und das Thema ist tatsächlich von zentraler Bedeutung für die Streikenden. Denn das Unternehmen Gate Gourmet hat in den vergangenen Jahren den Produktivitätsdruck auf die Arbeiter enorm erhöht. Personal wurde trotz gleich bleibender Arbeitsbelastung eingespart. Die Arbeitszeiten wurden immer unerträglicher, und die Arbeits­abläufe wurden mit dem Ziel der »Leistungsoptimierung« in einzelne mess- und reproduzierbare Arbeitsschritte zerlegt, an die sich die Arbeiter sklavisch zu halten haben.

»Es hat gereicht. Der extreme Druck durch die Geschäftsführung, der Stress, die immer schlechteren Arbeitszeiten, nicht eingehaltene Zusagen. Wir wollten uns einfach nicht mehr so behandeln lassen«, erklärt der LKW-Fahrer Akban seine Gründe für die Teilnahme am Streik. Auch für Hacer Kumsar waren die unerträglichen Zustände ein Grund für ihre Entscheidung zu streiken: »Mein Mann und meine Mutter haben mich oft genug nach der Arbeit heulen sehen, um zu wissen, dass ich anfangen musste zu kämpfen.« Wie groß die Zustimmung zum Streik war, darüber war selbst der Vertreter der Gewerkschaft NGG erstaunt.

Ob der Kampf um Respekt und bessere Arbeitsbedingungen erfolgreich sein wird, daran gibt es allerdings auch leise Zweifel. Erfolgreich für eine höhere Entlohnung zu kämpfen, ist das eine, aber dass sich die Arbeitsbedingungen wirklich verbessern werden, können einige der Streikenden kaum glauben. »Ich weiß es einfach nicht, nach so langer Zeit weiß ich manchmal gar nichts mehr«, fasst ein Streikender seine Unsicherheit zusammen. Op­ti­mistischer gibt sich der Gewerkschafter Axel Peters. Auch er weiß um die Skepsis mancher Streikender, glaubt aber daran, dass sie ihre Stärke noch gar nicht erkannt haben: »Diese Belegschaft wird nicht mehr die gleiche sein, sie wird selbstbewusster sein und nicht mehr alles mit sich machen lassen.«