Provokation & Wertarbeit

Was bleibt übrig vom Punk? von thomas blum

Was vom Punk, angeblich eine der letzten Revolten in der Populärkultur, übrig geblieben ist, ist ein lebendes Bildmotiv für Touristen. Oft kann man es vor Supermärkten und an U-Bahnhöfen begutachten. Leute unbestimmten Alters, die sich seit nunmehr 20 Jahren für Outlaws halten, stehen dort als mal mehr, mal weniger bewegliche Großstadtdekoration herum. Mit dem verhassten Spießer, den sie zu verabscheuen vorgeben, haben sie weit mehr gemeinsam, als ihnen lieb sein kann. Da wäre etwa die unvermeidliche Bierdose, die den Provokateur rasch als Artgenossen des abgestumpften Fernsehglotzers oder Fußballhooligans enttarnt. Oder man denke an die unerklärliche Neigung dieser Leute, Hunde zu halten. Kleinbürger, die sie geworden sind, zerren sie bisweilen gleich mehrere Tölen mit sich herum, um ihnen harsche Befehle erteilen zu können und sich derart das Gefühl zu erkaufen, wenigstens von einem stumpfsinnigen Tier geliebt zu werden.

Streng die subkulturellen Kleidungsvorschriften von vor 30 Jahren einhaltend, angetan mit den Insignien ihres Kultes (bekritzelte Lederjacke, Armeestiefel usw.), vermögen sie noch immer nicht wahrzunehmen, was sie im Verlauf von Jahrzehnten geworden sind, wenn sie es nicht schon immer waren: ei­ne Ganzjahresfaschingsgesellschaft, ein hochkonservativer Weltanschauungsverein und geistiger Heimatbund. Jello Biafra, ehemaliger Anführer der Dead Kennedys, Altpunk und Säulenheiliger dieser Bewegung, macht heute in Interviews Wahlkampf für die deutsche Sozialdemokratie. Wäre es ihm nicht ernst damit, käme einem der Gedanke in den Sinn, dass es jetzt aber auch mal genug sei mit der Provokation.

Als sei diese Sorte herkömmliche Punks, ihre unverwüstliche Volksküchenmentalität, ihre Resistenz gegen jede Schönheit und ihr immer gleiches, grauenerregendes baskisches Antiimperialismus-Hardcoregekloppe nicht schon volks­tümlich genug und so provokant wie ein Schwamm, gibt es nun zu allem Überfluss seit einiger Zeit auch noch ganz andere Knalltüten: Der Punkrocker Dave Smalley von der Band Down by Law redet beispielsweise daher, als habe man ihn eine Woche lang mit Claudia Roth und Guido Westerwelle eingesperrt. Nicht nur begreift er die Punkrock-Gemeinde als eine Art basisdemokratische Pfadfinderorganisation, er möchte sie auch die Schönheit des kapitalistischen Wettbewerbs lehren.

Von den traditionellen »Werten« des Punkrock, an die es »sich lohnt zu glauben« und an welche es sich zu erinnern gelte, von »Toleranz« und »Meinungsvielfalt« schwatzt er. Nicht ohne auch den Idiotensatz auszusprechen: »Dialog ist wichtig.«

Angenehmer ist es da, wenn sich das erzreaktionäre Wesen eines Popmusikers künstlerisch niederschlägt. Man denke etwa an Johnny Ramone von den Ramones, der sein Lebtag ein Waffennarr und Ultrakonservativer war (»God bless President Bush!«). Seine Band, eine der einflussreichsten und stilsichersten in der Geschichte des Pop, führte er über 20 Jahre lang erfolgreich nach Art eines mittelständischen schwäbischen Unternehmens: fleißig (weit über 2 000 Konzerte), traditionsbewusst (keine musikalischen Experimente!), mit ebenso leichter (»Hey-ho, let’s go!«) wie harter Hand (keine Soli).

Es ist also von der einstmaligen vermeintlichen Provokation des Punk doch etwas Erhaltenswertes geblieben: keine verwirrenden und verstörenden Missklänge, sondern sauber und ordentlich produzierte musikalische Wertarbeit, zwei deutlich voneinander zu unterscheidende Akkorde, die man noch den Enkeln im Kreise der Familie vorspielen kann.