»Am Ende siegt immer das Gute«

Nina-Friederike Gnädig

Kennen Sie Menschen, die werktags nie zwischen 19.15 und 19.45 Uhr erreichbar sind? Haben Sie sich gefragt, wer Lisa und David sind, über die sich Ihre Bekannten so angeregt unterhalten? Des Rätsels Lösung könnte die Tele­novela »Verliebt in Berlin« sein, die in Sat.1 läuft. Mehr als fünf Mil­lionen Menschen schauen zu, etwa drei Viertel von ihnen sind Frauen. Im vorigen Jahr wurde die Serie als »beste tägliche Sendung« mit dem Deutschen Fernsehpreis ausgezeichnet.

Nina-Friederike Gnädig spielt darin das Gegenstück zur herzensguten, aber unattraktiven Hauptfigur. Sie hat an der Hochschule für Musik und Theater in Leipzig studiert und schreibt derzeit ihre Abschlussarbeit. Mit ihr sprach Deniz Yücel.

Warum sind Telenovelas eigentlich immer so einfach gestrickt?

Sie können jede Geschichte in einem einzigen Satz zusammenfassen. Aber wir haben über 300 Folgen gedreht, und darin ist jede Figur komplexer gestrickt als in vielen Spiel­filmen. Nur auf den ersten Blick erscheinen die Rol­len schwarz und weiß, innerlich sind sie viel farbiger. Ist es nicht arrogant, von vornherein ein solches Urteil zu fällen?

Was gibt »Verliebt in Berlin« den Mil­lionen Menschen, die Tag für Tag zuschauen?

Den großen Erfolg kann man an verschiedenen Aspekten festmachen. Da ist das Märchen vom hässlichen Entlein, das zum schönen Schwan wird. Da ist die Verbindung aus der Glitzer- und Glamourwelt der Modebranche, in der das Ganze spielt, mit der bodenständigen Realität der Protagonistin Lisa und ihrer Familie. Die Zuschauer sehen, dass die schönen Menschen nicht immer klug sind und dass die weniger schönen Men­schen nicht nur die Verlierer sind.

Man kann das Ganze auch politisch betrach­ten. Die Telenovelas kommen aus Süd­ame­ri­ka, wo sie gerade in den Favelas sehr beliebt sind. Dass dieses Format jetzt in Deutschland eine Chance hat, liegt vielleicht auch an der wirtschaftlichen Depression. Die Menschen brauchen eine Orientierung und wollen sehen, dass am Ende das Gute siegt, wenn man nur seinen Werten treu bleibt.

Man könnte einwenden: Die Leute werden eingelullt, und es wird davon abgelenkt, dass in der Wirklichkeit nicht das Gute siegt.

Es ist jedem freigestellt, den Fernseher ein- oder auszuschalten.

Wie würden Sie die Figur Sabrina Hofmann beschreiben, die Sie spielen?

Sie vereint, zumindest nach außen, fast alle schlechten Eigenschaften, die ein Mensch haben kann. Sie ist zickig, sie ist intrigant, sie ist ein Luder. Und doch glaube ich, dass sie ein gutes Herz hat, selbst wenn sie es selten ihren Mitmenschen zeigt. Das ist das Interessante an der Figur.

Werden am Ende Lisa und David zuein­ander finden? Und was wird aus Sabrina und Jürgen?

Wäre es nicht langweilig, wenn ich diese Frage beantworten würde?

Aber die Schauspielerinnen und Schauspieler kennen das Ende der Geschichte?

Wir kennen die Geschichte ungefähr vier Wochen im Voraus, so können wir in eine entsprechende Richtung spielen. Aber ich möchte das Ende gar nicht erfahren, weil es auf diese Weise auch für uns spannend bleibt. Man spielt alle Optionen mit und verhält sich nicht so eindeutig.

Wie wird eine Telenovela gedreht?

Wir drehen jeden Tag eine Folge von 25 Minuten. Das ist ein sehr hohes Pensum, wenn man bedenkt, dass bei einem Spielfilm zwei oder drei Minuten täglich gedreht werden. Gesendet wird jede Folge etwa sechs Wochen nach dem Dreh.

Wegen des großen Erfolges wurde »Verliebt in Berlin« verlängert. Hat dies der Geschichte gut getan?

Wir haben sehr gute Autoren. Und der Quotenerfolg spricht für sich. Außerdem haben wir einen neuen Hauptdarsteller bekommen, mit dem sich zusätzlich neue Möglichkeiten eröffnen.

Seither geht es viel häufiger um die Firma. Die Dialoge wirken manchmal wie handgestricktes Managerdeutsch, während die Firma wie ein Ponyhof erscheint.

Finden Sie? Es ist doch gar nicht so, dass sich alle lieb haben. Auch wenn man in einem täglichen Fernsehformat solche Dinge nur andeuten kann, wird bei »Verliebt in Berlin« immerhin gearbeitet. Man sieht, wo jeder sein tägliches Brot verdient. Das zeigen die wenigsten Formate. Andererseits wäre es langweilig, wenn sich alles nur darum drehen würde. Dass es in einer Firma zwischenmenschliche Beziehungen und Konflikte jedweder Art gibt, dass sich Menschen sogar ineinander verlieben, finden Sie doch auch in der Realität.

Die Stadt Berlin taucht im Namen auf, zwischen einzelne Szenen werden Bilder aus der Stadt geschnitten. Welche Rolle spielt Berlin für die Serie?

Die Stadt ist sicher keine zufällige Kulisse. Man könnte sagen: Berlin ist das Amerika Deutschlands, die Stadt der tausend Möglichkeiten. Berlin ist eine Stadt im Werden und ist voll mit den Hoffnungen der Menschen, die hierherkommen. Ob die Stadt auch hält, was sie verspricht, ist eine andere Frage, aber hier lebt die Hoffnung, dass man vom Tellerwäscher zum Millionär werden kann. Darum geht es auch bei uns. Und Berlin vereinigt Deutschland wie keine andere Stadt.

Ost und West sind in der Serie zwar präsent, aber ist Berlin in Wirklichkeit nicht viel schmutziger und ärmer?

Sicher, aber wir drehen doch keinen Dokumentarfilm. Und die Hauptfigur ist nicht Berlin, sondern Lisa Plenske. Berlin dient vielmehr als Symbol.

Sie haben im Dresdner Staatsschauspiel die Portia im »Kaufmann von Venedig« gespielt. Ist die Telenovela ein Abstieg? Oder sind die Unterschiede zwischen Shakespeare und »Verliebt in Berlin« gar nicht so groß?

Das ist ja eine amüsante Fangfrage!

Sollte es gar nicht sein.

Es ist das Privileg eines Schauspielers, viele Leben zu haben, und ich hätte das Angebot nicht angenommen, wenn es für mich keine Herausforderung gewesen wäre. Wissen Sie, an der Schauspielschule bemüht man sich, arbeitet wochenlang an einer Rolle, träumt davon, lebt dafür – und dann kommen 50 Leute zur Aufführung. Hier hat man drei Szenen, die man so gut wie möglich zu spielen versucht – und erreicht ein Millionenpublikum. Egal, wo man spielt, die Aufgabe eines Schauspielers sollte es immer sein, die Menschen zu berühren. Wenn ich es schaffe, dass jemand zu mir sagt: »Das hat mich nachdenklich gemacht«, oder: »Das hat mich beeinflusst«, dann ist dies das Größ­te, was ich in meinem Beruf erreichen kann.

Die Leute kommen auf Sie zu?

Ich werde häufig auf der Straße angesprochen, ich habe Kontakt zu unterschied­lichen Leuten, der Fahrkartenkontrolleur wie der Arzt kommen auf mich zu, die Frau an der Kasse, die Putzfrau. Ich lerne dadurch Menschen kennen, zu denen ich sonst nie Kontakt hätte. Ein bisschen Demut tut da gut. Ich lerne die Welt aus anderen Perspektiven kennen und sehe Dinge, die sich mir im intellektuell geschützten Kosmos der Schauspielschule vielleicht nicht so leicht erschließen würden.

Überrascht es die Menschen, dass Nina-Friederike Gnädig viel besser formatieren kann als Sabrina Hofmann?

Sie sind ja ein treuer Gucker!

Sie wissen, worauf ich anspiele?

Natürlich, das war ein Satz von Sabrina Hofmann, und zwar in der Szene, in der sie auf die Bühne steigt und sagt: »Ich weiß, ich kann das jetzt vielleicht rhetorisch nicht so gut formatieren, aber was ich sagen wollte, war …« Und dann legt sie gegen Richy los.

Ob aber die Menschen den Unterschied zwischen Nina und Sabrina sehen, kommt darauf an, wie lange wir versuchen, unsere jeweiligen Weltsichten miteinander zu »formatieren«. Die Leute haben von Sabrina Hofmann ein bestimmtes Bild, und es ist schön, wenn sie dazu bereit sind, sich auch ein Bild von Nina machen.