Lächeln unerwünscht

Im Jahr der Fußballweltmeisterschaft boomt die Überwachungstechnik. Für die RFID-Technik, mit der die Eintrittskarten ausgestattet sein werden, hat sich bereits eine dauerhafte Verwendungsmöglichkeit gefunden. von ron steinke

Nazis! Hooligans! Islamisten! Wenn die Welt zu Gast bei Freunden ist, müssen die Freunde mit dem Schlimmsten rechnen. Wie gut, dass das Innenministerium auch für den Sport zuständig ist. »Durch unsere umfassenden Sicherheitsvorbereitungen errichten wir keine Zäune, sondern schaffen die Grund­lage für eine fröhliche, bunte und sichere WM«, erklärte Bundesinnenminister Wolfgang Schäub­le (CDU) kürzlich in Berlin auf der Internationalen Sicherheitstagung zur Fußballweltmeisterschaft all jenen, die angesichts des Einsatzes von Awacs-Aufklärungsflugzeugen der Nato und 2 000 Bundeswehrsoldaten sowie weiteren 5 000 Soldaten in Bereitschaft anderes vermutet haben. Nur zur Sicherheit behält sich das Ministerium auch vor, das Schengener Abkommen während der Fußballweltmeisterschaft zeitweilig außer Kraft zu setzen.

Gäbe es einen Geschäftsklimaindex speziell für die Hersteller und Vertreiber von Überwachungstechnik, so wäre seine Kurve in diesem Jahr wohl in unermessliche Höhen gestiegen. Die Polizei hat dank der nahenden Fußballweltmeisterschaft ein großes Budget und stattet sich überall im Lande mit neuen Überwachungs­kame­ras und tragbaren Lesegeräten für Fingerabdrücke aus. In Bayern und Hamburg kauft sie zudem moderne Elektroschock­waffen, so genannte Taser.

Auch diejenigen Städte unter den Austragungsorten der WM, die bisher nicht überall Überwachungskameras installiert haben, ergreifen nun die Gelegenheit. Fleißig montiert die Polizei gleich eine neue Produktreihe: Kamerasysteme, die mit einer Software zur Gesichtserkennung ausgestattet sind. Das »nationale Sicherheitskonzept« zur Fußballweltmeisterschaft sieht vor, dass Spezialkameras in der Umgebung von Stadien, an öffent­lichen Plätzen und an Verkehrsknotenpunkten die Gesichter von Passantinnen und Passanten automatisch mit den Datenbeständen der Polizei abgleichen. Wie lange die Videoaufnahmen gespeichert und mit welchen Datenbanken die gewonnenen Informationen abgeglichen werden sollen, bleibt vorerst unklar.

Erfahrungen mit einem solchen biometrischen Massen-Scan gibt es in Deutschland bisher nicht, die Weltmeisterschaft wird dafür ein erster Test sein. Für Erfolgsmeldungen über die biometrische Technik bietet das Ereignis beste Voraus­setzungen, schließlich dürfte bei mehreren Mil­lio­nen gescannter Personen selbst eine gerin­ge »Ausbeute« an verdächtigen oder un­erwünschten Elementen in absoluten Zahlen noch eindrucksvoll aussehen.

Dass Videoüberwachung die Kriminalität nicht reduziert, wie kürzlich erneut in einer Studie im Auftrag des britischen Innenminis­teriums festgestellt wurde, interessiert glück­licherweise niemanden. Wer heute per Kamera überwacht, macht sich, anders als die Öffentlichkeit, über ihre Eignung zur Verbrechensbekämpfung keine Illusionen mehr. Das stärkste Verkaufsargument für die Kameras dürfte inzwischen ein anderes sein. Überwachungsdruck fördert die Konformität – umso mehr, je weniger über die Überwachung bekannt ist. Passanten, die sich unsicher darüber sind, wer sie gerade mit welchem Interesse beobachten könnte, wer­den durch diese Unsicherheit auch bei völlig legalem Verhalten beeinflusst. Sie passen sich eher an Verhaltens- und Konsum­erwar­tungen an und sind dadurch auf der Straße wie im Stadion leichter zu handhaben. Die potenziell alles sehenden Videokameras kön­nen insofern sogar wirksamer sein als real anwesende Beobachter.

Gerade erst hat mit Brandenburg ein weiteres Bundesland beschlossen, die polizei­liche Videoüberwachung im öffentlichen Raum dauerhaft auszuweiten und gesetzlich festzuschreiben. In den meisten Bundesländern ist man da schon weiter und beschränkt sich auch längst nicht mehr auf »Kriminalitätsschwerpunkte«. Die Universität Münster beispielsweise filmt ihre Studentinnen und Studenten mit 65 Kameras an 30 Orten. An den Vorschriften zum Datenschutz hat man sich in Münster bisher nicht weiter gestört, an der Kritik der Datenschutzbeauftragten sowieso nicht. Drei Jurastudenten haben die Universität kürzlich vor Gericht gebracht.

Über den neuesten Stand in der Überwachungstechnik konnte man sich im März auf der CeBit in Hannover kundig machen. Füh­rende Unternehmen wie SAP, Intel oder IBM werben derzeit für ein technisches Produkt, das es den Einzelhändlern künftig ersparen wird, ihren Kundinnen und Kunden Bonuskarten aufdrängen zu müssen, um an deren persönliche Daten zu ge­langen. Kleine Funkchips mit RFID-Technologie (»Radio Frequency Identification«) sollen künftig die herkömmlichen Barcodes ersetzen und jede Ware mit einem individuellen Code kennzeichnen. Die Chips können jederzeit berührungslos per Funk ausgelesen werden und so unbemerkt Auskunft über das Konsumverhalten eines Kunden geben. »Diese Technologie bietet enorme Chancen für Verbraucher und Wirtschaft und wird unser tägliches Leben in vielen Bereichen verändern«, wirbt Andrea Huber vom Lobbyverband Informationsforum RFID. »Wir sind jetzt schon gläserne Menschen, aber die Dimension wird mit der RFID-Technik noch einmal deutlich zunehmen«, warnt dagegen Britta Oertel vom Institut für Zukunftsstudien und Technologiebewertung.

Auf das viel versprechende Geschäft mit den Funkchips wurde im Februar schon einmal auf der Messe »RFID World 2006« in Dallas angestoßen. Zur CeBit bot das Bundesforschungs­minis­terium den Herstellern großzügig Fördergelder an. Die Sektlaune in der Branche dürfte sich im Sommer kaum legen. Im Juni werden die rund 3,2 Millionen Besucherinnen und Besucher der Fuß­ballweltmeisterschaft über persona­lisierte Funk­chips in ihren Tickets identifiziert werden. Der RFID-Hersteller Philips ist einer der Hauptsponsoren der Weltmeisterschaft und hat sich den pres­tigeträchtigen Auftrag gesichert, die Eintrittskarten mit den Chips auszustellen. Das Fußballspektakel wird für die neue Chiptechnik ein erster gro­ßer Feldversuch sein und ihr, so vermutet die Financial Times Deutschland, den kommerziellen Durchbruch bescheren. Die Gelegenheit dafür ist günstig. Da bei dem ganzen Trubel die Proteste von Bür­gerrechts- und Datenschutzgruppen kaum gehört werden dürften, können die Fußballfans wohl nachher als Beleg für die »breite Akzeptanz« der neuen Tech­nik herhalten.

Weil die Innenminister von den Möglichkeiten der RFID-Technik und der biometrischen Erkennung überzeugt sind, kommt zumindest an diesen Überwachungstechniken fast niemand mehr vorbei. Seit dem letzten November speichern die Behörden neue Passbilder digital auf einem Funkchip im Reisepass. Damit die Gesichtsproportionen dabei gleich automatisch vermessen werden können, werden Passantragsteller seitdem gebeten, sich mit möglichst »neutralem« Gesichtsausdruck fotografieren zu lassen. Bitte nicht lächeln, sonst kommt die neue Technik durcheinander!