Unabhängig durch Atome

Die US-Regierung will die Abhängigkeit von Ölimporten reduzieren. Neue Technologien, unter anderem zur Gewinnung von Atomstrom, sollen sie ersetzen. von ferdinand muggenthaler

Wenn in Deutschland über die Energiepolitik der USA gesprochen wird, dann geht es meistens um Benzin fressende Autos und die Weigerung, das Kyoto-Protokoll zu unterzeichnen. Da wird man stutzig, wenn die USA plötz­lich als Vorbild zitiert werden. In einem Kommentar zum deutschen Energiegipfel lobte die Welt die außenpolitische Flankierung der Energiepolitik der USA, und eine Studie der Deutschen Bank kommt zu dem Schluss: »USA sind Vorreiter einer modernen strategischen Energiepolitik«.

Das Lob ist auch erstaunlich, weil in den USA selbst die Sorge wächst, dass die Energiesicherheitspolitik bald nicht mehr funktionieren könnte. Die Ölknappheit nach dem Hurrikan Katrina, die Abhängigkeit von Öl aus Venezuela, Terroranschläge auf Ölanlagen im Irak und die Drohungen des Iran, kein Öl mehr zu liefern – all das ruft in den USA die Angst vor Versorgungsengpässen hervor.

Ein mittelfristig noch größeres Problem stellt der rasant steigende Ölverbrauch von China und Indien dar. Bis 1993 war China Selbstversorger, mittlerweile muss das Land die Hälfte des benötigten Öls importieren. Eine ähnliche Entwicklung spielt sich in Indien ab. Die Experten sind sich uneinig darüber, wie lange die weltweiten Ölvorkommen diesen steigenden Bedarf überhaupt decken können. Klar ist aber, dass kurzfristig das Angebot nur schwer gesteigert werden kann. Die oft veralteten russischen Anlagen, die in den vergangenen Jahren viel von dem steigenden Weltölbedarf gedeckt haben, sind an ihren Kapazitätsgrenzen angelangt. In Saudi-Arabien sieht es nicht viel besser aus.

Diese Entwicklung dürfte US-Präsident George W. Bush dazu bewogen haben, sich zu dem Problem zu äußern. »Damit Amerika wettbewerbs­fähig bleibt, brauchen wir bezahlbare Energie«, stellte er im Januar in seiner Rede zur Lage der Nation fest. »Und hier haben wir ein ernstes Problem: Amerika ist süchtig nach Öl.« Zur Bekämpfung dieser Sucht verordnete Bush keinen Entzug, sprich Energiesparen, sondern die Entwicklung von Ersatzdrogen. Er versprach mehr Geld für die Förderung sauberer Energiegewinnung aus Wind und Sonne, Biokraftstoffen, emmissionsfreien Koh­lekraftwerken und neuen Atomkraft­werken.

Seine Initiative hat weniger mit plötzlich erwach­tem Umweltbewusstsein als mit der Realität auf dem internationalen Energiemarkt zu tun. Die USA werden immer abhängiger von diesem Markt, 1973 importierten sie 35 Prozent ihres Öls, derzeit ist es über die Hälfte. Und so müssen sich die USA, wie die Zeitschrift Foreign Affairs in ihrer jüngsten Ausgabe schreibt, »der unbequemen Tatsache stellen, dass das Ziel der ›Energieunabhängigkeit‹ – ein Wort, das zum Mantra wurde, seit es Richard Nixon 1973 vier Wochen nach dem Beginn des Ölembargos zum ersten Mal aussprach – zunehmend weniger mit der Realität zu tun hat«.

Freilich hatte die strategische Energiepolitik schon in der Vergangenheit wenig mit dem Streben nach Selbstversorgung zu tun. Dagegen spielte, wie die Studie der Deutschen Bank anmerkt, »die Sicherheitspolitik (Militärpolitik) eine erheb­liche Rolle – z. B. im Dienste Saudi-Arabiens zur Absicherung der Förderanlagen und Transporte. In vergangenen Krisenzeiten war das partnerschaftliche Arrangement zwischen den USA und Saudi-Arabien ein stabilisierendes Element für die Weltwirtschaft.«

Auf diese bewährte Kooperation will man sich auf Dauer nicht mehr verlassen. Zum Missfallen Saudi-Arabiens. Nach Bushs Rede war der saudische Botschafter irritiert. Er müsse sich erst noch erklären lassen, wie der Präsident das meinte, als er davon sprach, dass bis 2025 die Ölimporte aus dem Nahen und Mittleren Osten um 75 Prozent reduziert werden sollten. Wie dieses Ziel zu erreichen ist, scheint auch Bush selbst noch nicht ganz klar zu sein. Die »revolutionären Technologien«, von denen er in seiner Rede sprach, sind jedenfalls alle noch weit davon entfernt, das Öl ersetzen zu können.

Etwas konkreter sind die Pläne zum Ausbau der Atomenergie. Hier ist geplant, die Wiederaufarbeitung von Brennstäben wieder aufzunehmen, die ge­stoppt worden war, weil bei dem Verfahren Plutonium isoliert wird, das zum Bau von Atombomben geeignet ist. Derzeit betreiben nur Frankreich, Japan, Russland, Indien und Großbritannien kommer­zielle Wiederaufarbeitungsanlagen. In Zukunft soll ein neues Verfahren angewandt werden, dass es schwerer macht, waffenfähiges Plutonium zu gewinnen. Der wiederaufbereitete Brennstoff soll dann in neuen Reaktortypen so umgewandelt werden, dass weniger Atommüll übrig bleibt. Eine Forschungskooperation mit Frank­reich wurde auf diesem Gebiet bereits 2004 be­gonnen. Die US-Regierung hofft, mit diesem Projekt auch gleich ihr Endlagerproblem zu lösen. Denn das einzige Atommülllager des Landes in Yucca Mountain, das 2012 eröffnet werden soll, wäre bald schon voll. Und die Suche nach einem zweiten Ort zur Lagerung des Mülls gestaltet sich schwierig.

Geplant ist auch, die neuen Atomkraftwerke in alle Welt zu exportieren. Die Global Nuclear Energy Partnership (Gnep) sieht die Schaffung von zwei Klassen von Staaten vor. Auf der einen Seite stünde eine Anbietergruppe, bestehend aus Staaten wie den USA und Russland, die über fortgeschrittene Atomtechnologien verfügen. Gemeinsam würden sie AKW der neuesten Generation und moderne Methoden der Wiederaufarbeitung entwickeln. Auf der anderen Seite stünden Staaten, die mit Hilfe der Anbietergruppe in die »zivile Nutzung« der Atomenergie investieren. Sie müssten auf militärisch nutzbare Technologien verzichten, erhielten aber dafür von den Anbietern Brennstoff für ihre AKW und könnten abgebrannte Brennstäbe dorthin zur Wiederaufarbeitung zurückschicken.

Bei einer Konferenz der G8-Energieminister in Moskau warb der US-Energieminister Samuel Bod­man bereits für die Gnep. Dabei ist bisher noch nicht einmal klar, ob die »proliferationsresitente« Wiederaufbereitung und Reaktoren, die den langlebigen Atommüll ver­brennen, überhaupt funktionieren werden. Von den Risiken eines Unfalls im Reaktor oder beim Transport der Brennstäbe einmal ganz abgesehen.

Insgesamt gleichen die Pläne für eine künftige Energiepolitik der USA bisher eher einem Brainstorming als einer abgeschlossenen Strategie. Welche der vielen Zukunftstechnologien tatsächlich eine Rolle spielen werden, ist noch offen. Sicher ist aber, dass die USA in absehbarer Zeit nicht auf Öl und Gas aus Venezuela, dem Nahen Osten und Russland verzichten können. »Energiesicherheit wird davon abhängen, wie Staaten ihre Beziehungen untereinander regeln«, schreibt Foreign Affairs. »Deshalb wird Energiesicherheit eine der großen Herausforderungen der US-Außenpolitik in den nächsten Jahren sein.« Und auch Deutschland, das hat die CDU schon angekündigt, wird seine Energiepolitik stärker »außenpolitisch flankieren« wollen.