Berlin-Schwabing

Vielen Prognosen zum Trotz ist Kreuzberg bis heute noch kein Yuppie-Bezirk geworden. Dennoch findet schleichend eine Umstrukturierung statt. von jörg meyer

Die Wagen stehen an der Michaelkirchbrücke, an der Grenze zwischen den Bezirken Mitte und Kreuzberg, aber man fühlt sich schon wie mitten in Kreuzberg. Vor gut drei Jahren muss­te die seit 15 Jahren existierende Wagenburg Schwar­zer Kanal dem Neubau der Verdi-Bundeszentrale an der Schillingbrücke weichen. Jetzt droht erneut die Räumung des Platzes. »Die Besitzer sind uns wohlgesonnen und haben unseren Mietvertrag bis Ende 2006 verlängert«, erzählt der Wagenbewohner Kai Hammersbach. Das Problem sei die Klage eines Nachbarn. »Die Opitz Office-Verwaltungs-GmbH bekommt ihre Büroräume nicht voll und hat ein ideologisches Problem mit uns.« In erster Instanz bekam das Unternehmen Recht. In der Urteilsbegründung des Berliner Verwaltungsgerichtes liest sich das so: »Hiervon ausgehend ist die Wagenburg geeignet, eine bodenrechtlich unerwünschte Entwicklung in Gang zu setzen.«

In diesen Tagen müssen die Rollheimer vom Schwarzen Kanal eine Stellungnahme beim Oberverwaltungsgericht einreichen, das dann darüber befinden wird, ob und wann eine Räumungsver­fügung ausgestellt wird.

Jenseits der Adalbertstraße, im Kiez um die Waldemarstraße, kämpfen die Mieter und Mieterinnen von insgesamt 300 Wohnungen und 20 Ge­werbeeinheiten seit Juli 2004 darum, dass ihre Räu­me bezahlbar bleiben. Seit die Gegend um das Kottbusser Tor nicht mehr als Sanierungsgebiet gilt, seit 2002 also, droht der Verkauf von 23 Häusern der Berliner Wohn- und Geschäftshaus-GmbH (Bewoge). Was dann passieren könnte, wird auf der Website der Betroffenengemeinschaft Walde­kiez als »Vertreibung von MieterInnen mit den altbekannten Methoden unterhalb der Strafgrenze« bezeichnet. Thomas Krüger, ein Mitarbeiter der Gemeinschaft, erzählt: »Rund 40 Prozent der Leute, die hier wohnen, sind von Transferleistungen abhängig.« Zwei Drittel der Wohnungen hätten noch Ofenheizung, dementsprechend günstig seien die Mieten. Mit der Modernisierung nach den »ortsüblichen Standards« und der damit verbundenen Umlage der Kosten auf die Mieter bestehe die Gefahr, dass viele gehen müssen.

Dass die Umlage ein Problem darstellt, sieht auch der zuständige Baustadtrat Franz Schulz (Grü­ne). Ein Mittel, Verdrängungsprozessen Einhalt zu gebieten, ist seiner Ansicht nach, die Umlagen nur so lange zu erheben, bis die Modernisierungskosten wieder eingeholt seien. Bislang würde jedoch dauerhaft die Miete erhöht. Schulz erzählt, er habe noch vor drei Jahren gedacht, dass es das Richtige sei, die Fördermittel zur Modernisierung zu nutzen. »Heute bin ich der Meinung, dass es für ein Gebiet gut ist, wenn 20 Prozent oder mehr des Altbaubestandes unsaniert bleiben. Das hieße Instandsetzung auf niedrigerem Niveau, um günstigen Wohnraum zur Verfügung zu stellen.«

Die Bewohner des Waldekiezes schlugen der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung vor, die Häuser in den Besitz einer Stiftung zu überführen. Damit wären sie vor der »marktüblichen Verwertung« und vor dem Weiterverkauf geschützt, heißt es in der Modellbeschreibung. Doch der Vorschlag sei wegen der »unsicheren Finanzierung« vom Senat abgelehnt worden, berichtet Tho­mas Krüger und spricht von einer politischen Entscheidung. Die Finanzierung sei von »renommierten Experten« überprüft worden. Umstrukturierung bedeutet für ihn im Wesentlichen, dass »alles schöner und teurer« werde. »Sicherlich ist es für eine Stadt attraktiv, wenn Ge­biete aufgewertet werden. Bloß leider werden die Men­schen, die dort leben, nicht mit aufgewertet.«

Die Oranienstraße verläuft vom Görlit­zer Bahnhof bis zum Moritzplatz quer durch den Kiez. In der Nummer 34 arbeitet Ines Woywode als Sozialarbeiterin für den Jugendladen der Till-Eulenspiegel-Kette e.V. (Tek). Finanziert wird das Tek, das seit rund 20 Jahren in der »O-Straße« offene Jugendarbeit mit migrantischen und deutschen Jugendlichen macht, vom Jugendamt. Das Haus ist im Frühjahr 2005 von der landeseigenen Wohnbaugesellschaft Stadt & Land verkauft worden. Nach Ablauf des Mietvertrages im August dieses Jahres kann der gemeinnützige Verein den Laden auch weiter mieten; zu einem Preis von 4 700 Euro statt wie bisher 1 700. »Weder der Träger noch das Jugendamt haben einen finanziellen Spielraum, und schon gar keinen so großen«, sagt Ines Woywode. Sie deutet die Mieterhöhung als eine klare Aufforderung, dass der Verein raus soll, als einen Hin­weis darauf, dass er nicht ins Konzept passt. Wie es weitergeht, weiß sie noch nicht.

Für Horst Kleinschmidt, der in der Adalbertstraße 6 wohnt, bedeutet Umstrukturierung »die Herstellung ›städtischer Normalität‹ unter Marktbedingungen«. Die »A6« war in den achtziger Jahren eines von vielen besetzten Häusern in Kreuzberg. Später gehörte das Haus der Gemeinnützigen Siedlungs- und Wohnungsbaugesellschaft (GSW), einem sozialen Wohnungsträger. Eine Weile nach deren Verkauf an ein Konsortium unter Führung der US-Investmentgesellschaft Cerberus vor zwei Jahren kam eine Kündigung, und seit einigen Wochen ist der »A6-Laden« im Erdgeschoss, der in den vergangenen Jahrzehn­ten zahlreichen Gruppen und Initiativen Raum für Treffen und Veranstaltungen bot, dicht. Das Haus wurde an einen »kleineren Investor« verkauft, der, wie Kleinschmidt sagt, dafür bekannt sei, dass er Immobilien kaufe, »sa­niere« und dann gewinnbringend wieder verkaufe.

Auch jenseits der Hochbahn wird es für einige Mieter und Mieterinnen schwierig. Das Hinterhaus in der Oppelner Straße 41 ist seit 1983 vom Verein »Heller Hinterhof e.V.« gemietet. Der Vereinszweck sei die Instandhaltung des Hauses, erzählt Alexander Schudy, der dort wohnt. Im vorigen Jahr verkaufte die GSW das Haus zunächst an einen großen Investor, der es inzwischen an einen kleineren weiterver­kauft hat. Die Firma CICON Invest schickte an den Verein prompt die Aufforderung, dass nicht mehr untervermietet werden dürfe. »Wir haben denen ge­schrieben, dass wir nicht untervermieten, sondern den Wohnraum unseren Vereinsmitgliedern zur Nutzung über­lassen, und bekamen als Antwort die Kündigung des gesamten Hauses.« Die Kündigung hätten sie aus formalen Gründen zurückgewie­sen. Wie es weitergeht, ist unklar. Schudy meint: »Weil wir uns immer um die Instandhaltung des Hauses gekümmert haben, ist es besonders ärgerlich, dass die uns hinauswerfen wollen. Aber wir sind auch nur ein Beispiel von vielen dafür, wie es mit den Verkäufen der Wohnungsgesellschaften ge­rade läuft.«

Baustadtrat Schulz glaubt nicht, »dass die Landes­politik bis zum Ende versteht, was sie anrichtet«. Die Wohnungsbaugesellschaften müssten von der Politik daran erinnert werden, was ihre Aufgabe sei: bezahlbaren Wohnraum zur Verfügung zu stellen. Wozu das gut sein soll, wenn sie dann doch verkauft werden, um die Landeskasse zu füllen, verrät er nicht.