Die dreizehnte Karikatur

Algerien nutzt den Karikaturenstreit, um die Pressefreiheit einzuschränken. von bernhard schmid

Lange Zeit galt Algerien unter allen arabischsprachigen Staaten als das Land mit der größ­ten Pressefreiheit. Seit längerem aber will die Staatsmacht mit der pluralistischen Presse Schluss machen. In den neunziger Jahren waren den Journalisten gewisse Freiheiten gewährt worden, weil der Staat in der Presse einen Bündnispartner gegen die Islamisten erblickte. Seit der Wiederwahl von Staatspräsident Abdelaziz Bouteflika – mit umstrittenen Ergebnissen – im April 2004 hat die Repression gegen missliebig gewordene Journalisten jedoch zugenommen. Im Jahr 2005 wurden allein 18 Journalisten und Zeichner in erster Instanz zu mehr­monatigen Haftstrafen ohne Bewährung verurteilt. Die Revisionsprozesse, von denen einige in den letz­ten Wochen bereits stattgefunden haben, bestätigen die Strafen in der Regel – sofern diese im Berufungs­verfahren nicht noch verschärft werden. Diese Erfahrung musste etwa der Karikaturist Ali Dilem machen. Die erste Instanz hatte ihn wegen Kari­katuren des Präsidenten in Algier zu 50 000 Dinar (550 Euro) Geldstrafe verurteilt. Am 11. Februar dieses Jahres verurteilte die Revisionsinstanz ihn zusätzlich noch zu einer einjährigen Frei­heitsstrafe ohne Bewährung. Ali Dilem kann nur darauf hoffen, dass der Oberste Gerichts­hof das Urteil revidiert. Werden alle bisher gegen ihn verhängten Urteile bestätigt, muss er insgesamt neun Jahre absitzen. Sein Anwalt, Khaled Bourayou, gibt offen zu, dass er »seit zwei Jahren keinen einzigen Rechtsstreit in Diffamierungsverfahren gewinnen« konnte.

Ein Indiz für das veränderte Klima: Als sich Anfang Februar einige Journalisten entschlossen, über den Karikaturenstreit zu berichten und zu Illustrationszwecken Karikaturen nachzudrucken, war das nicht ohne Risiko. Das algerische Post- und Informationsministerium unter dem FLN-Politiker Boudjemaa Haichour ließ am 8. und 11. Februar zwei hochrangige Pressevertreter wegen »Verächtlichmachung des Propheten« inhaftieren. Es handelt sich um Berkane Bouderbala, den Herausgeber der Wochenzeitschrift Es-Safir (Der Botschafter), die in ihrer Beilage für Religionsfragen Er-Rissala (Die Botschaft) die Karikaturen nachgedruckt hatte, sowie um den Herausgeber der Zeitschrift Iqra (Lies!) namens Kamel Boussad. Die Männer, die mit fünf Jahren Haft bedroht waren, kamen in der vorigen Woche wieder frei.

Es gab in der algerischen Presse auch Stimmen, die sich kritisch über die kollektive Empörung der Muslime äußerten. So druckte die bürgerliche Tageszeitung El Watan (Die Na­tion) auf dem Titel ihrer Ausgabe vom 9. Februar eine eigene Zeichnung ab, die wütende Protestierer vor einer in Flammen aufgehenden Botschaft zeigt. Die Überschrift lautete: »Die 13. Karikatur des Islam«. Im Blattinneren findet man sowohl einen Artikel, der – ohne distanzierenden Kommentar – die Erklärung der französischen Wochenzeitung Charlie Hebdo zu ihrem Abdruck der Karikaturen zusammenfassend wiedergibt, als auch den Bericht eines Journalisten, der den Standpunkt des iranischen Regimes verteidigt.

Eine klare Verurteilung der fundamentalistischen Proteste fand sich in der kommunistischen Zeitung Alger Républicain: »Der Aufruhr, der durch die Veröffentlichung der dänischen Karikaturen ausgelöst worden ist, ist selbst eine Karikatur. Da haben wir eine unipolare Welt, in der die Ungleichheiten mehr als offenkundig sind. (…) Und in diesem Verhältnis, das durch die Dominanz konfliktreich wird, (…) wollen Muslime sich für alles Mögliche und auch aus unsinnigen Gründen rächen, notfalls mit Gewalt und auf jeden Fall durch eine Intoleranz, die einem anderen Zeitalter angehört. (…) So viel vergossenes Blut, so viel Lärm, so viele Scherben und so viel Hass wegen ein paar armseliger und noch da­zu schlecht gemachter Zeichnungen. Und unterdes­sen hört das reale Dominanzverhältnis nicht auf, sich zu verschärfen.«

Die Repression gegen Journalisten in Algerien hält an. Am 2. März wurde Hakim Laalam von der Boule­vardzeitung Le Soir d’Algérie zu sechs Mona­ten Haft ohne Bewährung verurteilt. Er soll zwar nicht den Propheten, aber den Staatschef »beleidigt« haben.