Die innere Hinwendung

Drum prüfe, wer sich ewig bindet: Auch die hessische Landesregierung hat einen Einbürgerungstest vorgelegt. von markus ströhlein

An Mittelgebirgen mangelt es Deutschland nicht. Über 30 solche Hügellandschaften gibt es. Fast scheint es, jede noch so uninteressante Ansammlung von Buckeln habe irgendwann einen lächerlich klingenden Namen wie Süntel oder Knüllgebirge erhalten, der von dem verzweifelten Versuch kündet, den Erhebungen mit einer Bezeichnung wie »Mittelgebirge« den Anschein zu geben, richtige Berge zu sein.

Dennoch wurde in der vergangenen Woche heftig über die deutschen Mittelgebirge und ihre Bedeutung diskutiert. Hessens Innenminister Volker Bouffier (CDU) hält es für angemessen, mindestens drei von ihnen zu kennen. In dem Katalog von 100 Fragen und Aufgaben, den er als Teil eines Ein­bür­ge­rungs­konzepts der hessischen Landesregierung vorlegte, findet sich auch diese Aufgabe: »Nennen Sie drei deutsche Mittelgebirge!«

Man kann Bouffier nur zustimmen. Man stelle sich vor, ein frisch Eingebürgerter fahre ahnungslos in den Landkreis Kronach, verführt von einer Propagandalüge der deutschen Tourismusbranche wie etwa dem Versprechen: »Frankenwald, das ist Leidenschaft«. Da stünde er dann und bemerkte, dass es sich bei dem Mittelgebirge um tektonisch unterstes Niveau handelt, und fiele vor Langeweile tot um.

Genau betrachtet geht Bouffiers Test in geografischen Fragen zu wenig in die Tiefe. Neue deutsche Staatsbürger sollten nicht nur wissen, wo die Sächsische Schweiz liegt, sondern auch, was die Region als Ausflugsziel zu bieten hat, etwa die Besonderheit, dass nicht wenige der dort ansässigen Volks­genossen zu einem spontanen Aus­bür­ge­rungs­­verfahren handgreiflicher Art neigen könnten. Auch Kennt­nisse über die Lage so genannter national befreiter Zonen und weiträumige Umgehungsmöglichkeiten sollten unbedingt abgefragt werden.

Noch ist Zeit, solche Schwächen des Katalogs auszubügeln. Was Bouffier in der vorigen Woche präsentierte, war nur ein Entwurf. Dem Wissenstest in deutscher Geografie, Geschichte, Politik und Kultur sollen ein so genannter Integrationskurs und notfalls ein Sprachkurs vorausgehen, die die Bewerber aus der eigenen Tasche bezah­len sollen. Wird all das erfolgreich absolviert, folgt als Kür noch der feierliche Eid auf die Verfassung.

Pünktlich zum Finale des Kommunalwahl­kampfs in Hessen hat Bouffier den »Wissens-­ und Wertetest« vorgelegt. Auch in Rheinland-Pfalz hofft die CDU, in den anstehenden Landtagswahlen vom Trubel um die Idee zu pro­fitieren. So kündigte der dortige Spitzen­kan­didat der Christdemokraten, Christoph Böhr, an, im Fall eines Wahlsiegs das Kon­zept zu unterstützen.

Das Quiz für angehende Staatsbürger ist der hessische Beitrag zum Ideenwettbewerb »Deutsch­land sucht den Superkanaken«, der in der Union zu reger Betriebsamkeit führt. Baden-Württemberg und Hessen haben ihre Vorschläge zur Verschärfung des Einbürgerungsrechts bereits eingereicht. Auch das baye­rische Kabinett hat sich auf die Grundzüge eines »Integrationstests« geeinigt und will ebenfalls in der Frage »Druck machen«.

Bouffier indes hält das hessische Modell für so gut, dass er es auf Bundesebene verwirklicht sehen möchte. Im Mai will er es in der Konferenz der Bundesinnenminister zur Diskussion stellen. Diese befasst sich damit, wie eine »bun­deseinheitliche Linie bei der Einbürgerungspraxis« festgelegt werden kann. Danach soll das Ganze in eine Bundesratsinitiative münden. Der hessische Ministerpräsident Roland Koch (CDU) findet den Vorschlag seines Innen­ministers großartig: »Wer deutscher Staatsbürger werden will, muss bereit sein, so etwas anzugehen, denn die deutsche Staatsbürgerschaft kann es nicht zum Nulltarif geben!«

Das allerdings ist auch jetzt schon so. Wer derzeit einen deutschen Pass erwerben will, muss seit mindestens acht Jahren in Deutschland leben, die Sprache ausreichend beherrschen, einwandfrei beleumundet sein und eine Regelanfrage beim Verfassungsschutz über sich ergehen lassen. Man sollte meinen, Leute, die seit mehr als acht Jahren hier leben, die sich die Hacken für ihre Aufenthalts- und Arbeitserlaubnis abgelaufen haben, um dann unter Umständen ohnehin keine Arbeit zu bekommen, hätten ihren »Grundkurs Deutschland« bereits absolviert. Doch Bouffier ist all das lange nicht genug. Schließlich müsse man auch den »Prozess der inneren Hinwendung zu unserer Verfassung« prüfen, sprich: die Gesinnung.

So kommt es zu dem Umstand, dass auch der hessische Katalog genauso wie der baden-würt­tem­bergische »Muslimtest« die bürgerlich-liberale Überzeugung der Einbürgerungswilligen ganz antiliberal ab­fragt. »Nennen Sie drei Gründe, warum Sie deutscher Staatsbürger werden wollen!« verlangt der hessische Entwurf. Erhält den Pass, wer antwortet: »Fußball, Ficken, Fernsehen«?

Andere Fragen dürften leichter zu beantworten sein. Etwa die Nummer 48: »Was verstehen Sie unter dem deutschen ›Wirtschaftswunder‹?« Das Wirt­schaftswunder ereignete sich nach dem 9. November 1989, als es 100 Mark für nichts, immer frische Bananen und überall diese netten Kataloge von Bea­te Uhse gab. Auch Nummer 85 stellt keine wirkliche Herausforderung dar: »Die Bundesrepublik Deutsch­land ist ein Sozialstaat. Nennen Sie drei Elemente der sozialen Sicherung in der Bundesrepublik Deutsch­land!« Hartz II, Hartz III und Hartz IV. Einfach zu beantworten ist auch Nummer 64: »Wie heißen die Streitkräfte der Bundesrepublik Deutschland?« Das kann doch nur die Bundeswehr sein. Nummer 65: »Wann und zu welchem Zweck wurden sie gegründet?« 1955, um später Jugoslawien zu bombardieren und die Freiheit am Hindukusch zu verteidigen. Frage 72 lautet: »Wie heißt das höchste deut­sche Gericht?« Die Currywurst.

Und schließlich Frage 100: »Wie heißt die deutsche Nationalhymne, mit welchen Worten beginnt sie?« Sie heißt Deutschland-Lied, und ihre erste Stro­phe beginnt so: »Deutschland, Deutschland über alles, über alles in der Welt«.