Feindliche Juristen

In den USA wird gegen außergesetzliche Gefängnisse und Verhörtechniken prozessiert. Doch die Regierung hält an ihrer Politik fest. von william hiscott

Als Mitglied des ›GTMO-Teams‹ werden Sie in mehr Aktivitäten einbezogen, als wenn Sie in eine andere Küstenbasis gehen würden«, teilt Commander Master Chief Lawrence A. Cairo allen Neuankömmlingen mit. Die »älteste US-Marine­basis in Übersee«, die auch die »einzige in einem kommunistischen Land« ist, dient vor allem als Versorgungsstation für die Karibikflotte. Sie beherbergt aber auch die Joint Task Force Guantánamo, in deren Gewahrsam sich derzeit knapp 500 »feind­li­che Kombattanten« befinden.

Die Basis an der Südostküste Kubas wurde zum Symbol für das komplexe Gefängnissystem, das die US-Regierung im Rahmen des »Kriegs gegen den Terror« aufgebaut hat, und sie steht im Zentrum der internationalen Kritik. Ein im Februar veröffentlichter Bericht des UNHCR stellt fest, dass in Guantánamo Gefangene misshandelt werden und ihnen das Recht auf einen fairen Gerichtsprozess verweigert wird. Der Bericht dokumentiert den Einsatz von folterähnlichen Praktiken, darunter Isolationshaft, anhaltende Lichtbestrahlung oder Musikbeschallung und die Ausnutzung individueller Pho­bien, wie das Einsetzen von Hunden beim Verhör. UN-Generalsekretär Kofi Annan forderte die US-Regierung auf, das Gefängnis zu schließen und die dort Inhaftierten entweder anzuklagen oder freizulassen.

Der US-amerikanische Juraprofessor Mark Denbeaux bestreitet zudem, dass es sich bei den Inhaftierten, wie von Präsident George W. Bush behauptet, um die »allerschlimmsten Terroristen« handle. Denbeaux analysierte die Ergebnisse der US-Militärgerichtsverfahren in Guantánamo, ihm zufolge werden 55 Prozent der Inhaftierten keine ernsthaften Vergehen vorgeworfen, 40 Prozent haben keinerlei Bindung an eine terroristische Organisation. Über 85 Prozent wurden vor Jahren entweder von der Nordallianz in Afghanistan oder in Pakistan festgenommen und gegen teilweise hohe Prämien an das US-Militär oder die CIA übergeben.

Die Journalistin Corine Hegland, die für das Na­tio­nal Journal 132 bei US-Gerichten eingereichte Klageschriften von Gefangenen aus Guantánamo untersuchte, kommt zu ähnlichen Ergebnissen. Sie fügt hinzu, dass sich die Militärtribunale in der Regel auf Aussagen stützten, die mit fragwürdigen Verhörmethoden erzwungen wurden. Dennoch reiche das Beweismaterial nur in etwa zwei Dutzend Fällen für eine Anklage.

Die grundsätzliche Weigerung, den Inhaftierten das Recht auf Anrufung ziviler Gerichte zuzugestehen, ist zwischen dem Parlament und der Justiz umstritten. Anfang des Jahres beschloss der von den Republikanern kontrollierte Kongress, dass die in Guantánamo Inhaftierten kein Recht auf einen Prozess außerhalb der Militärtribunale haben. Damit widerspricht die Legislative einem Urteil des Obersten Gerichts, das im Jahr 2004 entschieden hatte, den »feindlichen Kombattanten« im Rahmen von Habeas-Corpus-Ver­fah­ren den Zugang zu regulären US-Gerichten zu ermöglichen.

Hunderte Gerichtsprozesse, die im Namen von in Guantánamo Inhaftierten angestrengt wurden, müssen nun ausgesetzt werden. Die von den Republikanern gefürchtete Stärkung der Rechte »feindlicher Kombattanten« wird damit möglicherweise um Jahre verzögert, denn so lange könnte es dauern, bis erneute Klagen durch die Instanzen und wiederum bis zum Obersten Gericht gelangen. Guantánamo werde »bis auf wei­teres« bestehen bleiben, fasste Verteidigungsminister Donald Rumsfeld den Stand der Dinge zusammen.

An anderen Fronten bröckelt die um das außerrechtliche Gefängnissystem gezogene Schutzmauer der US-Regierung. Die Veröffentlichung neuen Bildmaterials zu dem im Jahr 2004 aufgedeckten Folterskandal im irakischen Gefängnis Abu Ghraib konnte von der Re­gierung leicht abgetan werden. Doch in der vergangenen Woche legte die Journalistin Jane Mayer in der Wochenzeitschrift New Yorker die bislang stichhaltigsten Beweise vor, dass die im Jahr 2002 von Rumsfeld er­lassenen Verhörrichtlinien unter den höchst­ran­gi­gen Funktionären im Pentagon heftig umstritten waren. Alberto Mora, bis Ende 2005 oberster Rechtsberater der US-Marine, bekämpfte die Lockerung der Vorschriften und die Einführung vieler, der von Rumsfeld als »innovativ« bezeichneten Praktiken. Mora vertrat die Ansicht, dass die Anwendung solcher Prak­ti­ken wahrscheinlich illegal sei und strafrechtliche Folgen für die beteiligten Militärangehörigen haben könnte. Zudem sei es kaum möglich, die fortan legalen »harten« Verhörmethoden von illegaler Folter zu unterscheiden.

Auch im Fall der »rendition«, der Überstellung in Gefängnisse außerhalb des Territoriums der USA oder an ausländische Regierungen, hat die Regierung Probleme mit der Justiz. Die Prozesse um die Entführung eines deutschen und eines kanadischen Staatsbürgers dauern noch an. Es wird jedoch immer klarer, dass die Regierung ein klandestines Netz von Gefängnissen außerhalb jeglicher Kontrolle unterhält. Auch der erste Prozess gegen einen wegen Folterungen angeklagten Vertragsarbeiter der CIA in Afghanistan gab einen Einblick in diese Geheimoperationen. Der Beschuldigte besteht darauf, dass er ausschließlich auf Anweisung seiner Auftraggeber von der CIA gehandelt habe, und sein Anwalt gab bekannt, dass er den damaligen Direktor der CIA, George Tenet, und die verantwortlichen Agenten vorladen will. Sie sollen Auskunft über die Befehlsstruktur zwischen der CIA und ihrem Vertragspartner geben.

Foltervorwürfe gegen das US-Militär und die CIA sind nicht neu. Naomi Klein weist als einzige prominente Kritikerin Bushs darauf hin, dass Folter keine vom derzeitigen Präsidenten eingeführte Neuerung ist, sondern »seit dem Vietnamkrieg ein integraler Bestandteil der US-Außenpolitik« war, unter anderem in Südostasien und Lateinamerika.

Damals wurden Foltervorwürfe jedoch vehement dementiert, denn sie standen im Widerspruch zur offiziellen US-Ideologie. Daher hätten alle Folterpraktiken geheim bleiben müssen. Dagegen »beansprucht die Bush-Regierung ohne Scham ein Recht auf Folter«, betont Klein.

Der Satz »Wir foltern nicht« gehört noch immer zum Repertoire der US-Regierungsvertreter. Doch mit der Einführung »harter« Verhörtechniken wird das Folterverbot bewusst aufgeweicht, und eine offizielle Genehmigung der Folter wird mittlerweile von seriösen Zeitungen und renommierten Juristen offen debattiert. Diese Offenheit scheint viele zu ermutigen, noch weiter zu gehen, als ihnen offiziell gestattet wird. Auch in den USA selbst. Vor zwei Wochen wurde ein Gefängnisdirektor in Los Angeles dabei erwischt, wie er renitente Häftlinge in einen Raum zusammenführte und sie anschließend zwang, sich auszuziehen und demütigen zu lassen.