Respekt am Vorabend

Charmant, heiter und nur wenig pädagogisch beschreibt die Fernsehserie »Türkisch für Anfänger« das Leben einer deutsch-türkischen Patchworkfamilie. von deniz yücel

Wie viele Türken waren auf Ihrer letzten Ge­burtstagsfeier? Steht ein Mehmet oder eine Fatma in Ihrem privaten Adress­buch? Haben Sie schon mal einen Türken geküsst? Mit einer Türkin geschlafen? Nimmt man die Rede von der »Integration« beim Wort, sind diese Fragen so unbedeutend nicht. Wo ließe es sich inniger, gründlicher und tiefer integrieren als im Bett? Die schönsten Integrationskurse sind die, die auf den Satz folgen: »Baby, ich will dich integrieren!«

Doch vergegenwärtigt man sich den Anteil der Türken an der Bevölkerung, stellt man fest, dass deutsch-türkische Liebesbeziehungen nicht allzu häufig sind. Unter den knapp 400 000 Paaren, die im Jahr 2004 in Deutschland heirateten, zählte das Statistische Bundesamt 4 900 deutsche Frauen und 1 800 deutsche Männer, die einen türkischen Partner oder eine türkische Partnerin ehelichten. Und bei einem nennenswerten Teil dieser deutschen Staatsangehörigen dürfte es sich um eingebürgerte Türken handeln. Vielleicht ist es überhaupt nicht schlimm, dass sich türkische Männer eher türkische Frauen und Freundinnen und, was noch häufiger ist, türkische Frauen eher türkische Männer und Freunde suchen. Eine kleine soziologische Untersuchung wären die Gründe aber allemal wert. (Kleiner Tipp: Allein daran, dass sämtliche junge türkische Frauen so lange weggesperrt sind, bis sie ungefragt an irgendeinen anatolischen Vetter verkuppelt werden, liegt es nicht.)

Sofern in deutschen Film- oder Fernsehproduktionen überhaupt Türken oder andere in integra­tionspolitischer Hinsicht relevante (schönes Wort) Ausländer auftauchen, die nicht bloß den Gemüsehändler spielen, setzt sich diese Separierung fort. Selbst in der »Lindenstraße«, wohl die bis heute einzige deutsche Fernsehserie, deren Ausländeranteil in etwa dem realen entspricht, verlieben sich die Kanaken vorzugsweise untereinander. Freilich ist das keine deutsche Eigenart. Auch im amerikanischen Kino und Fernsehen herrscht, von wenigen Ausnahmen abgesehen, das Prinzip separate but equal. Die Story mag in einer fernen Zukunft spielen, die Menschheit kann von Maschinen unterdrückt werden und sich im Innern der Erde verstecken, die Partnerwahl funktioniert trotzdem so wie zu Zeiten Martin Luther Kings: Schwarze lieben Schwarze, Weiße lieben Weiße.

Schon deshalb ist die Sitcom »Türkisch für Anfänger«, die seit der vergangenen Woche im Vorabendprogramm der ARD läuft, bemerkenswert. Erzählt wird die Geschichte des alleinerziehenden Polizisten Metin (Adnan Maral), der mit seiner Freundin, der Psychotherapeutin Doris (Anna Stieblich), in ein gemeinsames Haus zieht – sehr zum Unwillen der pubertierenden Kinder Cem (Elyas M’Barek) und Yagmur (Pegah Ferydoni) bzw. Lena (Josefine Preuß) und Nils (Emil Reinke). Die Story erinnert an die biedere Fami­lien­serie »Ich heirate eine Familie«, nur sind die Dialoge flotter und die Figuren fast bis ins Karikaturhafte überzeichnet, und die neue Patchworkfamilie ist eben eine deutsch-türkische.

Während Nils sich nach kurzer Zeit freut, endlich einen Vater zu haben, und sich den coolen Cem zum Vorbild nimmt, hält Lena, aus deren Perspektive die Geschichte erzählt wird, den »albanischen Verbrecher« für ebenso unausstehlich wie dessen Kinder.

Denn Yagmur ist zwar nicht minder schlagfertig als Lena, aber sie ist eine fromme Muslima, die mit dem Kompass prüft, ob das Fenster ihres neuen Zimmers nach Mekka ausgerichtet ist. Jeden Morgen lässt sie sich vom blechernden Gebetsruf wecken, der aus ihrer ­Moschee-Uhr scheppert. Da ihr Zimmer nur durch einen Vorhang von Lenas Zimmer getrennt ist, erlebt diese jeden Morgen einen Kulturschock, wenn der Mullahwecker sie aus dem Schlaf reißt. Die giftigen Dialoge zwischen den beiden zickigen Teenagern (»Schlei­ereule!« – »Nazi!«) gehören zum Besten in der gesamten Serie.

Mag es noch angehen, dass ein Vorzeigetürke, der es zum Polizeibeamten geschafft hat, eine Neomuslima zur Tochter hat, die sich mit Graus vom westlichen Lebensstil abwendet, ist sein Sohn Cem, zumindest soziologisch betrachtet, ein Ding der Unmöglichkeit. In der Realität dürfte man lange nach einem Kind aus der deutsch-türkischen Mittelschicht suchen, das ein solch idealtypisches Krass-Konkret-Deutsch spricht und die passende Jogginghose trägt. Es bleibt unerklärlich, warum Cem den Türkenproleten mimt, aber immerhin kann er, wenn er will, auch Hochdeutsch sprechen. Heimlich schreibt er zur Musik von Cé­line Dion einen romantischen Liebesbrief, den er nachher verleugnet, um sich nicht vor seinem Kumpel bloßzustellen. Auch die unnah­bare und widerspenstige Lena sehnt sich in Wirk­lichkeit nach Geborgenheit und Freund­schaft.

Dass sie all dies in dieser neuen Familie finden wird, ist so vorhersehbar wie die gesam­te Moral der Geschicht’ – Respekt, Toleranz und die Einsicht, dass die Unterschiede in Wirklichkeit gar nicht so groß sind, dass das Zusammenleben aber Regeln braucht. Ärgerlich ist nur, dass die ARD aus Sorge um die Einschaltquoten der Serie vorläufig nur zwölf Folgen eingeräumt hat, weshalb der Autor Bora Dagtekin die Katharsis schon nach wenigen Folgen einleiten muss. Bereits in der zweiten Folge begleitet Lena Yagmur zum Korankurs, in der dritten Folge geht Yagmur mit Lena in eine Diskothek. Doch zum Glück endet beides in einer mittleren Katastrophe, wie auch die Serie heiterer und charmanter ist, als man es von einer pädagogischen Lektion über das »interkulturelle Zusammenleben« erwarten könnte.

Interessanterweise spielen sich die kulturellen Konflikte nicht zwischen den Erwachsenen ab. Die Progressiven sind die Alten, die mit ihrem ständigen Liebesgeflüster den Kindern gehörig auf die Nerven gehen. Metin ist ein ausgesprochen harmoniebedürftiger und sensibler Vater, Doris eine betont antiautoritäre und aufgeklärte Mutter. Doch mit ihrer Freizügigkeit und ihrem aufdringlichen Verständnis engen sie ihre Kinder ein, etwa wenn sie versuchen, Cem bei seinem ersten Stelldichein zu soufflieren oder Lena zu verkuppeln. Metin muss es ertragen, dass seine Kinder viel türkischer sind, als er es je war, und lässt sich von seiner Tochter zum Fasten überreden, Doris hätte nichts dagegen, wenn ihre Tochter mit Sex & Drugs experimentieren würde, muss aber deren Wunsch folgend eherne Vorschriften für den Alltag aufstellen.

In den wenigen Szenen übrigens, in denen Yagmur oder Cem Türkisch sprechen, merkt jeder, der ein bisschen Türkisch kann, dass die beiden Darsteller iranischer bzw. marokkanischer Herkunft sind und es selbst nicht über den Anfängerkurs hinausgebracht haben, den sie für die Serie besuchen mussten. Ihr Türkisch ist so lausig, dass man den Fernseher ausschalten möchte. Doch der interessantere Integrationskurs kommt ohnehin erst am späten Abend.

»Türkisch für Anfänger«, dienstags bis freitags, ARD, 18.50 Uhr