Kein Zutritt für Parteifürsten

Im Nordirak stürmten Demonstranten das Halabja Memorial Museum und protestierten gegen die Korruption der kurdischen Regionalregierung. von mary kreutzer

Für viele war es zunächst ein Schock, die Bilder des in Flammen aufgehenden Halabja Memorial Museums und des zertrümmerten Schilds mit der Aufschrift »Kein Zutritt für Ba’athisten« zu sehen, das seit Bestehen der Gedenkstätte vor der Einfahrt stand. Wer ist verantwortlich für die Verwüstungen? Ba’athisten, Islamisten oder gar ausländische Provokateure, wie die kurdischen Behörden behaupten?

»Schande über den Mob von Halabja!« schreibt der Blogger Vahal Abdulrahman in seinem erbosten Kommentar auf KurdMedia.com. Doch in hunderten von Mails und Artikeln bringen namhafte sowie unbekannte Kurden und Kurdinnen ihre Meinung zum Ausdruck, dass die Regierung sich schämen sollte. »Was die kurdischen Si­cher­heits­be­hör­den den Demonstanten angetan haben, unterscheidet sie von Ba’athisten in rein gar nichts«, sagt Mariwan Halabjaee, Autor des Buches »Sex, Sharia und Frauen in der islamischen Geschichte« und einer der Mitorganisatoren der Proteste.

Wie jedes Jahr seit 2003 wollten Vertreter der kurdischen Regionalregierung am 16. März, dem Jahrestag des Giftgasangriffs auf Halabja, bei dem 1988 5 000 Menschen von Saddam Husseins Regime ermordet wurden, eine offizielle Gedenkfeier in Erinnerung an die Opfer abhalten. Doch die aufgebrachten Bewohner der Stadt wollten die ritualisierte Veranstaltung, bei der sich die Parteifürsten vor ausländischen Gästen und Journalisten profilieren, nicht mehr hinnehmen. »Seit Monaten verlangen die Leute hier von der Regierung, ihre Forderungen nach Entschädigung der Opfer, nach sozialen und wirtschaftlichen Projekten und nach dem lange versprochenen Wiederaufbau endlich zu erfüllen, andernfalls könne niemand sie davon abhalten, die Gedenkfeier im Halabja Memorial Museum zu stürmen. Die Stadt versinkt in Armut, doch die Behörden stellten sich taub und blind«, sagt Fallah Mordakhin, ein Jurist aus Halabja. Er selbst überlebte als Kind den Giftgasangriff in den Berghöhlen an der irakisch-iranischen Grenze.

Als dann am Donnerstag voriger Woche eine Menge von etwa 7 000 aufgebrachte Kurdinnen und Kurden, darunter etliche Angehörige der Opfer von Halabja, die Zeremonie mit Zwischenrufen unterbrach, gegen die Vereinnahmung der Opfer durch die Regionalregierung und gegen die Korruption der Parteien protestierte, geriet die Situation außer Kontrolle. Die Demonstranten stürmten die Gedenkstätte, entfernten die Fotos ihrer Toten, setzten das Gebäude in Brand, zerstörten das Schild an der Einfahrt und blockierten die Zufahrtsstraßen mit brennenden Reifen. Die anwesenden Männer der kurdischen Geheimpolizei schossen in die Menge. Augenzeugen des Institute for War and Peace Reporting berichten, dass ein bereits angeschossener Jugendlicher mit einem zweiten gezielten Schuss getötet worden sei. Etliche Schwerverletzte wurden ins Krankenhaus gebracht.

In einer gemeinsamen Erklärung der beiden kurdischen Parteien PUK und KDP, der islamis­tischen Partei der Islamischen Einheit und der Kommunistischen Partei Kurdistans wurden dann auch gleich die Schuldigen ausgemacht. »Leute, die niemand kennt, völlig Unbekannte« hätten das Desaster zu verantworten. Andererseits erklären sich die Parteien bereit, eine Kommission zu bilden und die Forderungen der Bewohner von Halabja zu prüfen.

Es ist nicht das erste Mal, dass sich Kurdinnen und Kurden aufgrund ihrer wirtschaftlichen und sozialen Interessen gegen die Regionalregierung organisieren. Bereits im September 2005 kam es im nordirakischen Kallar zu sozialen Unruhen, einige Forderungen der Protestierenden wurden anschließend erfüllt. »Auch das ist der neue Irak, trotz aller Rückschritte«, meint Mordakhin. »Bis zur Befreiung im April 2003 herrschten rund um Halabja islamistische Terrorbanden. Wer damals demonstrierte, dem wurde der Kopf abgehackt.«