Gib Gas!

Deutschland braucht Energie. Die dafür notwendigen Rohstoffe werden knapper und müssen aus dem Ausland herbeigeschafft werden. Auch aus Russland. von jörg kronauer

Auch die Teilnehmer des »Energiegipfels« kamen nicht am Thema russisches Erdgas vorbei. Es sei deutlich zu hören gewesen, »dass die Abhängigkeit von Russland etwas ist, das bei den gesamten Energieüberlegungen eine wesentliche Rolle spielt«, berichtete Volker Hauff (SPD) vom Rat für Nachhaltige Entwicklung im Deutschlandfunk. Er sprach über das Treffen, zu dem Anfang der vergangenen Woche Regierungsmitglieder, Wirtschaftsvertreter und Energieexperten zusammengekommen waren, um über die Zukunft der deutschen Energievesorgung zu diskutieren. Die deutsch-russische Erdgaskooperation, die seit Gerhard Schröders Wechsel zur North European Gas Pipeline (NEGP) die Schlagzeilen füllt, ist auch unter Energieexperten ein intensiv diskutiertes Thema.

Die Affäre um die Staatsgarantie, mit der die rot-grüne Bundesregierung in ihren letzten Tagen einen Milliardenkredit der Deutschen Bank und der Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) an den russischen Monopolisten Gazprom abgesichert hat, könnte sogar zur Einsetzung eines parlamentarischen Untersuchungsausschusses führen. Bundesgarantien gibt es für Vorhaben ausländischer Unternehmen ziemlich selten – »in der Regel nur, wenn dies der deutschen Rohstoffversorgung dient«, analysiert die Süddeutsche Zeitung.

Das ist bei der Ostsee-Pipeline, um die es bei der Bürgschaft geht, tatsächlich der Fall. Die Staatsgarantie bindet Russland und seine Energieressourcen noch enger an Deutschland. Doch die mögliche Verquickung staatlicher Bürgschaften und privaten Nutzens hinterlässt mehr als einen fahlen Beigeschmack. Gerhard Schröder verdient als Aufsichtsratsvorsitzender der NEGP 250 000 Euro im Jahr, bei einem Unternehmen, dem seine damalige Regierung eine Bürgschaft besorgt hat. »Die Frage, ob der prestigeträchtige Job nicht auch ein Dankeschön ist für eine äußerst gefällige Russland-Politik des Bundeskanzlers Schröder, lässt sich nicht mehr beiseiteschieben«, schreibt der Spie­gel.

Schröder dementierte in der vorigen Woche, dass er von der Bürgschaft gewusst habe. Eine staatliche Bürgschaft in Milliardenhöhe soll ohne Wissen des Kanzleramts nur von Staatssekretären gegeben worden sein. Er sagte zudem, das Unternehmen Gazprom habe bereits erklärt, dass es auf die Bürgschaften nicht zurückgreifen werde. Dieser Darstellung widersprach in der vorigen Woche ein Vorstandsmitglied der Deutschen Bank, Tessen von Heydeb­brack. Die Firma Gazprom habe bisher gar nichts abgesagt.

Dubios ist in der Geschichte auch die Rolle des ehemaligen Staatssekretärs im Finanzministerium, Caio Koch-Weser. Er unterzeichnete im vorigen Jahr die Bürgschaft, von der auch die Deutsche Bank profitiert. Und wechselte kurze Zeit später zu dieser.

Und dennoch, es gebe »keinen Zweifel daran, dass die Entscheidung richtig ist«, sagte eine Sprecherin des Finanzministeriums kürzlich über die Bürgschaft und bestätigte damit, dass auch die neue Bundesregierung die unter der früheren rot-grünen Regierung begonnene intensive Zusammenarbeit mit Russland auf dem Energiesektor fortsetzt. Die »Chefsache« Schröders wird auch zur »Chefsache« Merkels. Sie hat ein »energiepolitisches Gesamtkonzept« für Deutschland angekündigt, das festlegen soll, wie die Bundesrepublik bis zum Jahr 2020 ihre Energieversorgung sichern wird, und Russland dürfte dabei eine große Rolle spielen.

Das Thema umfasst verschiedene Aspekte, von den Strompreisen über den EU-Binnenmarkt bis hin zu längeren Laufzeiten für Atomkraftwerke. Um langfristig tragfähige Überein­künfte zu erzielen, wurden nach dem Energiegipfel drei Arbeitsgruppen ein­gesetzt. Eine der grundlegenden Fragen dabei lautet, welche Energieträger die Bundesrepublik in Zukunft verwenden wird und woher sie beschafft werden sollen. »Deutschland ist in hohem Maße von Energieimporten ab­hängig«, bestätigt der »Statusbericht« der Bundesministerien für Wirtschaft und für Umwelt. Die Atomenergie kommt nicht ohne Uraneinfuhren aus, auch Steinkohle wird mittlerweile zu rund 60 Prozent aus dem Ausland importiert. Ganz zu schweigen von Erdöl und Erdgas, die zusammen rund 60 Prozent der in Deutschland verbrauchten Primärenergie ausmachen. Sie müssen fast vollständig außerhalb Deutschlands besorgt werden.

»Für Deutschland als rohstoffarmes Land wird trotz unserer Bemühungen um erneuerbare Energien und Energie­effizienz der Importbedarf an fossilen Energieträgern bis 2030 weiter ansteigen«, sagte Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) Ende März dem Handelsblatt. »Ein Großteil der weltweiten Energievorräte liegt in Welt­regionen, die durch politische Instabili­tät gekennzeichnet sind«, erläuterte er.

Hinzu kommt, dass die gesicherten Öl- und Gasvorräte nur noch 60 bis 70 Jahre reichen. Zwar werden bis zum Jahr 2030 keine Versorgungsprobleme erwartet, auch dürften neue Lagerstätten gefunden werden. Dennoch unterliegen die schwindenden Energieressourcen einer sich verschärfenden internationalen Konkurrenz. Und die führt bekanntlich selten zu friedlichen und entspannten Verhältnissen. »Fragen der Energiesicherheit werden die globa­le Sicherheitsagenda des 21. Jahrhunderts wesentlich mitbestimmen«, meint der deutsche Außenminister.

Neben Russland messen deutsche Ener­gie­­unternehmen auch Norwegen große Bedeutung bei. Rund 25 Prozent ihres Erdgasbedarfs deckt die Bundesrepublik von dort und hofft, diesen Anteil beibehalten zu können. Die Aussichten sind gut: Ein Viertel aller bislang nicht erschlossenen Öl- und Gasvorkommen wird in der Arktis vermutet. Als Anrainerstaat reklamiert Norwegen Ansprüche darauf. Es sei »für uns wichtig, dass in Norwegen auch weitere Gasfelder für die Erschließung vorberei­tet werden«, sagte Steinmeier, als er Ende März nach Oslo reiste. »Besonders erfreulich« sei es, »dass deutsche Unternehmen an diesen Projekten beteiligt sind«. Die Linde AG etwa errichtet ein Flüssiggasterminal, das Unternehmen RWE hat soeben drei neue Bohrlizenzen erhalten. Die norwegische Regierung hat Steinmeier versprochen, die Zusammenarbeit mit deutschen Firmen zu intensivieren.

Immer bedeutender für die deutsche Energiebranche wird auch Algerien. Das Land »ist nach Russland und Norwe­gen der drittgrößte Gaslieferant Euro­pas und sichert insbesondere die Ver­sor­gung der Mittelmeeranrainer«, berichtet die Bundesagentur für Außenwirtschaft. Deutsche Unternehmen drän­gen in den algerischen Energiesektor, Siemens, Linde, RWE und andere sind dort bereits tätig.

Das deutsche »Wirtschaftsengagement« gilt in zweifacher Hinsicht als brisant. Zum einen laborieren die Firmen in einem Land, das von Frankreich als sein traditionelles Einfluss­gebiet betrachtet wird, zum anderen gewinnen sie direkten Einfluss auf die Energieversorgung der europäischen Mittelmeerstaaten.

Die deutschen Erdgasstrategien dürf­ten zum energiepolitischen Gesamtkon­zept gehören, das die Bundesregierung in eineinhalb Jahren verkünden will. Sie müssen auch international abgeglichen werden. »Die Bundesregierung wird die­se Themen im Rahmen ihrer EU-Ratspräsidentschaft und ihrer Präsidentschaft im G8-Prozess im Jahr 2007 aufgreifen«, kündigte das Bundespresseamt an.