Der LBS/TuÜbPl kommt

Aus Liebe zur Heimat wollen Bewohner der Kyritz-Ruppiner Heide die Bundeswehr fernhalten. Zum 100. Mal. von frank brendle

Was wissen Sie über Wittstock?« wollten vor ein paar Wochen brandenburgische Jugendliche von den Berlinern wissen. Die Hauptstädter rieten: Ist das eine Schokolade? Eine Verballhornung von Woodstock? »Erschreckend hoch ist die Zahl derer, denen der Begriff völlig unbekannt war«, resümierte das Jugendbüro in Wittstock.

Dabei tut sich seit Jahren einiges rund um das Städtchen. Hier gibt es noch eine Bürgerbewegung, die ins Gemeindeleben fest integriert ist. Während Montagsdemonstrationen kommen und gehen, hat man in der Kyritz-Ruppiner Heide in zwölf Jahren bereits 99 Protestmärsche gegen das so genannte Bombodrom abgehalten.

Das 142 Quadratkilometer große Gebiet war zu DDR-Zeiten ein Übungs- und Bombenabwurfplatz der Sowjets, danach donnerten Tornados der Bundeswehr über die Heide, bis im Jahr 2000 das Bundesverwaltungsgericht auf Drängen von Anwohnern, Gemeindeverwaltungen und Unternehmerverbänden ein Moratorium verkündete. Die Bundeswehr dürfe den Platz zwar benutzen, hieß es, müsse aber vorher eine ordentliche Anhörung durchführen.

Beständig wächst indes die Schar der Bundeswehrgegner. Die Landesregierungen von Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern, das Abgeordnetenhaus von Berlin, etliche Bürgermeister, der Landrat von Ostprignitz-Ruppin – alle setzen sich ein für die gemeinsame Sache. Eine »Unternehmervereinigung für eine gesunde wirtschaftliche Entwicklung«, genannt »Pro Heide«, vereinigt über 500 Gewerbetreibende und Freiberufler und reiht sich in die Kampffront von Touristikunternehmen, bärtigen Friedensbewegten und Dorfpfarrern ein. In der Hauptstadt haben sie mit Schiffsdemonstrationen auf der Spree oder Pferdemärschen, auf 80 Rössern sitzend, ungewöhnliche Protestformen vorgeführt. Für das Bombodrom ist in der Gegend kaum einer, nur ein Verein namens »Pro Bundeswehr« und der Wittstocker Bürgermeister, Lutz Scheidemann (FDP). Dieser fühlt sich aber völlig isoliert: »Ich bin seit Jahren in keiner guten Situation«, gesteht er dem Rheinischen Merkur.

Die Initiativen »Pro Bundeswehr«, »Pro Heide«, »Freie Heide«, und all die anderen Vereinigungen eint die Liebe zur Heimat. Was sie trennt, sind unterschiedliche Vorhersagen über die Auswirkungen des Truppenübungsplatzes. »Pro Bundeswehr« hofft auf 165 zivile Arbeitsplätze und die Kaufkraft von 800 Soldaten, die anderen zählen auf, wie viele Arbeitsplätze zerstört würden, wenn der Himmel voller Kampfflieger wäre.

Der Ministerpräsident von Brandenburg, Matthias Platzeck (SPD), sieht im Tourismus »die einzige Wertschöpfungsmöglichkeit der Region«. Die länder­übergreifende »Projektgruppe Wirtschafts- und Tourismus­entwicklung« wünscht sich Rad- und Wanderwege, barrierefreien, sanften Tourismus. Ein Bombodrom passt da nicht ins Konzept.

»Pro Heide« fasst die Befürchtungen so zusammen: »In einem Bereich von etwa drei Flugminuten rund um den Bombenabwurfplatz wird es zu einem verdichteten Tiefflugverkehr mit gesundheitlichen Beeinträchtigungen durch Lärm und Kerosin kommen. In dieser Zone ist beispielsweise die Herstellung von Zutaten für die Babynahrung nicht mehr zulässig. Auch der Naturschutz müsste Federn lassen. Das größte bundesdeutsche Adlerbrutgebiet und der größte binneneuropäische Kranichrastplatz würden dem Tiefflug geopfert.« Der offi­ziel­len Lärmprognose traut man gescheiterweise nicht, ist sie doch ausgerechnet vom Rüstungskonzern EADS erstellt worden.

Das Verteidigungsministerium hält die Bedenken für völlig unbegründet. Schon die Bezeichnung des Geländes als »Bombodrom« sei »irreführend«. Erstens heiße es richtig »Luft-Boden-Schießplatz/Truppenübungsplatz (LBS/TuÜbPl) Wittstock«, was natürlich niemand aussprechen kann, zweitens sei die beabsichtigte Nutzung »weder nach Art noch Umfang mit der exzessiven Nutzung des Platzes durch die sowjetischen Streitkräfte vergleichbar«, behauptete das Ministerium in einer Antwort auf eine kleine Anfrage der Bundestagsfraktion der Linkspartei.

Die Bundeswehr verweist auf ihre »freiwilligen Selbstbeschränkungen«: Höchstens 1 700 Übungen bzw. 8 500 Anflüge pro Jahr soll es geben, die Mindestflughöhe außerhalb des Sperrgebietes soll 300 Meter betragen, und geübt werde sowieso nur 25 Stunden die Woche, mit Mittagspause und Nachtruhe. Panzer, Artillerie, scharfe Munition und richtige Bomben würden nicht eingesetzt. Den Landrat von Ostprignitz-Ruppin, Christian Gilde (SPD), beruhigt das nicht. »Einmal angefangen, wird es bald Zwänge geben, warum man immer öfter üben muss«, zitiert ihn der Rheinische Merkur.

Damit dürfte er Recht behalten. Schon jetzt begründet die Bundeswehr ihren Wunsch nach Nutzung des Geländes mit militärischen Bedürfnissen. Im Dezember stellte Bundesverteidigungsminister Franz Josef Jung (CDU) einen Eilantrag beim Verwaltungsgericht Potsdam, den Übungsbetrieb sofort zuzulassen. In der Begründung hieß es, Deutschland habe seine Beteiligung an den Krisenreaktionskräften der Nato und an »Battle Groups« der Europäischen Union zugesagt, die »Einsatzwahrscheinlichkeit« sei damit »erheblich gestiegen«. Die Luftwaffe müsse nunmehr zwölf Tornado-Flugzeuge bereithalten, die »kontinuierlich und vom Heimatflughafen« aus täglich üben müssten, um innerhalb von fünf bis zehn Tagen weltweit einsatzbereit zu sein. Es sei »eine zwingende militärische Notwendigkeit«, den Übungsplatz in Betrieb zu nehmen.

Die Kyritz-Ruppiner Heide spiele für das Verteidigungsministerium »eine ganz besondere Rolle«. »Wegen seiner Lage und einzigartigen Qualität« eröffne das Gebiet wie kein anderes Möglichkeiten für »streitkräftegemeinsame, vernetzte Opera­tions­führung«, lautete die Antwort des Ministeriums an die Linkspartei.

Das Gelände liegt in der Tat abgelegen genug, dass Tornados und Eurofighter dem zivilen Flugbetrieb nicht in die Quere kommen. Es biete ausreichend Platz für »Bedrohungssimulatoren« am Boden, »um alle Elemente der taktischen Luftkriegführung im Verbund mit anderen Luftstreitkräften und Bodentruppen als Gesamtgeschehen« zu üben, meint das Ministerium. Probt man andernorts immer nur Einzelszenarien, ist in Wittstock ein ordentliches Großmanöver möglich. Und weil die Gegend dünn besiedelt ist, braucht man keine Anflugkorridore, sondern kann von allen Seiten anfliegen. Anders ausgedrückt: Die Anwohner werden von allen Seiten unter Lärm- und Kero­sinbeschuss genommen.

Das Verwaltungsgericht Potsdam lässt sich bislang von der Bundeswehr und ihrer Sorge um die Verteidigungsfähigkeit nicht zur Eile treiben. Ohnehin geht es nur um eine Etappe. In Dutzenden von Prozessen wird über mangelhafte Anhörungen, unklare Eigentumstitel und fehlerhafte Rückübertragungsbescheide gestritten. Der Rechtsanwalt der klagenden Gemeinden Rossow und Schwein­rich, Reiner Geulen, zeigt sich zuversichtlich, »auch die Prozesse 21 bis 24 zu gewinnen«.

Um den Druck zu erhöhen, ruft die Bürgerbewegung indes zur 100. Protestwanderung. Treffpunkt: 16. April, um 14 Uhr, in Fretzdorf. Wo? »An der Kirche«. Und wohin soll es gehen? Weiter als sonst, denn »der Acker, den wir sonst genutzt haben, muss bestellt werden«, teilt die Bürgerinitiative mit.