Das Privatisierte ist politisch

Nachdem Dresden seinen kommunalen Wohnungsbestand verkauft hat, fordern manche Politiker noch mehr Privatisierungen. von winfried rust

Es geht doch! Dresden tilgt seine Schulden auf einen Schlag. Das Unternehmen Fortress kaufte am 10. März in der Stadt ein. Jetzt gehört ihm das bis dahin stadteigene Wohnbauunternehmen Woba mit 48 000 Wohnungen. Ein Fünftel der Bevölkerung Dresdens ist von dem Verkauf betroffen. Die Firma Fortress zahlt am 1. April 1,7 Milliar­den Euro. Nach Abzug der Schulden der Woba und von Honoraren und Bankgebühren werden noch rund 118 Millionen Euro mehr in die Stadtkasse fließen, als die derzeitige Verschuldung (741 Millionen Euro) beträgt.

Die Debatte im Stadtrat verlief aufgeregt. Dresdens Oberbürgermeister Ingolf Roßberg (FDP) stützte sich vor allem auf die bürgerlichen Parteien. Das hätte nicht gereicht. Aber ein SPD-Stadtrat und neun der 17 Abgeordneten der Linkspartei stimmten ebenfalls für den Verkauf. Die Mehrheit der SPD, die anderen Abgeordneten der Linkspartei und die Grünen waren dagegen.

Die Debatten über Privatisierungen bei den Grünen, der SPD, der Linkspartei und der Wasg ähneln sich: Diejenigen, die am weitesten von der Macht entfernt sind, weisen für gewöhnlich die »Sachzwänge« am deutlichsten zurück. So ist die SPD in Dresden mehrheitlich gegen den Verkauf. In Leipzig, wo sie regiert, zeigt Oberbürgermeister Burkhard Jung Interesse am Verkauf städtischen Wohneigentums.

Was ist mit der Linkspartei? In der Opposi­tion könnte sie sich eigentlich gegen die Privatisierungen profilieren. Aber Ronald Weckesser von der Dresdener Linkspartei meint: »Es geht nicht anders.« Vielleicht will man sich ja als Partei der »Verantwortungsträger« darstellen. Bereits im rot-roten Senat in Berlin hat die Partei den Verkauf tausender städtischer Wohnungen mit beschlossen. 23 000 Wohnungen gingen dabei an das Unternehmen Fortress. Die Berliner Privatisierungspolitik ist für viele Mit­glieder der Wasg mit ihrem Politikverständnis noch unvereinbar. In Dresden meinte Oskar La­fontaine, die verkaufswilligen Genossen seien »besser in einer anderen Partei als in der neuen Linken aufgehoben«.

Es scheint die Zeit des großen Abwägens zu sein. Sachsens Finanzminister Horst Metz (CDU) meint, es sei »gut, wenn sich Städte ihrer Verschuldungsproblematik stellen« und »prüfen, ob kommunale Aufgaben besser von privaten Unternehmen erledigt werden«. Der hessische Finanzminister Karlheinz Weimar (CDU) fordert, Bund und Länder sollten alle Gebäude privatisieren. Dresdens Oberbürger­meister Roßberg sagte: »Ich bin dafür, dass ein Neuverschuldungsverbot in die Satzung der Stadt Dresden aufgenommen wird.« Die Financial Times Deutschland sieht im Dresdner Geschäft, »welch fantastische Möglichkeiten innovative und zukunftssichernde Oberbürgermeister derzeit haben, um das Leben für ihre Bürger zu verbessern«.

Die meisten Politiker warnen aber gleichzeitig vor dem Verlust der Gestaltungsmöglichkeiten der Kommunen. So spricht der Münchner Oberbürgermeister Christian Ude (SPD) von einem »strategischen Fehler«, den die Städte womöglich teuer bezahlten. Der Direktor des Deutschen Mieterbundes, Franz-Georg Rips, meint: »Die Mieter werden letztlich die Zeche zahlen müssen.«

Seit der Krise auf dem Arbeitsmarkt Anfang der achtziger Jahre unterbieten sich die Kommunen im Wett­be­werb um niedrigere Steuern, um Unternehmen anzuziehen. Gleichzeitig steigen die Kosten, die die Arbeits­losigkeit verursacht. Um die leeren Kassen wieder zu füllen, wurden seit den achtziger Jahren Betriebe reprivatisiert, dann Versorgungseinrichtungen (etwa die Bahn und die Post) und soziale und kulturelle Einrichtungen wie der städtische Wohnungsbau. Die Politik der Privatisierungen aber kann die Verluste, die durch die Steuersenkungen entstehen, nicht ausgleichen. Wenn die Ursachen der Verschuldung nicht angerührt werden, steigen die Schulden der jewei­ligen Kommune trotz der Verkäufe wieder.

Dafür hat eine Stadt wie Dresden dann keine einzige Wohnung mehr. Sie besitzt immer weniger Möglichkeiten, die Sozialstruktur zu beeinflussen oder Menschen zu helfen, die in Notlagen geraten sind. Steigen die Mieten der Arbeitslosen, steigen die Wohngeldzuschüsse. Manche Men­schen finden auf dem normalen Woh­nungsmarkt überhaupt keine Bleibe mehr. Werden sie obdachlos, hat das Kosten für die Stadt zur Folge.

Es ist freilich makaber, in solchen Kosten-Nutzen-Kategorien zu sprechen. Noch zynischer ist jedoch der Job des Immobilienverwalters, der Randgruppen nicht in seine Wohnungen einziehen lässt, weil deren Marktwert sinken könnte. So erhöht der Verkauf der Immobilien an die Firma Fortress die Möglichkeit, dass es Obdachlosigkeit und Leerstand zugleich gibt.

Das Unternehmen hat in den vergangenen zwei Jahren 160 000 Wohnungen in Deutschland erworben – den Bestand einer Großstadt. Der Geschäftsführer von Fortress in Deutschland, Matthias Moser, will so weitermachen. Man habe »weitere prosperierende Gebiete in Ostdeutschland im Blick«. Die Firma Fortress hat seit dem Jahr 2004 mehr als zehn Milliarden Euro in deutsche Immobilien investiert. »Die Gesellschaft verfolgt das Ziel, hohe Renditen und Dividenden im Verhältnis zum Risiko für die Investoren zu erwirtschaften«, heißt es auf der Homepage.

Immobiliengesellschaften versprechen bis 20 Prozent Rendite. Ein Teil der Profite resultiert aus den günstigen Krediten und Einlagen, die sie erhalten. Im äußersten Fall muss das Unternehmen Fortress beim Kauf von Immobilien nur fünf Prozent des Kaufpreises selbst bezahlen. Für den Rest stehen ihm zurzeit günstige Kredite zu 4,5 Prozent Zinsen zur Verfügung. Bei derart niedrigen Zinsen genügen bereits die normalen Mietzahlungen, um ein zweistelliges Renditeplus zu erwirtschaften. Internationale Anleger hoffen außerdem darauf, dass die Immobilienpreise, die in Deutschland seit vielen Jahren stagnieren, wieder ansteigen.

Fortress ist eine Private-Equity-­Gesellschaft. Das heißt, dass sie mit privatem Beteiligungskapital Investi­tions­objekte sucht, um möglichst hohe Renditen zu erzielen. Dass das ausländische Immobilienfonds sind, sorgt für besondere Aufregung. Dabei haben die Fonds das Ziel der Gewinnmaximierung nicht erfunden. Im Verhältnis zu einer umtriebigen Erbgemeinschaft kann ein Immobilienkonzern der leichtere Gegner sein.

Wehe also den »prosperierenden Gebieten« im Osten, in welche die »Heuschrecken« einfallen? Aber was ist, wenn sie gar nicht kommen? Wenn die Förder­mittel in den Osten versiegen und das Kapital wegen schlechter Renditeaussichten ausbleibt, heißt das noch lange nicht, dass vergessene Regionen deshalb gut davonkommen. Die künftigen Jahrzehnte der Privatisierungen könnten sich in Deutschland wieder als Zeiten ungleicher Entwicklung erweisen: Mit der Föderalismusreform, der tendenziell geringer werdenden Ostförderung und der ökonomischen Standortdynamik dürften sich die ökonomischen Unterschiede zwischen den Bundesländern wieder verstärken.

Jene Menschen, die im privatisierten Wohnungsmarkt keine Chance mehr haben, wie etwa kinderreiche Unterschichtfamilien, werden in die verrotteten Restbestände des DDR-Wohnungs­baus einziehen müssen. Für die sich neu herausbildenden Armenviertel dürften die Kommunen immer noch eine Form der Gestaltung in der Hand haben: Ordnungspolitik.