Flundern auf dem Trockenen

Immer mehr Unternehmen entdecken die unschlagbar billige Arbeitskraft der Praktikanten. In Europa regt sich dagegen Widerstand. von ralf hutter

Die Prekarisierung der Arbeitsverhältnisse ist bereits seit einiger Zeit Gesprächsthema. Die zu dem Begriff gehörigen Merkmale wie z.B. kurzfristige Anstellungen, geringer Lohn, keine Einzahlung in die Sozialversicherung können heutzutage große Bevölkerungsteile mit den so genannten Ein-Euro-Jobs assoziieren, was letztgenannte zunehmend in Verruf gebracht hat.

Nicht immer zur Sprache kommt beim Thema Prekarisierung allerdings, dass es massenhaft Menschen gibt, die über mehrere Jahre hinweg immer wieder befristete Arbeitsverhältnisse ohne Sozialversicherung eingehen und dafür überhaupt keine Bezahlung bekommen. Das sind vor allem junge Menschen, die sich von Praktikum zu Praktikum hangeln in der Hoffnung, dadurch in ein »reguläres« Lohnarbeitsverhältnis zu kommen. Eine Hoffnung, die auch von ihnen selbst zunichte gemacht wird, indem sie durch ihre permanente hoch qualifizierte Arbeit insgesamt eben diese erwünschten Beschäftigungsverhältnisse zunehmend ersetzen.

Da dieser Trend zur Prekarisierung der Lohnarbeit ein internationaler ist, muss auch der Widerstand dagegen international angelegt sein. Während bisher in diesem Zusammenhang nur von der Gruppe »Génération Précaire« in Frankreich Proteste organisiert wurden (Jungle World, 48/05), soll am 1. April unter dem gleichen Etikett ein dezentraler Aktionstag in mehreren Ländern stattfinden. Bis dahin soll auch die mehrsprachige Internetseite der »europäischen PraktikantInnen-Bewegung« (www.generation-p.org) online sein. Kundgebungen sollen in Brüssel, Toulouse, Lille, Paris, Stuttgart, Dresden, Berlin und möglicherweise in Italien stattfinden. Organisiert wird der Ak­tions­tag in Frankreich von der »Génération Précaire«, in Deutschland von dem Lobbyverein für Hochschulabsolventen (fairwork) sowie der DGB-Jugend, in Brüssel von einer autonomen Gruppe.

Das Datum des Protesttags wurde mit dem dazugehörigen Motto abgestimmt: »Erst Praktikum, dann Job? April, April!« In vielen europäischen Unternehmen wird mit der Aussicht auf Jobs, für die erst einmal ein Praktikum absolviert werden muss, auf »Flundernfang« gegangen. Floundering period lautet ein geflügeltes Wort aus den Sozial- und Wirtschaftswissenschaften, mit dem darauf hingewiesen wird, dass immer mehr Menschen zwischen Ausbildung und (eventueller) Berufsausübung eine ganze Weile »herumzappeln«, wie Flundern auf dem Trockenen.

Die Tatsache, dass auch ein akademischer Abschluss nicht unbedingt zum Erfolg führt, werde auf höchster politischer Ebene erst allmählich zur Kenntnis genommen, klagt Jessica Heyser von der Jugend-Abteilung im DGB-Bundesvorstand. Gleiches gelte für den Fakt, dass ein unbezahltes Prak­tikum nur machen kann, wer von anderer Stelle Geld bekommt. Staatliche Transferleistungen sorgten also oft dafür, dass die Wirtschaft einen besseren Schnitt mache. Auch SPD-Politiker seien lange Zeit der Meinung gewesen, dass zur Lösung etwaiger Missstände die bestehende Rechtslage ausreiche, so Heyser.

Nun gibt es tatsächlich gesetzliche Grundlagen, die für ein Praktikum fest­legen, dass der Erwerb beruflicher Kenntnisse im Vordergrund stehen muss. Allerdings ist es im Nachhinein oft nicht so leicht zu beweisen, dass eine Praktikantin oder ein Praktikant Arbeiten verrichtet hat, für die ei­gent­lich ein »Nor­mal­ar­beits­verhältnis« angemessen gewesen wäre. Obwohl es hin und wieder gelingt, vor Gericht rückwirkend ein angemessenes Salär zu erstreiten, ist die Definition, was ein Praktikum ausmachen sollte, nicht hinreichend und muss verbessert werden.

Die Aktion am 1. April wendet sich explizit an junge Leute, da diese auf europäischer Ebene die Mehr­zahl der Betroffenen stellen. Anders als in Deutschland ist die Jugendarbeitslosigkeit in Frankreich besonders hoch. In Italien rührt das Wohnen junger Erwachsener im »Hotel Mama« auch von der extrem schlechten Bezahlung in der Berufsanfangszeit her, der Auszubildende genau so ausgesetzt sind wie Prekarisierte mit Hochschuldiplom. Eine zusätzliche europäische Dimension bekommt die Problematik dadurch, dass es gerade die EU-Institutionen waren, die bereits vor Jahrzehnten als ers­te damit begannen, massenhaft unbezahlte Prak­tikanten einzustellen. Der Ansturm derer, die auch ohne Lohn ein paar Monate für Europa ackern, ist immer noch riesig.

Die Proteste werden als Performances angemeldet, damit alle Teilnehmer gemäß dem französischen Vorbild weiße Gesichtsmasken tragen können, die einerseits die Namenlosigkeit derjenigen ausdrücken sollen, für die unbeständige Arbeitsverhältnisse normal sind, und die andererseits für Anonymität sorgen – schließlich soll ja nicht ein potenzieller Jobanbieter vergrault werden.

Es ist richtig, darauf hinzuweisen, dass sich ein Wandel im Kampf um die gesellschaftlichen Res­sour­cen vollzieht, der dazu führt, dass einzelne Menschen mehrere schlecht oder gar nicht bezahlte Jobs auf sich nehmen müssen. Und dieser Wandel hat zudem eine zweite Ebene, da das »Herumzappeln der Flundern« sich auch darauf bezieht, dass die jungen Leute mit der Hochschule zwar den studentischen Status der Jugendlichkeit verlassen, jedoch im Erwachsenenstatus des festen Lohn­arbeitsverhältnisses nicht richtig ankommen. Im un­günstigsten Fall müssen sie sich wieder von den Eltern – falls diese dazu in der Lage sind – versorgen lassen.

Doch genau hier müsste die Kritik ansetzen: Es ist offensichtlich, dass niemand nach dem Studium langfristig unbezahlte Praktika macht, wenn dabei der Lebensunterhalt von abendlichen oder nächtlichen Jobs abhängt. Das können nur diejenigen, die aus einem wohlhabenden Elternhaus oder einer »finanzstarken Bedarfsgemeinschaft«, wie das heutzutage heißt, kommen, die also zwischendurch immer mal wieder zu Hause wohnen können und ansonsten alle paar Monate oder gar Wochen mit ihrem Laptop und ein paar Gepäckstücken umziehen – dem nächsten Praktikum hinterher, einer Karriere auf der Spur, die zumeist nicht zustande kommt. Sie sind es auch, die das Spiel mitspielen und am Laufen halten.

Auf Spiegel Online war bereits im September 2004 zu lesen, dass vor allem Frauen Probleme damit hätten, sich nach dem Studium auf dem Arbeitsmarkt zügig durchzusetzen und somit längere prekäre Zeiten des Durchwurstelns programmiert seien. Mit der Zeit käme dann das Kinderkriegen als ernsthafte Alternative für die Lebensplanung auf. Nun können also die frohlocken, die schon immer gewusst haben, dass mit einer Gesellschaft von Singlehaushalten, in der alle Karriere machen wollen, kein Staat zu machen ist. Mehr Prekarität, mehr deutsche Kinder!