Auch verlieren will gelernt sein

Die Linke in Italien ist enttäuscht. Die Wahl geriet nicht zum überwältigenden Referendum gegen Berlusconi. von federica matteoni und filippo proietti, rom

Siegerlaune herrschte zunächst nur bei den Verlierern. Das ist eines der zahlreichen paradoxen Ereignisse, die kennzeichnend waren nach den italienischen Parlamentswahlen. Mit einem so guten Ergebnis – fast genau der Hälfte der Stimmen – hatte niemand im Haus der Freiheiten, dem von Premierminister Silvio Berlusconi angeführten Mitte-Rechts-Bündnis, gerechnet.

Seine Niederlage wollte Berlusconi jedoch nicht anerkennen. Zunächst verlangte er die Überprüfung von 82 000 ungültigen Wahlzetteln. Erst am Freitag gab das Innenministerium bekannt, dass nur 5 000 Stimmzettel überprüft würden und diese Überprüfung an dem Wahlergebnis nichts ändern werde. Der neue italienische Premierminister wird also Romano Prodi sein. Sein Amt wird er jedoch erst Mitte Mai übernehmen. Bis dahin muss eine Regierung gebildet und ein neuer Staatspräsident gewählt werden. Und vor allem: Bis dahin heißt der Premierminister noch Silvio Ber­lusconi. Wird er nun schnell das Wahlgesetz nachträglich ändern, um das Wahlergebnis annullieren zu können? Nein, das würde zu weit gehen, auch für ihn.

In den ersten Stunden nach der Wahl am Montag vergangener Woche hielt man alles für möglich: weitere fünf Jahre Berlusconi genauso wie Neuwah­len oder eine große Koalition. Am Ende bekam das Mitte-Links-Bündnis (Unione) von Romano Prodi die Mehrheit sowohl im Abgeordnetenhaus mit 49,8 Prozent der Stimmen als auch im Senat mit 158 von 314 Sitzen. Der Abstand zwischen dem linken und dem rechten Bündnis betrug genau 25 224 Stimmen, also 0,066 Prozent.

Für klare Verhältnisse bei so einer geringen Mehrheit sorgt jedoch das neue Verhältniswahlrecht, das eine so genannte Mehrheitsprämie für das stärkste Parteienbündnis vorsieht. Demnach erhält die Unione 348 von insgesamt 630 Sitzen im Parlament. Die Mehrheit im Senat hat Prodi ebenfalls dem neuen Wahlrecht mit seinem komplizierten Proporzsystem zu verdanken. Vor allem aber einem Gesetz, für das sich der postfaschistische Minister für Italiener im Ausland, Mirko Tremaglia, eingesetzt hat: Zum ersten Mal durften 2,7 Millionen im Ausland lebende italienische Staatsbürger per Brief wählen. Doch anders, als es sich der Verteidiger des »Italientums« im Ausland vorgestellt hatte, stimmten sie mehrheitlich für das Mitte-Links-Bündnis.

Bei dem knappen Sieg von Prodi spielte die hohe Wahlbeteiligung eine entscheidende Rolle. Allerdings kann sie kaum auf ein gesteigertes politisches Bewusstsein der Wählerschaft zurückgeführt werden. Dass knapp 84 Prozent der ita­lienischen Wahlberechtigten an der Abstimmung teilgenommen haben, lag vielmehr an einem von vielen Kommen­­ta­toren als »emotional« bezeichneten Wahlkampf, dessen Verlauf und vor allem dessen Inhalt fast ausschließlich von Ber­lusconi bestimmt worden sind. Ganz am Ende des Wahlkampfs gelang es Berlusconi, wie Umfragen zeigten, mit einem wirkungsvollen Coup, Unentschlossene für sich zu gewinnen. Beim letzten so genannten Fernsehduell gegen Prodi, kurz vor Schluss der Sendung, als es für die Journalisten keine Zeit mehr gab, Nachfragen zu stellen, versprach er gewitzt, die Grund- und Immobiliensteuer abzuschaffen. Mit dieser Steuer finanzieren die italienischen Kommunen ihre Sozial­leistungen, beispielsweise im Schul- und Gesundheitswesen. In einem Land, in dem etwa 70 Prozent der Einwohner Immobilienbesitzer sind, kann man mit sol­chen Ankündigungen die Sympathien gewinnen.

Der ganze Wahlkampf wurde von Steu­er­fragen beherrscht, denn an diesem Punkt konnte Berlusconi seiner Phantasie freien Lauf lassen bei der Darstellung der »kom­munistischen Gefahr«. Auf allen Fernsehkanä­len konnte man erfahren, dass die freiheitsfeindlichen »Kommunisten« die Steuern erhöhen würden. Niemand vom Linksbündnis war dazu fähig, andere Themen an diese Stelle zu setzen. Im Wahlkampf ging es vor allem um das Geld der Wähler.

In den letzten Tagen des Wahlkampfes ging Berlusconi dann dazu über, sich selber lächerlich zu machen. Er erklärte, alle Italiener, die das Mitte-Links-Bündnis wählten, seien coglioni (Vollidioten). Auf seiner Abschlussveranstaltung in Neapel betonte er: »Wir werden siegen, weil wir keine Vollidioten sind!«

Als sich in den Wahlergebnissen seine Niederlage abzeichnete, versuchte er, dem Sieger die Legitimation streitig zu machen. Doch kaum bemerkte er, dass die erneute Auszählung ihm nichts bringen würde, gab Berlusconi klein bei und ging so weit, eine große Koalition »nach deutschem Vorbild« vorzuschlagen. Das wurde von Prodi sofort abgelehnt. Der Sieg des Mitte-Links-Bündnisses, bestätigte er, sei legitim, und daher werde es fünf Jahre lang regieren.

Von Siegesstimmung ist in der Linken jedoch kaum etwas zu spüren. Die Wahlen sind nicht zum erwarteten »Referendum gegen Berlusconi« geworden, ebenso wenig bedeuten sie das Ende des so genannten Berlusconismus. Eine wichtige Aufgabe der neuen Regierung – so sagte zumindest Prodi im Wahlkampf – werde die Neufassung der Bestimmungen zur Konzentration ökonomischer, medialer und politischer Macht in einer Hand sein. Die Frage, warum die Mitte-Links-Parteien diesen Punkt nicht in den Vordergrund ihres Wahlkampfes gestellt haben, ist schnell beantwortet: Die Chance, etwas daran zu ändern, hatten sie bereits in ihrer Regierungszeit in den Jahren von 1996 bis 2001, und sie haben sie nicht genutzt.

Offensichtlich wurde mit der Wahl, dass sich die Hälfte der Italiener nicht von einem Politiker trennen will, der Gesetze verabschiedete, um sich selbst, seine Freunde und sein Medienimperium vor Prozessen wegen Steuerhinterziehung, Betrug oder Richterbestechung zu schützen. Die postfaschistischen Parteien, die Fiamma Tricolore oder die Alternativa Sociale von Alessandra Mussolini, die von Berlusconi in sein Wahlbündnis aufgenommen wurden, erhielten zusammen 1,3 Prozent der Stimmen.

Die Stimmenverteilung zeigt, dass die größten Parteien des Olivenbaumbündnisses – die Links- und die Christdemokraten – im Vergleich zu der Wahl, die zur ersten Regierung Prodi führte, fast keine Stimmen hinzugewonnen haben. Die linken Parteien, wie Rifondazione Comunista, die Grünen und die Comunisti Italiani, haben jedoch mehr Zustimmung bei den Wählern gefunden. Fausto Bertinotti, der Vorsitzende von Rifondazione, hofft sogar darauf, Präsident der Abgeordnetenkammer zu werden.

Die erste Bewährungsprobe für die Stabilität des Olivenbaumbündnisses wird vor allem die Außenpolitik der neuen Regierung sein: der Krieg im Irak, der Nahost-Konflikt und die Beziehungen zu den USA. Dann erst wird die Sozial- und Wirtschaftspolitik in den Vordergrund rücken. Um die Stabilität der kommenden Regierung zu garantieren, haben die größten Parteien des Bündnisses vorgeschlagen, zusammen eine Partei zu bilden. Einen Namen gibt es auch schon: Partito Democra­tico. Sie könnte sich auf 30 Prozent der Wählerstimmen stützen. Sollte sich die neue Regierung nicht einig werden und das Mitte-Links-Bündnis scheitern, wird die knappe Niederlage des Paten aus Arcore sein größter Sieg sein.