Handeln gegen den Freihandel

Die Indígenas in Ecuador befinden sich im Aufstand, die Regierung verhängt den Notstand. Dem Präsidenten könnten die Proteste zum Verhängnis werden. von sören maier

Knapp ein Jahr ist es her, dass der damalige Präsident Lucio Gutiérrez vor den aufgebrachten Massen fliehen musste. Als ihn das ecuadorianische Parlament seines Amtes enthoben hatte und von Demonstranten der Start seines Privatjets verhindert wurde, blieb ihm nichts anderes übrig, als in der brasilianischen Botschaft um Asyl zu bitten. Damit war er innerhalb von acht Jahren der dritte Staatschef Ecuadors, der durch Proteste gestürzt worden war. Der derzeitige Präsident Alfredo Palacio könnte schon bald Nummer vier werden.

Seit Mitte März finden in Ecuador Massenproteste statt, zeitweise waren in elf der 20 Provinzen sämtliche Hauptverkehrsstraßen blockiert. Organisiert werden die Proteste in erster Linie von der Konföderation der indigenen Nationalitäten Ecuadors (Conaie). Die Organisation vertritt indigene Bauern, die rund ein Drittel der Bevölkerung ausmachen. Vergangene Woche erklärte der Präsident der Conaie, Luis Macas, dass sich die Indígenas »im Aufstand« befänden und die »diktatorische« Regierung Palacios nicht mehr anerkennen würden. Wegen des »Mangels an Initiative und Intelligenz« werde man nicht weiter mit ihr verhandeln.

Palacio seinerseits hatte bereits zuvor verkündet, dass er kein Interesse an Gesprächen habe. Stattdessen sprach er von einer Verschwörung, um das Land zu destabilisieren und »die fundamentalen Institutionen der Demokratie zu zerstören«. Die vermeintlichen Geldgeber dieser Verschwörung wurden auch gleich genannt: die NGO. »Wenn sich herausstellen sollte, dass sie an der Finanzierung beteiligt gewesen sind, werden sie aus dem Land gewiesen«, drohte Regierungssprecher Enrique Proaño. Auch Hugo Chávez wurde als Hintermann des Aufstands genannt, wofür sich der Regierungssprecher allerdings am Samstag beim Botschafter Venezuelas entschuldigen musste.

Die Proteste richten sich in erster Linie gegen das geplante bilaterale Freihandelsabkommen mit den USA, über das Regierungsvertreter derzeit in Washington verhandeln. Die Conaie fordert ein Referendum sowie die Offenlegung der Teile des Abkommens, die unter die »Vertraulichkeitsklausel« fallen. Große Sorge bereitet der Bevölkerung besonders die Privatisierung des Ölsektors, die durch das Freihandelsabkommen noch stärker vorangetrieben würde. Ecuador ist der viertgrößte Exporteur und der sechstgrößte Produzent von Erdöl in Lateinamerika, mehr als die Hälfte der Wirtschaftsleistung des Landes hängt von dem Rohstoff ab. Doch mehr als 60 Prozent der Landbewohner leben in extremer Armut, und fast ein Viertel der Bevölkerung sah sich gezwungen, außerhalb Ecuadors Arbeit zu suchen. So wird von vielen das Erdöl als einziges Kapital des armen Landes angesehen, und der Regierung wird vorgeworfen, es an die USA zu verschleudern. Conaie fordert, dass die Lizenz für den US-Ölkonzern Oxy zurückgezogen wird.

Am Dienstag der vergangenen Woche verhängte Präsident Palacio über fünf Provinzen den Not­stand, um die Blockaden räumen zu lassen. Dadurch wird die Versammlungs- und Meinungsfreiheit stark eingeschränkt. Nach Angaben der Conaie wurden bei Zusammenstößen mit der Polizei bisher etwa 50 Menschen verletzt und über 150 festgenommen.

Ende voriger Woche begannen die Indígenas damit, die Blockaden aufzulösen. Die Conaie wertet den Aufstand bereits jetzt als Erfolg: »Wir haben die Regierung gezwungen, das Thema des Freihandelsabkommens öffentlich zu diskutieren.« Ihr Vizepräsident Santiago de la Cruz erklärte, dass die Proteste nicht beendet seien, sondern »vorübergehend ausgesetzt« würden. Am Freitag dieser Woche wollen sich die Protestierenden zur »Neubestimmung der Aktionen« in der Andenstadt Riobamba versammeln. Palacio wird derweil vielleicht dafür sorgen, dass ein Jet startbereit ist.