»Meine Kandidatur ist ein Angriff«

Ein Gespräch mit francesco caruso, einem Anführer der süditalienischen »Disobbedienti«, der für die Rifondazione Comunista zu den Parlamentswahlen kandidiert

Wie viele Strafverfahren laufen derzeit gegen Sie?

Von Innenminister Giuseppe Pisanu habe ich neulich im Radio gehört, dass es 33 Anklagen seien. Bislang wusste ich nur von 28.

Würden Sie von Ihrem Recht auf parlamentarische Immunität Gebrauch machen?

Nein. Die Repression ist nicht nur mein Problem, sondern betrifft die gesamte Bewegung. Wegen Genua wurden etwa 7 000 Leute angeklagt. Ich werde mein Mandat dazu nutzen, um eine Amnestie für alle politischen Gefangenen anzuregen.

Die ist im Programm des Mitte-Links-Bündnisses Unione nicht vorgesehen.

Man wird nicht um eine Amnestie herumkommen. Die sozialen Bewegungen haben Silvio Berlusconis Macht ins Wanken gebracht und mussten die Repression aushalten. Auch Romano Prodi wird unsere Verdienste anerkennen müssen. Ich werde wie ein Floh in seinem Ohr sitzen. Als Abgeordneter werde ich mein Recht in Anspruch nehmen, die Gefängnisse zu untersuchen, um die Aufmerksamkeit auf das Thema zu lenken.

Einige »Disobbedienti« werfen Ihnen vor, die Krise der repräsentativen Demokratie zu ignorieren. Luca Casarini meint, Ihre Kandidatur sei »eine gefährliche Aufwertung der Institutionen«.

Auch ich bin der Meinung, dass sich die repräsentative Demokratie in der Krise befindet. Man erkennt sie in Abu Ghraib, in den Pariser Banlieues oder im Armenviertel Scampia in Neapel. Aber die Demokratie ist doch kein Monster, das die sozialen Bewegungen verschlingt. Das Spiel zwischen der Partei und den Basisbewegungen ist noch unentschieden. Die Bewegungen müssen die Partei zu einem Instrument für ihre Forderungen verwandeln. Sie sollten sich nicht selbst ausgrenzen. Und meine Kandidatur ist ein Angriff. Ich will der Politik wieder zu ihrer sozialen Dynamik verhelfen.

Befürchten Sie nicht, dass die Rifondazione Sie benutzt?

Die Rifondazione ist anders als die Kommunistische Partei der siebziger Jahre. Und manche in der Partei trauern bereits um die vielen Stimmen, die ich sie kosten werde.

In der Rifondazione wurden Sie kritisiert für Ihr Verständnis für die palästinensischen Suizidbomber.

Ich verstehe, dass die Leute diese Attentate be­gehen, weil sie unterdrückt werden. Aber das heißt nicht, dass ich es richtig finde, wenn sie sich in die Luft sprengen und dabei andere Men­schen umbringen.

Was denken Sie über das Programm der ­Unione?

Das Programm interessiert mich wenig. Es ist ein Ausgangspunkt dafür, soziale Konflikte auszutragen. Nach den Wahlen werden die Bewegungen wieder das Wort ergreifen, und wir werden sehen, wie offen die Unione für unsere Interessen sein wird. Unter einer Mitte-Links-Regierung werden wir noch radikaler auftreten.

Mitte März kam es in Mailand anlässlich einer faschistischen Demonstration zu Plünderungen und Auseinandersetzungen zwischen Autonomen und der Polizei. Konservative und rechte Politiker nahmen dies zum Anlass, um Sie als Exponenten der »No-Global-Bewegung« anzufeinden. Wie sehen Sie die Ereignisse in Mailand?

Ich bin davon überzeugt, dass Neonaziaufmärsche verhindert werden müssen. Die gewalttätigen Methoden des Protestes halte ich jedoch für falsch, weil sie dem Wahlkampf der Rechten nutzen. Der Aufmarsch der Neonazis war eine klare Provokation des Innenministers Pisanu und des Polizeipräsidenten von Mailand, der ihn hätte verbieten können. In den letzten Monaten kam es in ganz Italien vermehrt dazu, dass Faschisten mit Molotowcocktails Centri Sociali überfielen oder mit Messern und Schlagstöcken Linke angriffen. Ita­lienische Faschisten morden nach wie vor, aber darüber spricht niemand. Es sind allein die Centri Sociali, die etwas gegen sie unternehmen.

interview: filippo proietti