Wettstreit um die Mitte

Von einem möglichen Wahlsieg des Mitte-Links-Bündnisses sollte man sich nicht allzu viel versprechen. Der Berlusconismus hat auch die Linken beeinflusst. von marco bascetta, rom

Wird das Mitte-Links-Bündnis Unione die neoliberale und autoritäre Politik der vergangenen fünf Jahre wesentlich verändern? Oder werden wir nach dem 9. April einen Berlusconismus ohne Berlusconi erleben? Seit den Regionalwahlen im vergangenen Jahr steht diese Frage im Raum, und es scheint so, als würde Silvio Berlusconi auf die eine oder die andere Weise der italienischen Politik erhalten bleiben. Denn im Programm des Bündnisses von Romano Prodi findet sich von einem Anspruch auf grundlegende Veränderungen keine Spur.

Die parlamentarische Linke scheint vor allem die politische Mitte besetzen zu wollen. Auch wenn dies ihre radikalsten Komponenten – die Rifondazione Comunista und die Grünen – etwas in Verlegenheit bringt, ziehen sie es vor, im Wahlkampf im Interesse des realpolitischen Prinzips »Erst siegen, dann philosophieren« dazu zu schweigen. Ein wenig erinnert dieses Vorgehen an die alte Volksfrontstrategie, als man alle politischen Ziele der Bekämpfung des unmittelbaren Gegners unterordnete.

Trotz der Arroganz, mit der die amtierende Regierung Gesetze geschaffen hat, die den persönlichen Bedürfnissen Berlusconis entsprachen, trotz der Personalisierung der Politik und trotz eines populistischen Herrschaftsstils ist das System Berlusconi etwas anderes als ein Regime. Es handelt sich vielmehr um ein komplexes Phänomen, das die Zivilgesellschaft durchdringt und Konsens produziert. Diesem System ist es gelungen, ökonomische, soziale und politische Dogmen durchzusetzen, die niemand mehr ernsthaft in Frage zu stellen wagt.

Ein Beispiel dafür ist der Diskurs um den Begriff »Sicherheit«. Wer von »Sicherheit« spricht, meint allein die öffentliche Ordnung. Inzwischen halten es fast alle politischen Kräfte für legitim, im Namen der Ordnung individuelle und kollektive Rechte einzuschränken. Das Linksbündnis hat sich auf einen Wettbewerb mit der Rechten eingelassen, bei dem es darum geht, wer am effektivsten jede erdenkliche Abweichung von der Norm bekämpft.

Ein drastisches Beispiel dafür ist die repressive Law-and-Order-Politik der linken Stadtregierung von Bologna, die vom ehemaligen Gewerkschafter Sergio Cofferati geführt wird (Jungle World, 49/05). Die Mitte-Links-Parteien kritisieren die Regierung Berlusconis vorwiegend für deren Politikstil und die skrupellose Missachtung demokratischer Regeln, aber nicht für die miserablen sozialen Verhältnisse, die von diesem gesellschaftlichen Modell verschärft worden sind.

Aber was ist diese dubiose Mitte, die zu kontrollieren beiden politischen Blöcken als Schlüssel zur Regierungsfähigkeit erscheint? Sie steht keineswegs für die Suche nach einem politischen Gleichgewicht. Vielmehr finden sich in dieser Mitte ein intoleranter Katholizismus, ein konformistischer Anspruch auf die Angleichung von Verhaltensformen und die Weigerung, sich mit den Widersprüchen und Konflikten, die die italienische Gesellschaft durchdringen, auseinanderzusetzen. Diese Mitte ist sozusagen eine Verschwörung für die gesellschaftliche Ordnung.

Auch gegenüber der katholischen Kirche, die sich immer direkter in politische Auseinandersetzungen einmischt, zeigt sich das Mitte-Links-Bündnis eher versöhnlich. Die meisten Politiker der Unione haben kaum eine Gelegenheit verstreichen lassen, um sich etwa von der Homo-Ehe, wie sie kürzlich in Spanien beschlossen wurde, zu distanzieren. Das Verhältnis zwischen dem säkularen Staat und der katholischen Kirche ist für das Linksbündnis ein heikles Thema, weil es befürchtet, die Empfindlichkeiten der katholischen Wählerschaft zu verletzen.

Zwar haben die radikalsten Parteien innerhalb des Bündnisses in den vergangenen Jahren den Kontakt zu sozialen Be­wegungen gesucht, doch auch jene überschreiten nicht die Grenze einer »tugendhaften« Zivilgesellschaft. Keines der Themen, die für die sozialen Bewegungen wichtig waren – vom Kampf gegen die Reglementierung des geistigen Eigentums über die Proteste gegen die Reform des Bildungssystems bis hin zum Kampf gegen die repressiven Drogen- und Immigrationsgesetze –, wird im Programm der Mitte-Links-Koalition aufgegriffen. Nur vage verspricht man, die schlimmsten Auswirkungen mancher der von Berlusconi eingeführten Gesetze aufzuheben. Und natürlich will man – damit lässt sich gut Wahlkampf machen – schrittweise die italienischen Truppen aus dem Irak zurückziehen.

Beim entscheidenden Thema, nämlich der prekä­ren Arbeit, will ein Teil der Mitte-Links-Koali­tion die Arbeit weiter flexibilisieren und sie höchs­tens um etwas bürokratische Kontrolle erweitert wissen. Zugleich ist der Mythos von einer Rückkehr zu standardisierten Formen der Vollbeschäftigung präsent. Vorschläge für Rechte und Schutzmaßnahmen, die auf die heutige selbständige und prekäre Arbeit und die indirekte, aber enorme Ausbeutung von kognitiver Arbeit reagieren, sucht man bei der institutionellen Linken hingegen vergebens.

Die Widersprüche, die unvermeidlich ans Licht kommen werden, zwischen einer eventuellen Mitte-Links-Regierung und den neuen politischen Subjekten, die sich in diesen Jahren herausgebildet haben, sind bereits jetzt sichtbar. Die Zeit der Volksfront und des kleinsten gemeinsamen Nenners, der die Front politisch homogen hielt, ist endgültig vorbei.

Dennoch kann uns das Ergebnis der Wahl nicht gleichgültig lassen. Eine Bestätigung der Mitte-Rechts-Koalition würde die Fortsetzung eines Systems bedeuten, das sich auf Privilegien und soziale Kontrolle stützt und eng mit einem extremen Wirtschaftsliberalismus verbunden ist. Das würde den staatlichen Einfluss auf das Leben des Einzelnen und den Anspruch auf soziale und moralische Disziplinierung nicht reduzieren, sondern ausweiten. Wir dürfen nicht vergessen, dass in der von Berlusconi geführten Koalition reaktionärer Katholizismus, Postfaschismus und rassistischer Rechtspopulismus gleichermaßen vorhanden sind. Die einzige Freiheit, die es diesen Leuten zufolge zu verteidigen gilt, ist die Freiheit der Unternehmer.

Allerdings gibt es keinen Grund, sich von einem Wahlsieg der Linken bedeutende Veränderungen zu erhoffen. An der neoliberalen Politik der Privatisierungen wird sich nichts ändern, allenfalls werden die Geringverdienenden etwas mehr Unterstützung erhalten, und vielleicht wird das Steuersystem etwas gerechter gestaltet werden. Auch für diese Linke bedeutet Politik nichts anderes als die Verwaltung des sozialen Lebens und des ökonomischen Wettbewerbs. Mehr Staat, aber nicht weniger Markt.