Die Koalition der Willigen

Mit den Demokraten und gegen den erbitterten Widerstand des rechten Flügels seiner republikanischen Partei will Präsident Bush eine liberalere Migrationspolitik durchsetzen. von william hiscott

Alle, die für eine Amnestie stimmen, sollten mit einem scharlachroten A gebrandmarkt werden, für Amnestie, und es soll ihnen bei der Wahl im November heimgezahlt werden«, donnerte Steve King, ein republikanischer Hardliner im Repräsentantenhaus, Ende vergangener Woche auf einer Pressekonferenz. Auf dem Podium war er nicht allein mit seinem Protest gegen die im Senat kursierenden Pläne zur Immigrationsreform. Neben ihm standen weitere einflussreiche Vertreter des reaktionären Flügels der Republikaner hinter einem Plakat mit dem Slogan: »Sag einfach Nein zur Amnestie!«

Sie sind empört über die Pläne, eine legale Möglichkeit für die Eingliederung von illegalisierten Immigranten in die amerikanische Gesellschaft zu schaffen. In der jüngeren Geschichte gab es fast periodisch Amnestieregelungen für Papierlose, 1986 unter dem damaligen Präsidenten Ronald Reagan und zehn Jahre darauf in einer abgeschwächten Variante unter Bill Clinton. Ein weiteres Jahrzehnt später halten viele aus dem Wirtschaftsflügel der Republikanischen Partei die Zeit für gekommen, die Illegalisierten erneut zu amnestieren. Eben sie sollen nach Ansicht Kings den scharlachroten Buchstaben A tragen.

Mit impliziter Unterstützung von Präsident Bush propagiert der Wirtschaftsflügel der Republikaner unter der Schirmherrschaft des Senators John McCain eine schrittweise Legalisierung und Einbürgerung von Millionen von Illegalisierten sowie ein Gastarbeiterprogramm, das befristete Arbeits- und Aufenthaltsgenehmigungen vorsieht. McCain, der sich mit dem einflussreichen demokratischen Senator Edward Kennedy verbündet hat, will mit dieser Reform sicherstellen, dass der Zustrom von billigen Arbeitskräften für die Industrie und die Landwirtschaft nicht abreißt. Die Migration soll erleichtert, aber auch kontrolliert und geregelt werden.

Wie bereits bei der Immigrationsreform unter Rea­gan ist der Wirtschaftsflügel der Republikaner auch dieses Mal auf die Demokraten angewiesen. Zu stark sind die Reaktionäre in den Reihen des Kongresses, die mit einer Mischung aus populistischer Antiimmigrationsrhetorik und Arbeitsplatzprotektionismus gegen die Reform agitieren. Manche sorgen sich wohl auch um ihren eigenen Arbeitsplatz und hoffen, mit migrantenfeindlichen Parolen Zuspruch beim reaktionären Flügel der republikanischen Basis zu gewinnen, vor allem bei konservativen Lohnabhängigen.

Mit dem Mehrheitsführer des Senats, Bill Frist, auf seiner Seite will sich dieser Flügel eher dem im Repräsentantenhaus bereits beschlossenen Entwurf anschließen, der sich allein mit Sicherheitsfragen und der Bekämpfung illegaler Immigration beschäftigt. Dieser Entwurf sieht unter anderem vor, dass die an einigen Stellen der Grenze zu Mexiko bereits bestehende Mauer erheblich erweitert wird. Sowohl Unternehmer, die illegalisierte Einwanderer beschäftigen, als auch die Illegalisierten sollen kriminalisiert werden.

Einige Demokraten, die den protektionistischen Schutz der US-Lohnabhängigen fordern, teilen diese Position. Doch die Befürworter einer liberaleren Migrationspolitik in beiden Parteien bilden die Mehrheit im Kongress, und Bush hat erstmals in seiner Regierungszeit deutlich gemacht, dass er gemeinsame Sache mit den Demokraten machen will. Seinem Amtskollegen Vicente Fox versicherte er bei einem Besuch in Mexiko Ende vergangener Woche, dass ein Migrationsgesetz zustande kommen werde.

Die Auswanderung in die USA reduziert die Zahl der Arbeitssuchenden in Mexiko und anderen lateinamerikanischen Ländern, die Rücküberweisungen der Migranten sind ein wichtiger Wirtschaftsfaktor. Bush versprach, seine Immigrationsreform werde die US-amerikanische »Gesellschaft und die Grenzregion von Menschenschmugglern befreien« und illegale Immigranten aus dem »Schatten der amerikanischen Gesellschaft herausbringen, so dass sie nicht länger in Angst leben müssen«.

Schon seit Anfang 2004 propagiert er eine dem McCain-Kennedy-Plan ähnliche Immigrationsreform. Seine Rhetorik zielt auch auf die wachsende Latino-Wählerschaft, die er und sein politischer Berater Karl Rove für die Republikaner gewinnen wollen. Die großen Demonstrationen für eine liberale Einwanderungspolitik Ende März, darunter eine der größten Demonstrationen in der Geschichte der USA mit über 500 000 Teilnehmern in Los Angeles, werden im Weißen Haus als eine Bestätigung dieser »Latino-Strategie« gewertet.

Doch wenn die Latinos dauerhaft für die Republikaner gewonnen werden sollen, darf sich die Partei keine reaktionären Fehltritte im Kongress leisten. Da er selbst sich nicht mehr zur Wahl stellen darf, kann Bush es wagen, mit einer Reform seine reaktionären Wähler zu vergraulen. Diesen Luxus können sich viele Republikaner im Kongress nicht leisten, zudem dürften manche die Ressentiments ihrer Wähler teilen. »Lieber sollen die Inhaftierten die Ernte einbringen als die Ausländer«, meint etwa die republikanische Abgeordnete Dana Rohrabacher.

Texas, das Bush als Gouverneur regierte, gehört zu jenem halben Dutzend Bundesstaaten, deren Gesellschaft durch die Einwanderung der vergangenen 20 Jahre erheblich verändert wurde. Die meisten Illegalisierten sind ökonomisch integriert und haben, wie Bush mehrfach erwähnte, jahrelang Steuern gezahlt. Ihre auf US-Territorium geborenen Kinder erhalten automatisch die Staatsbürgerschaft, während die Eltern politisch rechtlos bleiben. Die Amnestierung der illegalisierten Migranten kann auch im Interesse eines christlichen Konservativen liegen, der Familienwerte und Leistungsbereitschaft betont.

Viele Demokraten und linke Befürworter einer liberalen Migrationspolitik stellen jedoch weitere Forderungen. Kennedy will den zukünftigen »Gastarbeitern« unter bestimmten Umständen den Erwerb der Staatsangehörigkeit ermöglichen, er fordert bessere Arbeitsbedingungen für alle Lohnabhängigen und eine Erhöhung des Mindestlohns. Einige linke Demokraten, viele Demonstranten, die meisten Lobbyverbände der Immigranten und der Gewerkschaftsdachverband AFL-CIO wenden sich grundsätzlich gegen ein Gastarbeiterprogramm. Sie befürchten die Institutionalisierung einer neuen Unterschicht, deren billige Arbeit die Löhne drücken und Gruppen wie etwa unausgebildete Afroamerikaner noch weiter marginalisieren würde.

Die von Bush, McCain und Kennedy geplante Migrationsreform käme wohl nicht zustande, wenn sie nicht den Interessen der Unternehmer dienen würde. Sie wird aber auch den Status der Illegalisierten, deren Gesamtzahl in den USA auf über zwölf Millionen geschätzt wird, immens verbessern. Und Migranten mit einem gesicherten Status sind weit eher in der Lage, sich gewerkschaftlich zu organisieren und sich gegen schlechte Arbeitsbedingungen zu wehren.