Tschüss, Kameraden!

Der Rechtsextremist Gabriel Landgraf ist aus der Szene ausgestiegen. Seine früheren Kameraden sind enttäuscht. von charlotte elliot

Als am 28. März vor dem Landgericht in Potsdam die Urteile gegen sechs Rechtsex­treme wegen gemeinschaftlich begangener Körperverletzung verhängt wurden, saßen auf den Zuschauerplätzen rund 20 Neonazis aus Berlin und Potsdam. Zwischen drei Jahren auf Bewährung und fünf Jahren Freiheitsentzug verhängten die Richter, sehr zum Unmut der Rechten.

Immer wieder besuchen seit dem vergangenen Jahr Rechtsextreme in der brandenburgischen Lan­deshauptstadt solche Verhandlungen gegen ihre Ka­meraden. Sie begannen damit im April 2005, als vor dem Landgericht Potsdam gegen den 23jährigen Neonazi Sebastian D. und gegen Jeannine P. wegen versuchten Mordes verhandelt wurde. Seit dem zweiten Prozesstag rief vor allem der damalige Szeneaktivist Gabriel Landgraf Angehörige von Berliner und Brandenburger Kameradschaften dazu auf, zum Prozess zu kommen. Im Schnitt besuchten von da an rund 40 Rechte die Verhandlungen und schüchterten linke Zuschauer des Prozesses ein.

Landgraf aber stieg im Sommer 2005 aus der rechten Szene aus. Er hatte zuvor eine bedeutende Stellung in ihr eingenommen. Seit dem Jahr 2000 warb er für Demonstrationen, Veranstaltungen, Partys und Kampagnen. Er baute SMS- und E-Mail-Verteiler für die so genannten freien Kameradschaften auf und kümmerte sich um die Zusammenarbeit unterschiedlicher Gruppen in Berlin und Brandenburg. Als Betreiber der Website »Berliner Infoportal« schuf er darüber hinaus ein öffentliches Informationsmedium.

Im Jahr 2003 war er Mitbegründer der »Berliner Alternative Süd-Ost« (Baso), einer insbesondere im Berliner Stadtbezirk Treptow-Köpenick aktiven Kameradschaft. Bevor sie im März 2005 von Innensenator Erhart Körting (SPD) verboten wurde, war sie vor allem mit Kampagnen, unter anderem für ein »nationales Jugendzentrum«, sowie als Veranstalterin von Demonstrationen in Erscheinung getreten. Im September 2004 gründete Landgraf schließlich die Berliner Abteilung des »Märkischen Heimatschutzes« (MHS), deren Anführer er wurde.

Nach einer längeren Auslandsreise wandte er sich jedoch seinen eigenen Angaben zufolge im August 2005 an Bernd Wagner von »Exit Deutsch­land«. Die im Sommer 2000 gegründete Organisation will Aussteigern aus der rechtsextremen Szene helfen. Derzeit werden 36 Personen aus dem gesamten Bundesgebiet von den haupt- und ehrenamtlichen Mitarbeitern betreut.

Landgrafs Gründe für seinen Ausstieg klingen zunächst vage. Gezweifelt habe er immer wieder einmal, sagt er heute. Die Bedenken seien ihm beim Schreiben von Artikeln, bei Diskussionen und im Umgang mit Jüngeren gekommen, vor allem bei den Themen Geschichtsrevisonismus und Rassismus, erzählt er der Jungle World. Auch die Tatsache, dass die Szene ihren eigenen »Idealen« wenig genügt habe, habe ihn nach­denken lassen. Auf die Frage, welche Konse­quenzen seine anfänglichen Zweifel für sein Handeln gehabt hätten, antwortet er, dass es in der Regel immer möglich gewesen sei, mit diesen inneren Konflikten umzugehen oder sie zur Seite zu schieben.

Bernd Wagner betont das Prozesshafte solcher Ausstiege und weist darauf hin, dass viele unterschiedliche Ereignisse den Entschluss, aus der Szene auszusteigen, auslösen können. Für Landgraf waren offenbar Kontakte zu Menschen außerhalb der rechten Szene entscheidend. Gespräche mit ihnen hätten es ihm ermöglicht, Widersprüche zuzulassen, sagt er.

Doch wann ist der Ausstieg vollzogen? Genügt die Abkehr von rechter Gewalt, organisierter politischer Arbeit oder den alten Freunden? Für Wagner ist die Voraussetzung der eigene Entschluss, sich sowohl ideologisch als auch organisatorisch aus der Szene zu lösen. Er weiß auch um die Probleme, die mit einer solchen Entscheidung für den Einzelnen einhergehen: die Trennung von der Gruppe, mit der einen gemeinsame Erfahrungen und Straftaten verbinden; Schwierigkeiten wegen der sozialen Situa­tion; vor allem aber der Verlust des eigenen, bisher funktionierenden Weltbildes und die daraus bei vielen Aussteigern entstehende Leere.

Für Landgraf stellt sein Ausstieg den »Bruch mit der Bewegung« dar. Für die Neonaziszene bedeutet so eine Abkehr in erster Linie einen Verrat, der gerächt werden soll. Als sich Landgraf im Oktober 2005 zunächst von seinen politischen Ämtern zurückzog und schließlich das »Ber­liner Infoportal« einstellte, seien einzelne Nachfragen seiner früheren Kameraden gekommen. Einige hätten erfahren wollen, ob sein Rückzug auch die gemeinsamen Ansichten in Frage stelle. Andere hätten bemerkt, dass ihnen seine Kompetenz in Fragen der Organisation fehle.

Zunächst brachten sie vor allem ihre Enttäuschung zum Ausdruck. Dann aber habe sich der Ton verschärft. Vor allem auch im Zusammenhang mit einer Veröffentlichung im Antifaschistischen Infoblatt, als deren Urheber Landgraf angesehen wurde. Die Fragen wurden gereizter und vor allem drohender. Ehemalige Freunde hätten begonnen, ihn zu beobachten. Im Dezember kam es dann zu einer direkten Auseinandersetzung auf einem Weihnachtsmarkt in Berlin, der er sich nach einigen Beleidigungen und verbalen Drohungen nur durch einen Rückzug und der Fahrt mit einem Taxi habe entziehen können, wie er berichtet.

Sonja Luzar vom Verein »Jugend engagiert in Potsdam«, der Opfer rechter Gewalt unterstützt und die Prozesse gegen Neonazis vor Amts- und Landgerichten beobachtet, ist sich unsicher, welchen Einfluss Landgrafs Ausstieg auf die Beteiligung von Neonazis an laufenden Gerichtsverfahren habe. Sie konnte feststellen, dass ihr Erscheinen weniger organisiert sei und eher in kleineren Gruppen erfolge; insgesamt würden sie sich derzeit ruhiger verhalten. Dies führt sie allerdings auch darauf zurück, dass einige Rechtsextremisten inzwischen auch Anzeigen wegen Beleidigung am Hals haben. Bei der Verkündung des Urteils am 28. März kam es wiederholt zu Pöbeleien gegen linke Zuschauer im Gerichtssaal.