Ten German Bombers

Englische und niederländische Fans wollen bei der WM – auf ihre Art – an die ­deutsche Nazi-Geschichte erinnern. Die Fußballoffiziellen fühlen sich provoziert. Warum eigentlich? von fabian sänger

Vom 9. Juni an ist »die Welt zu Gast bei Freunden«, also zu Besuch in Deutschland. Doch manche Nachbarn erinnern sich noch gut daran, wie es war, als die Deutschen zum letzten Mal bei ihnen »zu Besuch« waren. Die Niederländer etwa rüsten sich auf Grundlage dieser Erfahrung seit Monaten mit orangefarbenen Wehrmachtshelmen aus Plastik, die sie zur Fußball-WM mitbringen wollen. Zwar verbot der niederländische Fußballbund seinen Fans in niederländischen Stadien das Tragen dieser Kopfbedeckungen, doch der Produzent hat trotzdem bereits über 20 000 Stück verkauft. Bestellt man das Paket »Pimp your helmet!«, bekommt man noch Blumenmotive zum Aufkleben dazu. Auf ihrer Website kündigt die Firma außerdem an: »Wir werden noch viel mehr unternehmen, um unsere Jungs zu unterstützen und die Deutschen zu ärgern.«

Die deutschen Gastgeber zu ärgern, haben auch viele Briten bei der WM fest vor. Besonders beliebt bei ihnen ist der Stadion-Hit »Ten German Bombers«. Auf die Melodie von »Aus den blauen Bergen« singen die englischen Fans den Text »There were ten German bombers in the air and the R.A.F. (Royal Air Force, die Red.) from England shot one down« – und zählen dann zehn Strophen lang runter, bis sich kein deutscher Bomber mehr in der Luft befindet.

Englands schwedischer Nationaltrainer Sven-Göran Eriksson hat die Fans eindringlich aufgefordert, »das Lied mit den Bombern« nicht mehr zu singen. Es sei »sehr respektlos«. Stars wie David Beckham wollen in Fernsehspots die nach Deutschland reisenden Anhänger außerdem auffordern, Anspielungen auf den Zweiten Weltkrieg zu unterlassen. Auch im »England Fans’ Guide to Germany 2006«, einer Broschüre, die kostenlos an 100 000 Fans verschickt wurde, bittet Eriksson, den Bombersong nicht zu intonieren. Dem britischen Innenminister Charles Clarke zufolge wird derzeit geprüft, ob das Singen des Songs in Deutschland unter Strafe gestellt werden könne.

Doch dass sich echte Fußballfans davon beeindrucken lassen, darf stark bezweifelt werden. Zumal im Moment auch noch eine Scooter-Technoversion des Songs inklusive Video im Internet für Furore sorgt und in verschiedenen eng­lischen Fan-Foren zum Download angeboten wird. Dabei handelt es sich bei der Technoversion des Bombersongs um eine deutsche Produktion. Ein bunter und offenbar betrunkener Haufen antifaschistischer und antideutscher Zeitgenossen hat zusammen mit dem Egotronic-Musiker Torsun den Song eingespielt und das Video mit zahlreichen Bildern abstürzender deutscher Kampfflieger, dem Wem­bleytor 1966 und einer brennenden Deutschland-Fahne unterlegt. Torsuns Weblog katapultierte sich über Nacht in den »myblog«-Charts auf Platz fünf der meistgelesenen Blogs; beim Blog-Dienst »youtube« wurde das Video innerhalb von vier Tagen weit über 12 000 Mal angesehen.

Im Weblog des Fußballmagazins 11Freunde wird der Techno-Bombersong als »ultimative WM-Hymne« gefeiert, und der Schiedsrichter-Beobachter und Chefredakteur der Schiedsrichterzeitung Schiri-Report, Alex Feuerherdt, forderte deutsche Fans sogar auf: »Wer nicht bloß zuschauen, sondern sich subversiv engagieren möchte, möge sich zu den Anhängern der Three Lions gesellen und dafür sorgen, dass der englische Fußballverband mit seiner an die Fans gerichteten Bitte scheitert, das Lied ›Ten German Bombers‹ im Gastgeberland nicht zu intonieren. United we stand – das wäre doch mal was!«

Doch nicht nur eingefleischte Fußballfans nutzen seit eh und je das Aufeinandertreffen deutscher und englischer Fußballer, um an den Zweiten Welt­krieg zu erinnern. Britische Boulevardblätter heizen die antideutsche Stimmung regelmäßig an. »Let’s Blitz Fritz« titelte etwa die Daily Mail bei der EM 1996 in England. Kürzlich erinnerte die Sun an die Nazi-Vergangenheit des WM-Austragungsortes Nürnberg, wo England sein zweites Spiel bestreiten wird. Und in dem Logo der deutschen Polizei, das ein Fußball-Gesicht mit Polizeikappe zeigt, entdeckte die Sun in dem Leder-Flecken, der die Nase darstellen soll, ein Hitlerbärtchen. Die Yellow-Press erinnerte auch daran, dass im Schloss Bühlerhöhe, in dem die englische Mannschaft während der WM einquartiert ist, auch schon Hitler und Goebbels abgestiegen seien. »Der Geist von Hitler« spuke in dem Hotel. Der Daily Star bildete Oliver Kahn im Februar auf dem Titelblatt mit Pickelhaube ab. Und in einer WM-Kolumne im Mirror schrieb Tony Parsons unter der Überschrift »Den Krieg vergessen? Es ist viel zu früh!«: »Ich muss lachen, wie sehr wir uns darum sorgen, die Gefühle der Deutschen zu verletzen. Verletzte Gefühle? Zwischen 1939 und 1945 haben die Deutschen eine ganze Menge mehr verletzt als Gefühle.«

Auch in dem bereits erwähnten offiziellen »Fans’ Guide to Germany 2006«, mit dem die englischen Fans für ihre Reise nach Deutschland ausgerüstet werden, ist nicht nur ein Aufruf zur Disziplin nachzulesen. Wie das Weblog »Lizas Welt« berichtet, werden die Fans darin auch mit Fakten über die deutsche Geschichte bekannt gemacht. Bei der Vorstellung der WM-Städte wird Nürnberg wie folgt charakterisiert: »Nürnberg ist überraschend pittoresk, trotz der Tatsache, dass es berühmt war für die Rolle, die es im Zweiten Weltkrieg als Nazipropagandazentrale und Ort für Mas­senaufmärsche in Luitpoldhain spiel­te. (…) Aufgrund seiner Bedeutung in der Nazibewegung und angesichts seiner Verantwortlichkeit für einen großen Teil der Produk­tion von Flugzeugen, U-Booten und Waffen wurde es durch alliiertes Bombardement in Schutt und Asche gelegt und war danach Schauplatz der berühmten Kriegsverbrecherprozesse. (…) Jetzt hat es aber eine merklich weltoffenere Atmosphäre.« Zu Köln werden neben den lokalen Sehenswürdigkeiten auch die exakte Zahl der Luftangriffe der Royal Air Force benannt. Über Berlin liest man, die Stadt sei »im Vergleich zu anderen Teilen Deutschlands bemerkens­wert entspannt und liberal«.

Eine solche Aufklärungsbroschüre hat der DFB für seine Gäste nicht zu bieten. DFB und Fifa versuchen sich stattdessen in ungetrübter Deutschland-Romantik. Der Schweizer Fifa-Präsident Joseph Blatter deliriert auf der Fifa-Website unter der Überschrift »Willkommen in Deutschland«: »Das größte Fußballturnier der Welt wird in einem Land stattfinden, dessen Symbolik weit über die Grenzen des Sports hinausreicht. Man denke nur an den Triumph Deutschlands bei der Fifa-Fußball-Weltmeisterschaft 1954 in der Schweiz, der die Rückkehr des Landes in die internationale Staatengemeinschaft auf eine Weise besiegelte, wie sie schöner kaum vorstellbar war.« Ähnlich rätselhaft geht es weiter: »Was die geradezu legendäre deutsche Arbeitsmoral und das Organisationstalent angeht, kann ich nur bestätigen, dass diese Eigenschaften tatsächlich vorhanden sind und mehr denn je gepflegt werden.«

Bei der offiziellen Deutschlandbeschreibung der Fifa fehlt die Nazi-Zeit komplett, und zu Nürnberg fällt dem Verband nur ein: »Nürnberg kann auf eine lange Geschichte zurückblicken. Die Stadt im Herzen Frankens wurde bereits 1050 in einer Urkunde erwähnt, in der von einer dort unter dem Vorsitz des Deutschen Kaisers Heinrich II. abgehaltenen Gerichtsverhandlung.« Der Rest ist Schweigen.

So bleibt es eben doch den niederländischen und englischen Fans vorbehalten, die Deutschen an ihre Geschichte zu erinnern.