»Zu Freunden hinzufügen«

Myspace ist das angesagteste Community-Portal im Internet. Das soziale Netzwerk gilt als jung und cool und entwickelt sich zur Geldmaschine. markus ströhlein hat sich in den virtuellen Raum begeben

Komm zu deinen Freunden bei My­space! My­space ist umsonst und es dauert nur eine Sekunde, Mitglied zu werden!« Länger als die auf der Startseite versprochene Sekunde dauert die Aufnahmeprozedur dann doch. Schließlich muss man nicht nur das Formular ausfüllen, das auf dem Bildschirm erscheint. Es will vorher auch überlegt sein, ob man vertrauliche Daten wie den Vor- und Familiennamen, den Wohnort und das Geburtsdatum wirklich im Internet um den Globus schicken will. Ich beschließe, aus Sicherheitsgründen bei meinem Nachnamen und aus Eitelkeit bei meinem Alter zu lügen. Ebenso wenig, wie ich die Behauptung überprüfen kann, die Informationen würden vertraulich behandelt, kann jemand die Richtigkeit meiner Angaben feststellen, da der Eintrag vollkommen anonym erfolgt. So ist die Anmeldung bei My­space eine faire Angelegenheit. Beiden Seiten steht es offen zu schwindeln. Dann muss ich noch das Passwort für meine Seite festlegen, auf die orangefarbene Fläche mit der Aufschrift »LOGIN« klicken, und schon bin ich, nach einer Minute statt einer Sekunde, »drin«.

»Drin« zu sein, bedeutet, eine eigene kleine Homepage bei dem US-amerikanischen Internetportal zu haben. My­space ist ein so genanntes Community-Portal, ein virtueller und mitt­ler­weile unüberschaubar großer Treffpunkt für Privatpersonen im Internet. Bereits über 60 Millionen Menschen haben dort ein Profil, also eine Seite.

Meine sieht recht schlicht aus. Das standardisierte Layout bietet wenig Reizvolles. Ganz oben erscheint mein Benutzername, darunter habe ich ein Foto von mir eingefügt. Auf weißgrauem Hintergrund steht in blauen Kästchen Wissenswertes über meine Person. In den Rubriken »Music«, »Movies«, »Television« und »Books« habe ich meine Vorlieben eingetragen. Unter dem Punkt »Heroes« lasse ich eine Leerstelle. Später füge ich »all dead« ein. Auch der Rest des Profils hat den Charme einer Karteikarte. Schlagwortartig werden den Surfern und Surferinnen, die auf der Seite landen, Details präsentiert wie das Sternzeichen, die Religionszugehörigkeit, der Wohnort, der Beruf oder auch die sexuelle Orientierung, wobei es jedem Benutzer freisteht, die Rubriken auszufüllen oder nicht.

Als ich die Seiten meiner neuen Nachbarn bei My­space besuche, bemerke ich, dass die inhaltlich spröde Verwaltung von Lebensdaten in der Form recht ansprechend gestaltet werden kann. Auf einer knallbunten Seite stoße ich auf folgenden Vermerk: »Ich habe mein Profil mit ›Pimp My Page‹ editiert.«

»Pimp My Page« ist eines von zahlreichen Hilfsprogrammen, mit denen das Layout einer Seite verschönert werden kann. Man muss kein studierter Programmierer sein, um sich dieser Werkzeuge zu bedienen. Jeder kann das.

Viele Benutzer beschränken sich darauf, die Hintergrundfarbe ihrer Seite zu ändern. Alles ist besser als grau und weiß. Fortgeschrittene User begnügen sich nicht mit einer farblichen Veränderung. Sie fügen Bilder in den Hintergrund ein. Die Cracks jedoch verwandeln ihre Profile in kleine Wunderwerke der Animationskunst. Da hoppeln Häschen über den Bildschirm, Drachen spucken Feuer, der Imperator aus »Star Wars« lässt Blitze zucken.

Es ist fast wie damals in der Grundschule: Jeder will das schönste Poesiealbum und hofft auf tolle Einträge. Die Besucher einer Seite können einen Kommentar im Gästebuch hinterlassen. Bei Profilen, die häufig angeklickt werden, entstehen lange Listen mit hunderten Einträgen. So viel Aufmerksamkeit scheint manchem Benutzer zu Kopf zu steigen. Die Darstellungen geraten zu narzisstischen Dokumenten, aus denen zwischen den wie Trophäen ausgestellten Bildchen von halbnackten Frauen oder teuren Autos und Prahlereien von der eigenen Potenz und dem hohen Jahreseinkommen nur eine Botschaft hervorgeht: Ich bin so toll!

Sehr beliebt ist es neben dem Egotrip aber auch, in ein Alter Ego zu schlüpfen. Der Zugang zu My­space ist anonym. Niemand kann die Identität der Benutzer feststellen. Wer also schon immer einmal Burt Reynolds oder Sylvester Stallone sein wollte, der kann es hier sein. Jemand, der sich als David Hasselhoff ausgibt, hat keine Anstrengung gescheut und neben einer Sammlung skurriler Fotos des Schauspielers und Sängers sogar einen ebenso skurrilen Lebenslauf zusammengestellt.

Die Rollenspiele erstrecken sich auch ins Historische und Fiktive. Abraham Lincoln ist Mitglied bei Myspace. Superman, Batman, Spiderman und das Ding aus dem Sumpf kann man ebenso finden wie alle Charaktere aus »Star Wars«. Auch Chew­bacca, der zottelige Riesenaffe aus der ­Science-Fiction-Saga, ist angemeldet. Das Profil betreibt Jim Smith, der, sollten diese Angaben richtig sein, aus Fresno in Kalifornien kommt. Es sei ihm zunächst nur darum gegangen, über My­space möglichst viele Fans von »Star Wars« kennen zu lernen. Doch dann hätten die Zuschriften über­hand genommen. Ein wenig Stolz schwingt mit, wenn er von den Mühen mit der Menge an Botschaften berichtet: »Ich versuche wirklich, alle Nachrichten zu beantworten. Schließlich liebe ich Fanpost.«

Auch Personen aus dem derzeitigen politischen Weltgeschehen tauchen als Alter-Ego-Profile auf. Islam Karimov, der Präsident Usbekistans, dürfte nicht wissen, dass er Mitglied bei My­space ist. Ussama bin Laden dürfte in seinem mutmaßlichen Höhlenversteck über keinen Internetzugang verfügen. Und Saddam Hussein würde sich wohl kaum selbst als »despotischen Tyrannen« beschreiben.

In die Reihe dieser derben Späße passen auch die Profile von Stalin und Pol Pot. Es ist schwer zu beurteilen, ob solche Inhalte mit den Statuten von My­space kollidieren oder nicht. Die Betreiber des Portals untersagen ausdrücklich die Veröffentlichung von men­schenverachtendem, rassistischem und pornografischem Bild- und Tonmaterial auf ihren Seiten. Neben der Frage, wann ein Profil die Kriterien erfüllt, um von den Verantwortlichen bei My­space gelöscht zu werden, ergibt sich natürlich ein erhebliches quantitatives Problem. Bei über 60 Millionen Seiten können die Webmaster kaum die Übersicht behalten.

So ist es nicht verwunderlich, dass man im Musikbereich des Portals ohne weiteres Songs von Neonazibands finden kann. Vier Songs können auf einer Seite zum Anhören und zum Download angeboten werden. Von den Profilen von Kapellen wie Skrewdriver, Brutal Attack, Ultima Thule, Landser oder Section88 UK kommt man per Maus­klick zu neonazistischen Organisationen wie Combat 18 oder Blood & Honour. Oder man landet auf den Seiten von Privatpersonen wie der eines 14jährigen Mädchens aus Kalifornien, das ihre Präsentation mit dem Slogan »Unsere Ehre heißt Treue« überschrieben hat.

All diesen unappetitlichen Auftritten sind zwei Dinge gemein: Diese Leute werden nur selten besucht, und wenn, dann von ihresgleichen. Dem überwältigenden Teil der Benutzer von My­space dürfte es gänzlich verborgen bleiben, dass sich auch Neonazis in dem Portal herumtreiben. Die Warnungen gehen folglich auch in eine ganz andere Richtung. Die Staats­anwalt­schaft im US-Bundesstaat Conneticut ermittelt zurzeit gegen mehrere Männer, die angeblich bei My­space gezielt Kontakte zu minderjährigen Mädchen aufgenommen, diese zu Treffen überredet und dann zum Sex gezwungen haben sollen. Auch der Mord an einer 14jährigen in New Jersey soll unmittelbar mit ihren Aktivitäten in dem Portal zusammenhängen.

Doch weder solche Schlagzeilen noch die Meldungen über den Diebstahl tausender Passwörter können der Popularität von My­space schaden. 200 000 neue Mitglieder lassen sich derzeit täglich registrieren. Das macht den Anbieter zum Marktführer unter den so genannten sozialen Netzwerken. My­space ist nicht das erste Portal, das als virtueller Treffpunkt die Möglichkeit bietet, online neue Leu­te kennen zu lernen, sich über Interessen auszutauschen und vielleicht auch wirklich auf ein Bier zu verabreden, sich selbst zu präsentieren oder Blogs zu schreiben. Das erste der sozialen Netzwerke, Friendster, hat My­space mittlerweile in der Beliebtheit abgelöst. Restlos erklären lässt sich der Hype nicht. Bei beiden Anbietern kann man sich umsonst registrieren lassen. Beide sind sich in ihrer Funktionsweise recht ähnlich.

Wie bei allen der über 200 im Internet bestehenden sozialen Netzwerke geht es auch bei My­space hauptsächlich darum, Kontakte zu knüpfen, Bekanntschaften zu machen, Freundschaften zu schließen. Bei jedem Profil kann man auf das Feld »Zu Freunden hinzufügen« klicken. Nun muss der oder die Betreffende der Bitte um Freundschaft nur noch stattgeben. Schon hat man einen neuen Kumpel. So einfach ist das. Das Feld »Friend Space« gibt auf jeder Seite Auskunft über die Anzahl der geschlos­senen Freundschaften. Auch ich habe nur eine Minute nach meiner Regis­trierung schon einen neuen Bekannten. Er nennt sich Tom. Ich klicke auf sein Bildchen und werde zu seinem Profil weiter geleitet. Dort muss ich nicht schlecht staunen. Tom hat gerade 62 641 618 Freunde. Das liegt wohl daran, dass es sich bei Tom Anderson, so sein voller Name, um den Erfinder von My­space handelt. Jeder Neuling wird automatisch zu Toms Liste hinzugefügt. Andere User liegen zwar weit hinter Tom, scheinen aber dennoch einen überaus sportlichen Ehrgeiz entwickelt zu haben, was das Sammeln von Freunden angeht. Zahlen von über 1 000 sind nicht selten. Ab und an stoße ich auf Leute, die sich über 10 000 Bekannte in ihr Profil geklickt haben.

Die Dynamik verstehe ich erst, als mein Mitbewohner ebenfalls ein Profil anlegt. Schnell gewinnt das Konkurrenzprinzip die Oberhand, und wir starten einen Wettbewerb, wer in kürzester Zeit die meisten Freunde sammeln kann. Wir klicken uns wie die Bekloppten durch die Profile. Es ist ein Rennen Kopf an Kopf. Das befriedigt zwar die Leidenschaft des Sammlers. Man lernt aber ganz sicher niemanden kennen.

Scott Tay aus dem US-Bundesstaat Maryland ist kein obsessiver Sammler. Er hat My­space zunächst aus Spaß ausprobiert, um einige Bilder von sich ins Netz zu stellen und mit fremden Leuten zu chatten. Mit einigen, die in seiner Nähe wohnen, hat er sich auch schon getroffen, ist mit ihnen ins Kino oder in Clubs gegangen. »Und jetzt, da My­space so populär geworden ist, ist es mir sogar gelungen, wieder mit alten Freunden in Kontakt zu kommen, die ich aus den Augen verloren hatte«, sagt er über seine Erfahrungen mit dem Portal.

Die Mitglieder entscheiden, in welcher Funk­tion sie das Forum nutzen möchten. My­space verfügt über eine Funktion, die es von allen anderen Portalen unterscheidet. Nicht nur Privatpersonen können ein Profil erstellen. Es gibt auch einen wachsenden Musikbereich, in dem sich Musiker und Bands präsentieren können. Man kann Bandfotos und vier Songs auf die Seite stellen. Auch das ist kostenlos. Noch dazu profitiert man davon, in ein riesiges Netzwerk eingebunden zu sein, in dem immer wieder Leute per Zufall auf eine Band stoßen können. Der wohl bekannteste Zufallstreffer auf My­space ist die britische Band Arctic Monkeys. 400 000 Mal sollen der Legende nach ihre Songs innerhalb weniger Monate heruntergeladen worden sein, ohne Werbung, ohne Label. Mittlerweile sind die jungen Briten natürlich bei einer Plattenfirma unter Vertrag und gelten als das »große neue Ding«.

Dass sich eine Band nur über Mund- und Webpropaganda zum Hype des Jahres entwickelt, dürfte schwer zu wiederholen sein. Dennoch hat My­space einiges im Musikbereich geändert. Torsun, Sänger der Berliner Electropunks Egotronic, kann das bestätigen: »Unsere offizielle Homepage wird deutlich weniger frequentiert. Die Leute sehen sich lieber unser Profil bei My­space an. Im Netzwerk können sie unendlich viele andere Bands entdecken und einfach stöbern, ohne gezielt irgendwelche Namen einzugeben.«

Welchen Status das Portal bei Musikern genießt, zeigt, dass selbst bestens etablierte Bands und Künstler über eine Präsenz verfügen. Morrissey ist ebenso bei My­space wie Slayer oder Rammstein.

Für die Großen ist das Dabeisein Imagepflege. Für kleinere Kapellen ergeben sich unschätzbare Vorteile. Diese Erfahrung hat auch Torsun gemacht: »Auftritte zu organisieren, ist viel einfacher. Wir haben eine Sammelmail an alle unsere Freunde bei My­space geschickt mit der Aufforderung, uns bei Interesse für eine Show zu buchen. Es sind tatsächlich etliche Angebote hereingeflattert. Das erspart zahlreiche Telefonate und E-Mails an einzelne Personen. Außerdem macht es Spaß, sich die Profile anderer Bands anzusehen und ihre Songs zu hören. Ich bin ein Fan von Myspace.«

Auch die Geschäftswelt zeigt sich euphorisch. Analysten vergleichen das Internetportal bereits in seiner Bedeutung mit dem Musiksender MTV. Der Erfolg des Netzwerks, das erst 2003 online ging, hat im vergangenen Jahr den Medienunternehmer Rupert Murdoch auf den Plan gerufen. Er hat es für 580 Millionen Dollar gekauft. My­space verzeichnet zeitweise mehr Seitenaufrufe als die Suchmaschine Google. Der Investor verspricht sich deshalb steigende Werbeeinnahmen.

Gewinnträchtig scheint vor allem auch der Musikbereich. Das Label My­space Records gibt es bereits. Um den Absatz der ersten Veröffentlichung »My­space Records Volume 1«, einer Kompilation mit Songs der populärsten Gruppen des Portals, anzukurbeln, erhalten die Käuferinnen und Käufer mit dem Erwerb der CD die Möglichkeit, ihrem Portal vier weitere Fotos hinzuzufügen. Mit einem koreanischen Mobilfunkbetreiber soll eine eigene Handymarke auf den Markt gebracht werden. So geht auch My­space den normalen Weg kulturindustrieller Verwertung. Das soziale Netzwerk ist, wie könnte es im Spätkapitalismus anders sein, ein kommerzielles.

Solange das Angebot kostenlos bleibt, solange man weder für das Profil noch für das Sammeln von Freunden Geld bezahlen muss, werden sich die Benutzer nicht an der Durchdringung des Privaten durch die Ökonomie stören. My­space boomt. Und Tom Anderson bekommt täglich 200 000 neue Freunde.