Alles läuft wie geschmiert

Wegen der Verwicklung hochrangiger Politiker in einen Korruptionsskandal traten mehrere Minister in Lettland zurück. Die Regierungskoalition ist damit am Ende. von udo bongartz, riga

Selten zuvor wurden die Korruption der politischen Elite Lettlands und ihre Ignoranz gegen­über dem Wählervotum so drastisch offenbart wie in den vergangenen Wochen. Das öffentlich-rechtliche Fernsehen veröffentlichte Mitte März abgehörte Gespräche des Rigaer Bauunternehmers German Milus und löste damit eine Krise aus, die zum Rücktritt mehrerer Minister und Anfang April zum Bruch der liberal-konservativen Regierungskoalition führte.

Mitte März vergangenen Jahres saß Milus in einer Pizzeria des vornehmen Seebades Jurmala, unweit von Riga, und telefonierte u.a. mit führenden Politikern des Landes. Ihn interessierte die Bürgermeister­wahl im örtlichen Rathaus. Er wollte die Wahl von Inese Aizstrauta zur Bürgermeisterin verhindern. Sie störte ihn bei seinen Bauvorhaben.

Allerdings musste er noch den Ratsvertreter Ilmars Ancans umstimmen. Diesem wurden kurz vor der Wahl 20 000 Euro in die Jacke gesteckt, die ihn bewegen sollten, den bisherigen Bürgermeister zu unterstützen. Doch Ancans wählte Aizstrauta und informierte die Anti­kor­rup­tions­behörde (KNAB).

Deren Recherchen zufolge telefonierte Milus mehrmals mit Verkehrsminister Ainars Slesers (Erste Partei) über den Verlauf des Wahlcoups. Auch Slesers wollte Aizstrautas Wahl verhindern und versicherte: »Ich habe getan, was ich konnte. Ich habe auch mit Straume telefoniert.« Janis Straume ist Vorsitzender der Partei für Vaterland und Freiheit.

Wegen Ancans Unbestechlichkeit konnte Aizstrauta die Mehrheit der Stimmen der Ratsvertreter auf sich vereinen. Nun wollte Milus zumindest ihren Stellvertreter bestimmen. Er beriet sich mit Andris Skele, dem ehemaligen Regierungschef der Volkspartei, der empfahl: »Man muss es so machen, dass sie den schlechtesten Stell­vertreter bekommt.« Milus nannte daraufhin zwei Namen, und Skele fragte: »Wer von ihnen ist der größere Dummkopf?« »Ur­banovics«, lautete die Antwort. Der Sozialdemokrat Dainis Urbanovics wurde gewählt.

Die Geschäftsmänner Slesers und Skele sind einflussreiche Politiker. Den größten Teil seines Einkommens bezieht Slesers nach wie vor aus Zinseinkünften, Firmenbeteiligungen und Aktienhandel. Als lettischer Verkehrsminister musste er kurz nach der Ausstrahlung der Fernsehberichte zurücktreten. Skele zeigt sich über die Aufregung verwundert. Er sei doch nur noch Privatmann. Als solcher tätigte er internationale Geschäfte – und war zugleich bis zum Eklat Leiter der Programmkommission seiner Partei.

Fragwürdig ist allerdings, warum die KNAB erst jetzt – im September wird ein neues Parlament gewählt – die Gespräche lancierte. Vor einem Jahr gab es noch am Tag der Bürgermeisterwahl Verhaftungen, und die Öffentlichkeit wurde informiert. Dass der Skandal die politische Prominenz betrifft, war bislang aber nicht bekannt. Die KNAB wurde vor einigen Jahren gegründet, als Einars Repse noch Mi­nisterpräsident war. Kritiker werfen der Behörde vor, hauptsächlich dessen Gegner zu überwachen.

Repse, Vorsitzender der Partei Neue Zeit, zog am 6. April seine sechs Minister aus der Koalition mit der Volkspartei von Ministerpräsident Aigars Kalvitis zurück. Die Neue Zeit versucht, sich seit ihrer Gründung als »Antikorruptionspartei« zu profilieren. Doch Repse geriet vor einigen Monaten selbst wegen des Be­sitzes von US-Wertpapieren in die Kritik und trat als Verteidigungsminister zurück. Zu den Ministern, die jetzt das Kabinett verließen, gehört auch Wirtschaftsminister Krisjanis Karins. Ihm wird wiederum von Funktionären der Ers­ten Partei vorgeworfen, Firmen, die sei­ne Partei sponserten, bei der Geldverteilung aus dem EU-Strukturfonds bevorzugt zu haben.

Kalvitis will bis zur Wahl mit einer Minderheitsregierung regieren. Nach Meinung des Soziologen Talis Tisenkopfs bescheren die sich häufenden Korruptionsfälle den Letten ein »politisches Psychotrauma«.