Ein Traum von einem Mann

Berlusconi hat die italienische Gesellschaft grundlegend verändert. Er verkörpert den Lebensstil der modernen Konsumgesellschaft. von guido caldiron, rom

Ich bin der Fleisch gewordene italienische Traum«, sagt Silvio Berlusconi in einem Interview mit dem amerikanischen Journalisten Alexander Stille in dessen kürzlich auf Deutsch erschienenem Buch »Citizen Ber­lusconi«. Doch so unbescheiden diese Aussage klingen mag, allzu übertrieben ist sie sicher nicht. Man könnte sogar sagen, dass Berlusconi selbst den »italienischen Traum« erfunden hat. In den achtziger Jahren schuf der vormalige Bauunternehmer ein System von privaten Fernsehsendern, die kein anderes Ziel hatten, als Tag und Nacht ihr Publikum mit der Idee eines neuen Wohlstands zu berieseln. Langfristig schuf er sich auf diese Weise seine eigene Wählerschaft.

In diesen Programmen spiegelten sich die grundlegenden ökonomischen und gesellschaftlichen Veränderungen wider, die das Land seit den siebziger Jahren durchlebt hatte. Der »italienische Traum« ist nichts anderes als die Entstehung einer Gesellschaft, in der die Bedeutung der Fabrikarbeit schwindet und in der traditionelle Formen der Lohnarbeit eine immer kleinere Rolle spielen. Es handelt sich um eine Gesellschaft der immateriellen Produktion, in der Wissen und kulturelle Formen verwertet werden.

Nach »Tangentopoli«, dem gigantischen Par­teispendenskandal der neunziger Jahre, und dem darauf folgenden Zusammenbruch des politischen Systems in Italien waren die Wähler reif für eine neue politische Ära. Berlusconi nutzte mit seiner Partei Forza Italia die Gunst der Stunde. Durch seine Fernsehkanäle hatte er bereits zu einer grundlegenden Umwälzung der italienischen Gesellschaft beigetragen.

Ihm war klar geworden, dass es in einer Konsumgesellschaft darauf ankommt, Konsum zu zelebrieren. Seine Fern­sehsender taten nichts anderes, als die kulturellen und sozialen Werte der Konsumgesellschaft zu propagieren: persönlicher Erfolg, Besitz und Luxus. Berlusconi verkörperte diesen Lebensstil, er war tatsächlich der Fleisch gewordene »italienische Traum«.

Mit dem ersten Wahlsieg des rechten Bündnisses aus Forza Italia, der regionalistischen Lega Nord und den Postfaschisten im Jahr 1994 wurde die populistische Wende eingeleitet. Mit dieser Koalition kamen Verfechter eines postindustriellen Liberalismus, ausländerfeindliche Populisten und bekennende Nostalgiker des Faschismus an die Macht. Zum ersten Mal in der Geschichte des republikanischen Italien war es einer »neuen« Rechten gelungen, die Vorstellungen großer Teile der Gesellschaft zu repräsentieren.

Treffend beschreibt der französische Politologe Guy Hermet in seinem Essay »Les populismes dans le ­monde« das Italien jener Zeit als eine Art Werkstatt des Populismus. Er spricht von Medienpopulismus, der erfolgreich eine »anti­politische« Auffassung von Politik vermittelt, sich von der schweren Last der Vergangenheit befreit und die Kommunikationstechnologien intensiv genutzt habe. Das Ziel war es, die »Ware Politik« zu verkaufen und die Ideologie zu verbreiten, dass sich der Staat wie ein Unternehmen verwalten lasse.

Vergleichbare Entwicklungen finden sich allenfalls in einigen latein­amerikanischen Ländern, aber nirgends in Eu­ropa. Zum Beispiel in Brasilien, wo im Jahr 1989 der Wahlkampf von Fernando Collor de Mello für die Präsidentschaftswahl von dem mächtigen Fernsehsender Globo unterstützt wurde.

Zehn Jahre nach dem ersten Wahlsieg der Mitte-Rechts-Koalition und nachdem die zweite Berlusconi-Regierungszeit ohne eine vorzeitige Auflösung des Parlaments­ zu Ende geht, stellt sich die Frage, wie sich Berlusconi und seine Forza Italia so lange an der Macht halten konnten. Schließlich hatte alles mit der Krise des alten politischen Systems und der ökonomischen Restrukturierung des Landes begonnen, und überall hielt man das »Experiment Berlusconi« für eine gewagte politische Improvisation. Doch das von Berlusconi verkörperte Pro­jekt ist längst mehr als der Ausdruck einer »Pro­testhaltung«, wie es oft beschrieben und zugleich verharmlost wurde. Es handelt sich nicht, wie Hermet schreibt, um ein »Überbleibsel der rechten Vergangenheit«, sondern um ein »bitteres Symptom der Moderne und ihrer Widersprüche«.

Berlusconi hat vom Misstrauen und von der Aversion gegen die traditionelle Politik profitiert, die in der Gesellschaft verbreitet waren und es noch sind. Und er hat dazu beigetragen, ein kontinentales Modell der Antipolitik zu schaffen.

Der Held der Antipolitik hat nun fünf Jahre lang eine Regierung geführt und eine Vielzahl von repressiven Gesetzen verabschiedet, von den Immigrations- und Drogengesetzen bis hin zu den »Reformen« in den Bereichen Arbeit und Bildung. Berlusconi und seine Regierung haben eine Art Gegenrevolution vollzogen, die den schon vor ihrem Amtsantritt begonnenen Abbau der sozialen Sicherungssysteme und die Abschaffung der politischen und gewerkschaftlichen Errungenschaften der siebziger und der achtziger Jahre fortführte.

Die vergangene Legislaturperiode hat auch die politische Legitimation der Postfaschisten besiegelt. Die »Demokratisierung« der Alleanza Nazionale wird von niemandem mehr ernsthaft bezweifelt. Sie begann 1995, als sich die postfaschistische Partei Movimento Sociale in Alleanza Nazionale umbenannte, und gipfelte im Jahr 2003 in einem Besuch des damaligen Vizepremierministres Gianfranco Fini in Israel. Der heutige Außenminister entschuldigte sich damals für die faschistischen Verbrechen und bezeichnete den Faschismus als »absolutes Übel«.

Auf der anderen Seite konnte die rechtspopulistische Lega Nord insbesondere seit den Anschlägen vom 11. September 2001 ununterbrochen mit rassistischen Untertönen zu einem antiislamischen Kreuz­zug aufrufen. Dessen bisheriger Höhepunkt war das peinliche Spektakel um den inzwischen zurückgetretenen Minister Roberto Calderoli, der in einer Fernsehshow sein T-Shirt mit einer Mohammed-Karikatur zeigte.

Mit Berlusconi haben sich nicht nur neue politische Inhalte durchgesetzt, sondern auch ein neuer Führungsstil. Seine Auffassung von Gesellschaft und Politik hat gravierende Schä­den verursacht, die nur sehr schwer wie­der zu reparieren sein werden.

Der Kern des »Berlusconismus« besteht darin, die politische Debatte auf die Ebene des privaten Verhaltens zu reduzieren und volkstümliche und brutale Denk-, Sprech- und Verhaltensweisen in den politischen Kontext zu übertragen. Diese Form des populistischen Regierens sollte die Distanz zwischen Privatem und Politischem überwinden und die Logik der privaten Interessen in die öffentliche Sphäre übertragen. Es spricht einiges dafür, dass ein so verstandener »Berlusconismus« auch im Fall einer Wahlniederlage der Rechten erhalten bleibt.