Vive le Pop!

Inzwischen gibt es eine regelrechte Welle des Neo-Chanson, französischer Pop kommt auch in Deutschland an. von christian meier-oehlke

Vor einigen Jahren noch war die Versorgungs­lage dramatisch: Aktuelle französische Musik jenseits von Daft Punk und Air war in der Bundesrepublik nicht bekannt, keine Spur vom neuen Chanson und der »Nouvelle Scène Française«. Import-Tonträger waren schwer zu bekommen, nennenswertes Interesse gab es ohnehin nicht.

Doch auch in Frankreich war die Lage lange Jahre alles andere als rosig. Seit den großen Tagen des Existentialismus und der »Décadence« (Birkin/Gainsbourg) war vom Chanson nichts zu hören, die Neuerer der Szene ließen auf sich warten, zu übermächtig schien das Erbe von Georges Brassens, Serge Gainsbourg und Jacques Dutronc. Musikalisch setz­ten junge Musiker eher auf sperrigen New Wave, viel Plastik-Lolita-Pop, später dann vor allem auf HipHop und natürlich die diversen Spielarten elektronischer Musik. Ansonsten dominierten die Unterhaltungselektronikkette Fnac mit ihrem rein kommerziell ausgerichteten Warenangebot und die kulturprotektionistische Quote für französischsprachige Musik im Radio. Zaghafte Neuerungen versprachen die frühen neunziger Jahre, als in Nantes das Label Lithium gegründet wurde, auf dem in den folgenden Jahren die wichtigsten und einflussreichsten Platten der »Nouvelle Scène Française« erscheinen sollten. Die Zeitschrift zum Trend war das 1988 ins Leben gerufene Blatt Les Inrockuptibles – ein Wortspiel aus »Rock« und »unbestechlich« –, Musik zur Zeit für Frankreich gewissermaßen, plus Film, plus Literatur. Neue Namen galt es fortan zu lernen. Philippe Katerine und Dominique Ané aka Dominique A. etwa, die beide 1992 ihre ersten Tonträger einspielten: Vier-Spur-Aufnahmen, neuer französischer Minimalismus, Aufbruchstimmung. Bis die neue Welle des Chanson sich allerdings nach Osten ausbreiten konnte, dauerte es.

Zwei Kölner leisteten da nach der Jahrtausendwende Pionierarbeit. Oliver Fröschke und Rolf Witteler veröffentlichten im September 2002 den ersten »Le Pop«-Sampler, seitdem wächst das Interesse an französischsprachiger Musik hierzulande spürbar. Eine der neuen Stimmen, die damals aufhorchen ließen, war die von Françoiz Breut, einer jungen Sängerin aus Cherbourg, die zur besagten Compila­tion den wunderbaren Beitrag »Si Tu Disais« beisteuerte. Madame Breut musste der Legende nach von ihrem damaligen Freund Dominique Ané zum Singen überredet werden. Zunächst versuchten sich die beiden eher mutlos an Coverversionen von X-Ray Spex und Blondie, später dann interpretierte Breut die Songs ihres Freun­des. 1997 erschien ihr Debüt: melancholische Chan­sons mit sehr US-amerikanischen, fast westernhaften Gitarren und großartigen, anrührenden Texten. Und die Stimme! Markant, ohne Pathos und gänzlich ohne das oft üb­liche französische Naivitätsgehabe. Kein Wunder also, dass von »Si Tu Disais« vom zweiten Breut-Album mit dem Titel »Vingt À Trent Mille Jours« auch Joey Burns von Calexico derart angetan war, dass er eine Coverversion des Songs mit seiner Band auf­nahm.

Burns hatte Françoiz Breut bereits 1997 in Frankreich kennen gelernt: »Seitdem kreuzen sich die Wege von Joey und mir zweimal pro Jahr, und dann beschließen wir gemeinsame Projekte, trotz der großen Distanz. Als ich in Nantes wohnte, hat mich Joey zu Calexico-Auftritten in England und Deutsch­land eingeladen und mir bereits bei meinem zweiten Album seine Stimme geliehen. Und auch auf meiner neuen CD hat er mich sehr unterstützt, nicht nur als Sänger und mit seinem Kontrabass«, beschreibt Breut die entstandene Freund­schaft.

Mittlerweise ist »Le Pop« ein Markenzeichen in der Bundesrepublik, eine kleine muntere Mittelschichtsnische. Die immer noch vielseitige und stets Neues bietende Compilation-Reihe ist mitt­lerweile beim vierten Teil angelangt, zwei Alben von Jérôme Minière (Wahlheimat: Quebec) sind auf dem hauseigenen Label als deutsche Lizenz erschienen. Ebenso das Debüt von Mathieu Boo­gaerts mit dem Titel »Michel«. Und natürlich »Une Saison Volée«, das aktuelle dritte Album von Fran­çoiz Breut.

Breut, die seit vier Jahren in Brüssel lebt und nebenbei noch als Illustratorin arbeitet, hat das Potenzial, hierzulande richtig erfolgreich zu werden, beliebt bei einem Indiepublikum und Weinliebhabern gleichermaßen. Die Presse zeigt sich ebenfalls begeistert. Gerne und oft wird die Sängerin mit Fran­çoise Hardy verglichen. Das ist ein vordergrün­dig eventuell nahe liegender (Vorname, Sprache), dennoch ziemlich unsinniger Vergleich (Stim­me, Texte, Instrumentierung). Vielleicht ist das auch nur ein simpler Kniff, um dem Phänomen Neo-Chanson oder auch Post-Chanson zu begegnen. Breut selbst kennt das musikalische Oeuvre von Hardy gar nicht mal besonders gut. Dass sich auf »Une Saison Volée« eine Coverver­sion des Hardy-Erfolgs »Le Premier Bonheur Du Jour« befindet, sei purer Zufall, sagt sie: »Die erste Version, die ich von dem Song gehört habe, stammte von der brasilianischen Band Os Mutantes. Die hat mir sehr gefallen, erst danach habe ich die Originalversion entdeckt. Ich mag die frühen Chansons von Françoise Hardy, den Rest weniger. Sie ist beileibe kein Idol von mir, ich mag die surrealistischeren Sachen von Sängerinnen wie Brigitte Fontaine lieber.« Auch mit der Be­zeich­nung »Chanson« generell habe sie so ihre Probleme: »Ich mache Musik, die universal ist. Natürlich singe ich auch auf Französisch, aber wenn ich meine Musik Chanson nenne, leugne ich meine außerfranzösischen Einflüsse. Kategorien sind nicht wichtig.«

Bislang hat sie – dabei ganz der französischen Tradition der Interprète im Geiste von Edith Piaf oder Juliette Greco folgend – ausschließlich Songs interpretiert. Die Liste ihrer Autoren ist lang: Do­minique A. natürlich, Jérôme Minière, Philippe Katerine und Philippe Poirier, dazu auf dem zweiten Album Yann Tiersen als Komponist und Arrangeur. Auf »Une Saison Volée« kom­men noch Federico Pellegrini, Fabio Viscogliosi, Jaime Cristobal und die schwedisch-französische Band Herman Düne dazu. Kein Song von einem belgischen Musiker: »Ich bin musikalisch eher mit Frankreich verbunden, dort leben auch die meisten meiner Musikerkollegen. Die französischsprachigen Belgier haben zudem einen Komplex und schreiben nicht gerne in ihrer Sprache. Außerdem habe ich tatsächlich noch keinen belgischen Autoren getroffen, der mich interessiert hätte.«

Auf die Vielzahl von Autoren angesprochen, er­zählt Breut von Kollegen aus den Zeiten ihres ers­ten Labels Lithium, Bekannten, befreundeten Mu­sikern, die Songs für sie geschrieben oder ihr eigene Songs zur Interpretation gegeben hätten. Zufällige Treffen, Kontakte, Konzerte haben ihr übriges getan. Bei Reisen, kleineren Touren und Studioaufnahmen in Spanien sei die Zahl der Autoren dann gewachsen.

So erklärt sich auch die Vielfalt der Sprachen: Auf der Platte singt Breut auf Englisch, Spa­nisch, Italienisch und natürlich Französisch, ein Experiment, wie sie betont. Und eine Herausforderung, da Sprachen eigentlich gar nicht so ihre Sache seien, sie aber die verschiedenen Klangfarben dennoch möglichst originalgetreu, korrekt und ohne größeren Akzent wiedergeben wollte. Jetzt allerdings sei es an der Zeit, eigene Texte zu schreiben: »Ich habe Lust, auf meiner nächsten Platte anders vorzugehen, nachdem ich jetzt auf drei Alben ausschließlich Fremdkompositionen angenommen habe. Jetzt habe ich seit einem Jahr meine feste, eigene Gruppe und möchte eigene Texte schreiben, eigene Kompositionen entwickeln. Mal sehen, vielleicht wird das aber auch eine Katastro­phe.«

Die Wartezeit bis zum nächsten Album indes soll nicht mehr so lang werden. Nach der aktuellen Tour, wahrscheinlich im Juni, wolle sie sich hinsetzen und mit den Vorarbeiten beginnen.