Schonzeit für Leguane

Viele Bauern wollen dem geplanten Stausee La Parota in Mexiko nicht weichen. Aktivisten beteiligten sich auch an den Protesten gegen das Weltwasserforum. von wolf-dieter vogel, aguas calientes

Schon am frühen Vormittag sticht die Sonne am Rio Papagayo unerträglich. Eine Horde kleiner Jungen flüchtet sich ins kühle Wasser, einige Kühe stehen trinkend am Ufer. Ein alter Mann legt mit seinem Holzkahn an. Wer nicht mit dem Boot übersetzen will, bleibt lieber im Schatten sitzen.

Seit fünf Monaten hat es hier im Süden des mexikanischen Bundesstaates Guerrero keinen Tropfen mehr geregnet, und die Regenzeit beginnt frühestens Ende Mai. Doch der Fluss bringt die Menschen in der Gemeinde Aguas Calientes über die dürren Monate. »Wasser bedeutet für uns Leben«, sagt Carmela Cevalles. Der Rio Papagayo sorge für den guten Boden, auf dem fast alles gedeihe: Mais, Bohnen, Kürbis, Chilli, Tomaten, Bananen, Papaya, Wassermelonen.

Doch damit könnte bald Schluss sein. Einige Kilometer flussaufwärts soll das Wasserkraftwerk La Parota entstehen. Ein gigantisches Projekt, wie die mexikanische Nationale Energiekommission (CFE) sagt. Über 17 000 Hektar Boden sollen überschwemmt werden, rund 25 000 Menschen müssten ihr Land verlassen. Vor drei Jahren kamen die Mitarbeiter der Behörde aus Mexiko-Stadt, um die Menschen in der Region über das Vorhaben zu informieren. Seither gibt es in Aguas Calientes kein anderes Thema mehr. »Uns wird gerade noch ein Rinnsal bleiben, die Pflanzen werden vertrocknen«, fürchtet Facundo Hér­nan­dez aus der Gemeinde Cacahuatepec.

Eine Perspektive jenseits der kleinbäuerlichen Wirtschaft, von der über 70 Prozent der Menschen dieser Region leben, gibt es für die meisten nicht. »Wir sind Bauern, wir haben nicht gelernt, mit einem Computer umzugehen. Leider haben unsere Eltern kein Geld gehabt, um uns eine höhere Bildung zu finanzieren«, sagt Rafael Cortes. Für ihn, Her­nán­dez und Cevalles steht außer Frage, dass das Kraftwerk verhindert werden muss. Sie sind an der Initiative gegen den Staudamm (Cecop) beteiligt. Die Gruppe hat sich im Ortskern von Aguas Calientes ihren Treffpunkt in der Küche einer im Kampf aktiven Familie geschaffen. Während die einen über anstehende Aufgaben diskutieren, kneten junge Frauen Teig, um Tortillafladen zu backen. An der Wand wirbt ein Plakat für die Zapatisten aus dem Bundesstaat Chiapas.

Hier treffen sich Staudammgegner aus den 35 Gemeinden. Das Kraftwerk werde nur für die Tourismusindustrie in Acapulco gebraucht, sagen sie. Die Energiekommission selbst schreibe, dass mit dem Projekt die Stromversorgung für die Urlauberstadt auf 40 Jahre garantiert sei. An die versprochenen Arbeitsplätze glaubt der Bauer Hernández nicht: »Solange gebaut wird, brauchen sie Arbeiter. Danach werfen sie uns einfach raus.«

Im Cecop-Büro steht viel Arbeit an: Juristische Klagen müssen formuliert, Blockaden organisiert und die Fahrt zum Wassertribunal nach Mexiko-Stadt muss vorbereitet werden. Selbst Vertreter aus Dos Arroyos, Garapatas und Los Guajes sind gekommen. Diese Dörfer sollen komplett überschwemmt werden. Ein großer Teil des Bodens für den Stausee ist Gemeindeland, die Regierung könnte es einfach enteignen. Dennoch organisierte man Umfragen in den Dörfern. Schließlich legen internationale Verträge nahe, dass die von derartigen Projekten betroffene Bevölkerung vorab konsultiert wird. »Die Regierung versucht so, den Staudamm zu legitimieren«, erklärt Rechts­anwalt Vidulfo Rosales vom Menschenrechtszentrum Tlachinollan. »Aber nur ein Teil der Bevölkerung darf mitentscheiden. In Cacahuatepec zum Beispiel leben 20 000 Menschen. 7 000 haben das Recht abzustimmen, und von diesen stimmten 873 für das Projekt.« Abstimmen darf nur, wer ein Recht auf Entschädigung hat.

Solche Ungereimtheiten haben das Zusammenleben am Rio Papagayo schwer beeinträchtigt. Immer wieder prügeln sich Staudammgegner und Befürworter, die mit einer Entschädigungszahlung einverstanden sind. Schlägereien im Alkoholrausch, Übergriffe auf der Straße. Drei Menschen sind bereits gestorben. Um das Leben eines Cecop-Aktivisten zu schützen, hat amnesty international im Januar zu einer »Urgent Action« aufgerufen.

Für Cisneros ist der Weg nach Hause weit. Gut 40 Kilometer sind es vom »Küchenbüro« nach Dos Arroyos. Auf dieser Straße soll auch das Baumaterial für die Staumauer transportiert werden. Doch wenige Meter vor den ersten Häusern des Dorfes stellt ein Trans­parent klar: »Durch­fahrt verboten für alle Regierungsvertreter, die Nationale Energiekommission und andere Beauftragte, die das Volk verraten.« Steine und ein Baumstamm versperren den Weg, ein Drahtseil hängt lose über die Straße. Am Straßenrand sitzen mehrere Frauen und Männer, jedes Auto wird genau begutachtet. Otilia Castillo zeigt auf Macheten und Steinschleudern, die auf dem Boden liegen. »Normalerweise jagen wir damit Tau­ben und Leguane, aber jetzt geht es ums Ganze.«

Doch zunächst stehen friedlichere Kämpfe an. Am vorletzten Donnerstag reisten die Staudammgegner nach Mexiko-Stadt. Dort nahmen sie an einer Demonstration gegen das 4. Weltwasserforum teil, um gegen die ungerechte Verteilung des Wassers und die Privatisierung des knappen Gutes zu protestieren. Vor allem aber stand eines auf dem Programm: die Teilnahme am Latein­ame­ri­kanischen Wassertribunal.

Das Schiedsgericht war neben einem Al­ternati­ven Wasserforum, Konzerten, Ausstellungen und interreligiösen Zeremonien eine der Veranstaltungen, mit denen Kritiker gegen das Weltwasserforum mobil machten. Insgesamt 14 Fälle behandelten die alternativen Richter. Ihr Urteil hat keine rechtswirksamen Konsequenzen, doch nicht nur Silke Helfrich vom Regionalbüro der Heinrich-Böll-Stiftung hofft, dass es »in die juristische Urteilsfindung einfließen« wird. Neben den Bauern vom Rio Papagayo kamen etwa Umweltschützer aus Chile oder Bergbaukritiker aus Zentralamerika zu Wort. Auch Aktivisten aus dem bolivianischen El Alto waren angereist. Sie sprachen über ihren Kampf gegen internationale Unternehmen, die den Wasservorrat des Andenlandes kontrollieren.

Mehrere Tage lang berieten die sieben Juristinnen und Juristen, um am Montag der vergangenen Woche ihre Urteile kundzutun. Die Ten­denz war eindeutig: Großprojekte müssen überprüft, die Bevölkerung muss einbezogen und Regierungen müssen für ihre umweltfeind­liche Politik, die im Interesse großer Unternehmen praktiziert wird, zur Rechenschaft gezogen werden. Auch im Fall La Parota ließ die Jury keine Zweifel: »Das Kraftwerksprojekt muss vorerst gestoppt werden.« Bislang sei nicht zu erkennen, dass dieses Vorhaben der ein­heimischen Bevölkerung und dem Schutz der natürlichen Ressoucen zugute kom­me. »Ei­ne sehr wichtige Entscheidung gegen die Ener­giekommission«, sagt Cecop-Sprecher Marco Antonio Suástegui. Doch das Gastgeber­land des Weltwasserforums reagierte mit keinem Wort auf die zahlreichen Vorwürfe, die das Tri­bunal gegen Mexikos Regierung vorgebracht hatte.