Her mit dem schlimmen Dreck!

Sind plumpe Provokation und Anti-PC die letzten Gefechtsstrategien der Popmusik oder ist diese doch noch zu retten? von andreas hartmann

Was hatten wir in der letzten Zeit nicht alles für Debatten rund um neue Unerfreulichkeiten in der Popmusik. Es drehte sich um Mia und die Nationalstolz-Debatte, Fler, der auf dem Schulhof nicht mehr immer nur von den Ausländern aufs Maul bekommen wollte und sich deswegen den Bundesadler als Personenschutz auf die Schulter setzte, Bushido, der angeblich vom »Tunten vergasen« rappte und hinterher von nichts mehr gewusst haben will. Ein paar Monate später reibt man sich die Augen und fragt sich schon wieder: War da mal was? Erinnert sich daran überhaupt noch jemand?

Was haben wir nicht fleißig unsere Argumente ausgetauscht, uns positioniert, die Kontroversen als solche wirklich ernst genommen. Im Feuilleton, am Tresen oder als Eierwerfer auf Mia-Konzerten. Danach konnten wir uns besser fühlen: Problem erkannt, Gegner benannt, Haltung gezeigt, der Nächste, bitte. Für Bushido, Fler und die Aggro-Jungs mit den dicken Hosen aus Berlin lief es allerdings auch ganz gut. Als »Staatsfeind Nr. 1« verkauft Bushido mehr Platten als je zuvor, und wer jetzt als bundesdeutscher Rapper noch nicht am nächsten »Tabubruch«, an einer Provokationsnummer bastelt, die sich gehörig gewaschen hat, sollte das schleunigst tun: Man könnte ja schließlich der Glückliche sein, der die nächste große Kontroverse auszulösen vermag, die die Promotionabteilung der eigenen Plattenfirma in kollektive Glückserstarrung versetzt.

Schwierig. Auch für eine linke Zeitung ist es gar nicht so leicht, den Feind als Feind zu benennen, ohne dass einen das trostlose Gefühl beschleicht, sich eventuell als treudoofer Erfüllungsgehilfe für dessen Absichten zu erweisen. Denn wie sie funktioniert, die Kulturindustrie, das wissen wir alle.

Aber haben Fler und andere Berufs­arschlöcher wirklich einen Paradigmenwechsel im Popdiskurs eingeläutet? War früher alles besser, ist ergo heute alles schlimmer? Mit großer Geste ein anderes Leben einfordern, symbolisch schon mal vorab Revolution machen, Papa, Mama und den Sozialkundelehrer erschrecken, bewusst die Gesellschaft als Feind benennen, um so etwas ging es schließlich schon immer in der Popmusik.

Damals, lang muss das her gewesen sein, lief dieses große Projekt jugendkulturellen Aufbegehrens allerdings noch als liebevoll gebasteltes Subversionsmodell. Wenn erst mal alle die richtige Musik hören, so dachte man, ändert sich vielleicht auch einmal etwas in der echten Welt da draußen.

Das ist erst mal vorbei. Man ist inzwischen weniger damit beschäftigt, sich durch die strategische Wahl der richtigen kulturindustriellen Versprechungen neu zu bewaffnen, als damit, immer wieder hydraartig auftauchende Gegner zu benennen und sich von diesen abzugrenzen. Das ermüdet, zehrt an den Nerven, lässt einen in merkwürdige Passivität verfallen. Was hilft es, »die richtige Einstellung« (Egotronic) durch den Konsum der richtigen Kulturprodukte zu betonen, wenn die eigenen Emanzipationsbestrebungen von einer gefühlten Zunahme popkulturell vermittelter Übel wie Sexismus, Homophobie, Nationalstolz und Anti-PC bedroht werden? Wie kann man da noch alles großartig finden, wenn man eigentlich denkt, dass alles so richtig schlecht läuft?

Vielleicht ist alles aber auch gar nicht so schlimm. Könnte ja auch sein. Alles nur Einbildung, Paranoia, typisch linker Angstreflex. Schon jetzt deutet sich schließlich an, dass sich zumindest der hiesige Popdiskurs wieder in die richtige Richtung politisieren wird. Ganze Bücher und noch viel mehr Panels fordern inzwischen wieder, dass man Popmusik nicht mehr nur als Lebensfreude-Spender wahrnehmen, sondern »geradezu verbissen ernst« (Diedrich Diederichsen) nehmen sollte. Die zuletzt der Indifferenz geziehene Hamburger Schule scheint wieder deutlich machen zu wollen, dass sie mit dem neuen deutschen Wohlfühlpop von Silbermond bis Wir sind Helden nichts gemein hat. Auf der neuen Platte der Sterne, »Räuber und Gedärm«, wird so heftig wie noch nie von besseren Zuständen geträumt, die nächste Platte der Goldenen Zitronen wird schlicht »Lenin« heißen, und ich zumindest glaube ganz fest an die bald erscheinende neue Platte von Blumfeld mit dem Titel »Verbo­tene Früchte«.

Okay, geschenkt, es wird also auch in Zukunft die Guten geben. Was jedoch das Problem, das wir hier in der Jungle World auf diesen Themen-Seiten und in einer daran anschließenden Diskoreihe erörtern wollen, nicht weniger virulent erscheinen lässt. Was soll man davon halten, dass im neuen deutschen Aggro-Rap Frauen (in der deutschen HipHop-Sprache gerne »Olle« genannt) auf Fickfleisch reduziert werden, dem man höchstens mal liebevoll einen »Arschficksong« (Sido) widmet? Dass Homophobie im jamaikanischen Dancehall mit zur Rasta-Folklore gehört und dies kaum noch jemanden zu stören scheint? Dass Black Metal, wie Christian Dornbusch und Hans-Peter Killguss in ihrem eben erschienenen Buch »Unheilige Allianzen« herausarbeiten, unterhalb der gängigen medialen Aufmerksamkeitsschwelle immer stärker die Bedürfnisse einer sich neonazistisch und antizivilisatorisch ausrichtenden Jugendkultur bedient?

Pop war jedoch schon immer gerne auch eine Kloake, in der man fröhlich nach Unkorrektheiten und misogynen Inhalten angeln konnte. Die Poptheoretiker Simon Reynolds und Joy Press haben das in ihrem einschlägigen Buch »The Sex Revolts« bereits vor über zehn Jahren dargestellt. Und dennoch, so machten sie in ihrer Analyse klar, wollten sie selbst auch weiterhin an dem Projekt Pop festhalten. Denn dummer Pop, und das macht die ganze Angelegenheit ja so aufregend, bleibt nur so lange wirklich dumm, solange man ihm nicht ein wenig schlauer kommt. Das heißt erst einmal, wer sexistischen Schwachsinn konsumiert, ist nicht zwangsläufig selbst ein Sexist. Und auch wer offen nazistischen Dreck wie den des norwegischen Black-Metal-Wikingers Bur­zum goutiert, muss für die gute Sache nicht automatisch verloren sein.

Der Spaß an der Beschäftigung mit Popkultur liegt ja gerade teilweise darin, dass sich diese eben nicht an die gesellschaftlichen Konventionen hält und gegen sozial geformte Regelwerke auch einmal verstößt. Man sollte also sogar ganz bewusst nicht immer nur dahin schauen, wo sowieso alles richtig läuft, sondern dorthin, wo es auch mal ziemlich hässlich und widerlich zugeht. Dietmar Dath spricht in diesem Zusammenhang davon, dass Drastik »die kulturindustrielle Form« sei, »die das Selbstwunsch- und -angstbild von modernen Menschen annimmt, wenn die sozialen Versprechen der Moderne nicht eingelöst werden«. Splatterfilme, Deathmetal und Anpinkelpornos sind eben nur selten »politisch korrekt«, dennoch tun sich gerade in diesen Abgründen manchmal die am interessantesten vermittelten Problemstellungen auf.

Linke sträuben sich jedoch gerne davor, Hässlichkeiten überhaupt eine tiefer gehendere Aufmerksamkeit zu schenken. Viel zu schnell sind sie sich darin einig, was abgelehnt oder gar verboten gehört. Die ganzen Auswüchse eines sich politisch unkorrekt gebenden Teils der Popkultur jedenfalls unbedingt. Dabei kann man sich über sexistischen oder homophoben Rock schließlich auch lustig machen, ihn ironisch wenden, oder was einem sonst noch als Aneignungsstrategie einfällt. Ihn bloß beiseite zu schieben, wäre einfach zu wenig und tatsächlich auch: langweilig.