Ein Zweidrittelsieg

Die Strategie der Kommunalen Arbeitgeber in Baden-Württemberg ist gescheitert. Die Gewerkschaft ist stärker geworden. Eine Antwort auf Felix Klopotek (Jungle World 16/2006). von lothar galow-bergemann

Meine Begeisterung über den Abschluss hält sich in Grenzen‹, sagte Oberbürgermeister Wolfgang Schuster vor der versammelten Presse und bilanzierte das Ergebnis mit den Worten: ›Die Gewerkschaft Verdi hat einen guten Teil ihrer Ziele erreicht.‹« So zitierte die Stuttgarter Zeitung Schuster. Seine Worte klingen nicht so, als hätte er Verdi retten wollen, wie es Felix Klopotek den Arbeitgebern im öffentlichen Dienst in Baden-Württemberg nachsagt.

Warum auch? Verdi in Baden-Württemberg gilt als relativ links und kampfstark. Genau dort wollten die Arbeitgeber als erstes die 40-Stunden-Woche durchsetzen. Damit hätten sie nicht zuletzt auch die Möglichkeit eröffnet für das, was sie in den nächsten Jahren noch so alles vorhaben: privatisieren, das Weihnachtsgeld und die Betriebsrente abbauen u.v.m. Die Gewerkschaftsbezirke, die sich da auf Gegenwehr vorbereiten, bekämpft man am besten.

So gaben sich die Oberbürgermeister von Mannheim, Gerhard Widder (SPD), und von Stuttgart, Schuster (CDU), zu Beginn der Auseinandersetzung als Scharfmacher. Das war schön ausgedacht, ging aber schief. Verdi ist in Baden-Württemberg nach dem Streik stärker als zuvor. Es werden zwar 39 Stunden in der Woche gearbeitet, aber es herrscht kein tarifloser Zustand, der vielen schnell die 40 Stunden beschert hätte. Auszubildende arbeiten 38,5 Stunden, die Laufzeit ist, anders als die Unternehmer es wollten, für die Einkommen (bis 2007) und die Arbeitszeit (bis 2009) unterschiedlich. Und vor allem geht Verdi mit einem gestärkten Selbstbewusstsein aus dem Streik hervor.

Nachgiebig wurden die Arbeitgeber nicht etwa aus plötzlich entdeckter Liebe zur Gewerkschaft, sondern weil ihnen neun Wochen Streik zugesetzt hatten. Im kommunalen Arbeitgeberverband ging es drunter und drüber. Landräte und Bürgermeister kleinerer Städte, die wenig vom Streik mitbekamen, wandten sich gegen die Oberbürgermeister der Großstädte, die unter Druck gerieten. So kritisierten Stuttgarter Eltern, nach wochenlangem Ausfall der Kinderbetreuung arg in Nöten, zwar auch Verdi, wesentlich schärfer jedoch die Stadt­oberen, die in immer größere Rechtfertigungsnöte gerieten.

Überhaupt stand es mit der Unterstützung der Bevölkerung gar nicht so schlecht. Im Klinikum wurden die Streikenden auch nach Wochen noch von vielen Patienten aufgefordert weiterzumachen, was in ihrer Lage etwas heißen will. Zwar haben viele den Unfug von den »18 Minuten« nachgeplappert, aber man hatte das Gefühl, viele freuten sich auch, »dass sich endlich mal welche gegen die ganze Scheiße wehren«, wie es hieß. Das Resümee der Stuttgarter Zeitung jedenfalls lautet: »Doch haben die Arbeitgeber – verglichen mit ihrer Ausgangsposition – wenig erreicht. Die gut organisierten Belegschaften in den baden-württembergischen Großstädten haben dem Verband seine Grenzen aufgezeigt.«

Auch wenn der Organisationsgrad nur selten zum Jubeln ist, viel Ermutigendes hat sich entwickelt. Verdi hat jetzt mehr Mitglieder und Aktive. Erstmals seit langer Zeit sind wieder junge Leute, Auszubildende zumeist, aufgestanden, »die Zukunft der Jugend« verband die Generationen. Wich­tige Streikbetriebe wie Jugendämter und Kliniken waren Frauenbetriebe. Die Müllmänner blieben nicht nur acht Wochen lang konsequent, der Überraschungscoup unter dem Motto »Heute streiken wir nicht – morgen vielleicht wieder«, mit dem der effektive Einsatz von Privatfirmen als Streikbrecher verhindert wurde, gelang ebenso wie die Blockade des Müllheizkraftwerks. Nachdem Private in Stuttgart den ersten Müll eingesammelt hatten, blockierten über 200 Gewerkschafter die Tore und verhinderten so die Entladung der vollen Lastwagen. Verärgerte Bürgermeister zogen erfolglos vor Gericht.

Viele Streikende haben gelernt zu streiken. Neue, trans­parente Diskussionen sind entstanden. Jeden Tag haben die Streikenden in offenen Versammlun­gen gemeinsam entschieden, wie es weitergeht. In den Betrieben sind harte Kerne entstanden, mit denen auch in künftigen Kämpfen zu rechnen sein wird.

Trotzdem gab es nicht zu übersehende Schwächen. Niemand hatte Erfahrung mit so einem langen Streik, die Nerven lagen blank. Die Streikenden waren einem regelrechtem Psychokrieg ausgesetzt. So hat man ahnungslose Patienten der Presse und dem Fernsehen ausgeliefert, indem man sie bewusst an Streiktagen einbestellt hat, um ihnen dann zu eröffnen, dass sie »wegen Verdi« leider nicht operiert werden könnten. Es gelang auch nicht mehr, die Anzahl der Streikenden weiter zu erhöhen. Solidaritätsstreiks, ins­besondere der Verkehrsbetriebe, wären dringend nötig gewesen, schei­terten jedoch weniger an der Gewerkschaftsführung als an der grassierenden Angst vor weiterer Privatisierung.

Überhaupt wollte die Gewerkschaftszentrale diesmal endlich kämpfen. Doch weil sie zuvor viel zu lange still gehalten hatte, war sie nicht ganz unschuldig daran, dass viele nach 14 kampflosen Jahren ohne Streikerfahrung waren. Nicht wenige Beschäftigte ließen aber auch lieber gleich andere für sich streiken. Die Meinung, man müsse noch viel mehr streiken, ja, man müsse es so machen wie in Frankreich, war weit verbreitet. Aber sobald es hieß: »Und was tust du?«, wurde das Bild sehr schnell viel realistischer. Typisch deutsch eben. Wer Flugblätter verteilt hatte, in denen der Kampf bis zum vollständigen Sieg gefordert wurde, konnte genauso wenig wie alle anderen sagen, wie das hätte bewerkstelligt werden sollen. Die Einsicht, dass ein Streik auch zum richtigen Zeitpunkt beendet werden muss, hat sich in der fast 70prozentigen Zustimmung in der Urabstimmung zum Streikende widergespiegelt.

Die größte Schwäche bestand darin, dass es ein defensiver Kampf war. Die Beschäftigten im öffentlichen Dienst müssen jetzt eine halbe Stunde länger für den gleichen Lohn arbeiten. Verdi hätte offensiv eine Arbeitszeitverkürzung fordern müssen. Aber dafür gab es nicht nur in der Führung, sondern auch an der Basis zu wenig Unterstützung. Nicht wenige wären sogar bereit gewesen, für etwas mehr Geld deutlich länger zu arbeiten. Wäre diesen Stimmen nachgegeben worden, hätte sich die Aussicht auf künftige Kämpfe um eine Verkürzung der Arbeitszeit noch mehr verdüstert. So aber ist sie besser geworden, denn dass eine Arbeitszeitverkürzung nötig wäre, hat sich in den neun Wochen bei vielen herumgesprochen.

Abschließend ist der Streik im öffentlichen Dienst nur einzuschätzen, wenn u.a. klar ist, wie es für die Beschäftigten in den Ländern mit schlechtem Organisationsgrad ausgegangen ist. Aber schon jetzt ist bewiesen, dass Gewerkschaften auch in der Krise kämpfen können. Der Schwerpunkt des Streiks lag nicht zufällig in Stuttgart, wo man dies bereits seit Jahren tut.

Zu warnen ist jedoch vor dem Trugschluss, man könne die Zeiten von Vollbeschäftigung und Sozialstaat einfach wieder »zurückerkämpfen«. Das ist mit keiner noch so starken Gewerkschaft möglich, weil die Spielräume dafür unter den Bedingungen von mikroelektronischer Rationalisierung und Globalisierung nicht mehr existieren. Auf Dauer setzen offensive gewerkschaftliche Kämpfe die grundsätz­liche Infragestellung der kapitalistischen Verfasstheit der Gesellschaft und ihres Arbeits- und Finanzierungszwangs voraus. Davon ist Verdi, auch in Baden-Württemberg, noch weit entfernt.

Lothar Galow-Bergemann ist Verdi-Mitglied und war im Klinikum Stuttgart aktiv im Streik.