Links statt lebenswert

Bei den niederländischen Kommunalwahlen haben die linken Parteien fast überall zugelegt. Entscheidend war die überraschend hohe Beteiligung der Niederländer ausländischer Herkunft. von antoine verbij, amsterdam

Die Niederländer ausländischer Herkunft haben bei den Kommunalwahlen am 7. März die Politik in Holland komplett verändert. Die Wahlbeteiligung der »Allochthonen«, wie sie in den Niederlanden genannt werden, näherte sich zum ersten Mal in der Geschichte des Landes der der Au­tochthonen. In den Großstädten haben sich zehn bis 20 Prozent mehr Niederländer ausländischer Herkunft an der Wahl beteiligt als bei den letzten Kom­mu­nalwahlen 2002. Und 80 Prozent dieser Menschen haben linke Parteien gewählt.

Diese große Unterstützung von Linken seitens der Niederländer ausländischer Herkunft hat zu dem Sieg der Sozialdemokraten (PvdA, Partei der Arbeit) wesentlich beigetragen. Dazu kam der sensationelle Auf­stieg der Sozialisten, die in manchen Kommunen zum ersten Mal an der Wahl beteiligt waren und überall große Gewinne verbuchen konnten. Das Ergebnis der Grünen blieb stabil. Das Endergebnis der Kommunalwahlen zeigt das Entstehen einer absoluten lin­ken Mehrheit in den Niederlanden, die sich nächstes Jahr bei den Parlamentswahlen auch auf nationaler Ebene etablieren könnte.

Bei den Kommunalwahlen 2002 hatten die Nieder­lande einen Schock erlebt. Der skurrile Populist Pim Fortuyn erreichte seinen ersten großen Erfolg in Rot­terdam, wo er die frisch gegründete Liste Leefbaar Rotterdam (»Lebenswertes Rotterdam«) zur größten Partei der Stadt machte. Die in Rotterdam seit Jahrzehnten regierenden Sozialdemokraten wurden damals weggefegt. In den vergangenen vier Jahren regierte in der Stadt eine Koalition von Leefbaar Rotterdam, Christdemokraten und Konservativ-Liberalen, die sich erfolgreich insbesondere zwei Hauptthemen widmete: Sicherheit und Integration. Rotterdam hat viele Viertel, wo Ausgrenzung und Drogenkriminalität ein alltägliches Problem sind. Mit Maßnahmen wie der Durchsetzung strenger Verhaltenskodices und zunehmender sozialer Kontrolle hat Fortuyns Partei in Sachen Sicherheit einiges erreicht. Die Rotterdamer Bürger fühlen sich in ihrer Stadt sicherer und haben bei den letzten Kommunalwahlen Leefbaar dafür belohnt, anders als in anderen niederländischen Großstädten, wo die Partei praktisch dezimiert wurde. Trotzdem gewannen in Rotterdam die Sozialdemokraten.

Der harte Kurs der Rotterdamer Leefbaar-Partei wurde auf Kosten von Sozialpolitik, Bildung, Arbeit und Kultur durchgesetzt. Der gesellschaftliche Diskurs in der Politik, aber auch im Alltag hat sich verschärft, die Stadt ist polarisiert. Deshalb spielte im Wahlkampf der Sozialdemokraten das Versprechen einer sozialeren, gerechteren und solidarischeren Politik eine so wichtige Rolle. Doch auch ihr neues Image einer jungen und multikulturellen Partei hat deutlich zu ihrem Sieg beigetragen. Im neuen Rotter­damer Senat sitzen sich jetzt zwei verfeindete Fraktionen gegenüber: eine Fraktion der PvdA und eine etwas kleinere Fraktion der Leefbaar-Partei.

Zu welcher Koalition es kommen wird, ist unklar. Leefbaar Rotterdam hat eine Zusammenarbeit mit den Sozialdemokraten ausgeschlossen und bereitet sich auf die Opposition vor. Die PvdA könnte mit einer rot-rot-grünen Koalition regieren. Im Rotterdamer Senat würde eine solche Kombination, die von Gegnern als »Havanna an der Maas« bezeichnet wird, nur über eine kleine Mehrheit verfügen. Experten erwarten, dass die Leefbaar-Partei in einigen Wochen nachgeben wird und dass sich eine große Koalition von Sozialdemokraten und Leefbaar herausbilden wird.

Das mag ungeheuer erscheinen, ist es aber nicht, wenn man die politischen und gesellschaftliche Entwicklungen seit dem Tod von Pim Fortuyn betrachtet. In den Niederlanden sind Politiker sich inzwischen darüber einig, dass es eine verdienstvolle Leistung Pim Fortuyns war, mit der »alten Politik« einer selbstgefäl­ligen Elite aufgeräumt zu haben. Er machte das mit einer provozierenden Strategie, die, anders als es in der internatio­nalen Presse dargestellt wurde, nicht als rassistisch oder ausländerfeindlich zu beschreiben ist. Die Politik Fortuyns war eine Mischung aus Populismus, Liberalismus, Patriotismus und Exhibitionismus.

Die »alte Politik« hat daraus ihre Lek­tion gelernt. Fast alle Parteien haben seit dem Katastrophenjahr 2002 ihre Führung gewechselt. Insbesondere die Sozialdemokraten haben ein erfolgreiches »Restyling« voll­zogen: Sie werden nun von dem jungen und burschikosen Wouter Bos geführt. Die Sozialisten brauchten dagegen keinen Führungswechsel, weil ihr Vorsitzender, Jan Marijnissen, nach wie vor populär ist und die Partei in manchen Themen, wie beispielsweise Integration, mit der Politik von Leefbaar übereinstimmt. Bereits 15 Jahre vor Pim Fortuyn haben die aus den K-Gruppen der siebziger Jahre stammenden Sozialisten für einen harten Integrationskurs plädiert, mit dem Argument, dass es Einwanderern nur gut tun könne, wenn sie die niederländische Sprache lernen und nicht in Ghettos leben.

Die »alte Politik« hat aber nicht nur die Führung gewechselt, sie hat auch vieles vom politischen Erbe Fortuyns übernommen. Am 7. März ist die Epoche Fortuyns dadurch zu Ende gegangen, dass sein Programm weitgehend von anderen Parteien in die Tat umgesetzt worden ist. Ein harter Sicherheits- und Integrationskurs ist jetzt allgemein akzeptiert, im Wahlkampf tauchte das Thema deshalb kaum auf. Das ist einer der wichtigsten Gründe dafür, dass die Leefbaar überall verloren hat. Ein zusätzlicher Grund ist, dass die Leefbaar-Politiker sich auf kommunaler Ebene als inkompetente, sich untereinander ständig streitende Dilettanten aufgeführt haben. Da war Leefbaar Rotterdam wirklich eine Ausnahme.

Fortuyn ist tot, die »alte Politik« ist tot, und die neue Politik ist eine linke. Die Kommunalwahlen vom 7. März sind in zweierlei Hinsicht denkwürdig. Erstens hat die Politik der christlich-konservativ-liberalen nationalen Regierung eine klare Schlappe erlitten. Zweitens hat eine junge Generation Nieder­länder ausländischer Herkunft, von der Konfrontationspolitik der Leefbaar-Parteien herausgefordert, die Politik erobert. Sollten im Sommer 2007 die Sozialdemokraten von den Wählern das Mandat für eine Regierungsbildung erhalten, steht bereits jetzt fest, dass die Regierung zum ersten Mal in der niederländischen Geschichte einen Minister marokkanischer Herkunft haben wird. Der Amsterdamer Stadtverwalter Ahmed Aboutaleb wird als Minister für Integra­tion die politische Eman­zipation der Niederländer ausländischer Herkunft befördern.