Déjà Vu in Diyarbakir

Neun Tote gab es bei Unruhen in den kurdischen Gebieten der Türkei. Die Regierung gibt die Existenz einer militärischen Spezialabteilung zu. von udo wolter

Neun Todesopfer gabe es bei Straßenschlachten zwischen kurdischen Jugendlichen und den Sicherheitskräften in der letzten Woche. Hunderte von Verletzten und Festnahmen, zerstörte Geschäfte, Banken und Regierungsgebäude, schließlich Panzerwagen und die Spezialeinheiten der Jandarmas auf den Straßen. Die Bilanz der Unruhen in zahlreichen kurdischen Städten in der Türkei von voriger Woche liest sich wie ein Rückfall in die Zeiten des Kurdenkonflikts in den neunziger Jahren.

Die Aufstände entzündeten sich am Dienstag zunächst in Diyarbakir nach der Beerdigung von vier der 14 PKK-Guerilleros, die am Wochenende zuvor bei einem Gefecht mit der Armee getötet worden waren. Dabei soll nach Darstellung des aus Dänemark sendenden, der PKK nahe stehenden Satellitenkanals Roj-TV und der politischen Frontorganisation der PKK, Kongra-Gel, auch Giftgas zum Einsatz gekommen sein.

Völlig überraschend, so die Sicherheitskräfte, hätten Jugendliche nach dem Begräbnis mit Steinen und Molotowcocktails die Polizei angegriffen und die Innenstadt von Diyarbakir demoliert. Als die Polizei die Lage nicht unter Kontrolle bekam, wurden schließlich erstmals seit 15 Jahren Militäreinheiten in die Innenstadt geschickt. Auch in anderen kurdischen Städten wie Batman, Van oder Silopi kam es zu Straßenschlachten. Unter den dabei Getöteten sind mindestens zwei Kinder. Ebenfalls ein Todesopfer und mehrere Schwerverletzte forderte am Freitag ein Bombenanschlag an einer Bushaltestelle in Istanbul, für den inzwischen die PKK-Abspaltung »kurdische Freiheitsfalken« die Verantwortung übernahm.

Die Regierung wirft der PKK vor, bei der Randale bewusst Kinder in die vordersten Reihen gestellt zu haben, um anschließend die Sicherheitskräfte des Kindermords zu beschuldigen. Sie fordert ferner von der dänischen Regierung die Schließung von Roj-TV, weil der Sender zu den Unruhen aufgerufen habe.

Mit einiger Sicherheit dürften die Unruhen tatsächlich von der PKK »angeordnet« worden sein. In Diyarbakir wurden Geschäfte, die trotz Boykottaufrufs zu öffnen gewagt hatten, von jugendlichen PKK-Schlägertrupps demoliert und teilweise angesteckt. Insofern liegen türkische Kommentatoren wie der bekannte liberale Kolumnist Mehmed Ali Birand wohl nicht ganz falsch, wenn sie von einer »Machtdemonstration der PKK« sprechen. Kongra-Gel bezeichnet in einer Erklärung zu den aktuellen Ereignissen denn auch die Demonstrationen kurdischer Nationalisten zum Newroz-Fest, das kurz zuvor noch erstaunlich friedlich über die Bühne gegangen war, als »Referendum darüber, dass Herr Öcalan der politische Wille in dieser Gegend ist«.

Dennoch lassen sich die Riots nicht nur auf den Kampf der PKK und ihres inhaftierten Führers um Einfluss in der Region reduzieren. Zu einem Klima allgemeiner Frustration trägt sicher auch bei, dass sich der von besonders hoher Arbeitslosigkeit betroffene Südosten des Landes nach wie vor von der im Rest des Landes boomenden Ökonomie abgehängt sieht. Auch politisch ist der Reformprozess ins Stocken geraten, wie etwa die Disziplinarstrafe gegen den Staatsanwalt zeigt, der die Verwicklung hoher Militärs in die Bombenanschläge auf kurdische Oppositionelle in Semdinli aufklären wollte (Jungle World, 11/06).

Dazu passt auch, dass dieser Tage die Diskussion um den »tiefen Staat« neue Nahrung erhalten hat. Verteidigungsminister Vecdi Gönül bestätigte erstmals offiziell die Existenz des »Amtes für spezielle Kriegsführung«, also jener geheimnisumwitterten Militärabteilung, die wie keine andere für den außerhalb jeder gesetzlichen Kontrolle geführten »schmutzigen Krieg« und Verstrickungen zwischen Militär, Konterguerilla und mafiotischen Strukturen steht. Diesen Kreisen dürfte allerdings die Eskalation der Situation in den kurdischen Gebieten kaum weniger gelegen kommen als der PKK.