Viel Milch, wenig Kakao

Bei den Bürgermeisterwahlen in New Orleans gewann der einzige schwarze Kandidat die meisten Stimmen. Viele Afroamerikaner, die noch nicht in die Stadt zurückkehren konnten, blieben von der Wahl ausgeschlossen. von lia petridis, new york

Wieso sollte jemand freiwillig Bürgermeister der Stadt New Orleans werden wollen? »Weil diese Person Geschichte macht und sofort zur internationalen Figur wird«, sagt die Politikwissenschaftlerin Susan Howell von der Universität New Orleans. Darum stellten sich auch Ende April 22 Kandidaten zur Wahl. Nur einer von ihnen, Ray Nagin, war Afroamerikaner.

»Ich bin ein Macher. Ich bin ein Pusher. Ich bin ein Wildpferd. Bisweilen erreiche ich Licht­ge­schwin­dig­keit«, behauptet der amtierende Bürgermeister Nagin von sich. Er bezeichnete die Zerstörung der Stadt Ende August vergangenen Jahres als eine »Strafe Gottes«, der »einen Hurrikan nach dem anderen« sende, unter anderem weil er »sicher nicht billigt, dass wir unter falschen Vorwänden im Irak sind«. Aufgrund solcher gewagten The­sen, diverser Zoten und zahlreicher Feh­ler bei der Evakuierung der Stadt hat Nagin an Popularität eingebüßt. Die erste Run­de hat er mit 39 Prozent der Stimmen gewonnen, er muss aber am 20. Mai in die Stichwahl, kein Kandidat erreich­te die erforderliche absolute Mehrheit.

Sein Konkurrent ist Mitch Landrieu, der mit 28 Prozent der Stimmen unterlag. Doch Umfragen zufolge hat er im Mai gute Chancen, wenn er die Stimmen der Weißen für sich gewinnen kann. Er kommt aus einer politisch engagierten und tradi­tio­nell progressiven Familie. Er ist derzeit stellvertretender Gouverneur in Louisiana, und sein Vater, Moon Landrieu, war vor 30 Jahren der letzte weiße Bürgermeister von New Orleans, der in der schwar­zen Gemeinde Sympathien gewinnen konnte, da er Führungspositionen in der Stadtverwaltung an Afroamerikaner vergab.

New Orleans war in den vergangenen 30 Jahren eine mehrheitlich afroamerikanische Stadt, doch die Sturmkatastrophe und die Evakuierung haben die Bevölkerungsstruktur verändert. Stellten Afroamerikaner noch im Jahr 2000 mit 67 Prozent gegenüber 28 Prozent Weißen eine klare Mehrheit, so ist mittlerweile eine knappe Mehrheit von 52 Prozent »kaukasisch«, sprich weiß, und nur noch 37 Prozent sind Schwarze.

Weniger als die Hälfte der 455 000 Einwohner ist in die Stadt zurückgekehrt, die meisten der Flüchtlinge, die immer noch über die gesamten USA verteilt leben, sind Afroamerikaner. Die von ihnen bewohnten ärmeren Stadtviertel waren überdurchschnittlich stark von den Zerstörungen betroffen, viele wissen nicht, wo und wovon sie nach einer Rückkehr leben sollen. Es gibt kaum Arbeitsplätze, und die Mieten sind immens gestiegen. Nur etwa 20 000 ehemalige Bewohner von New Orleans haben außerhalb der Stadt per Brief oder Fax gewählt.

Bürgermeister Ray Nagin will New Orleans in Zukunft wieder zur »Schokoladenstadt« machen. Diese Äußerung brachte ihm einigen Ärger, denn man warf ihm vor, dass er in einer Stadt, in der unter den verschiedenen Bevölkerungsgruppen Anspannung herrscht, die Unterschiede, nicht aber die Gemeinsamkeiten hervorhebe. Dafür entschuldigte er sich später und kreierte flugs eine politisch leichter verdauliche, aber nicht minder ungelenke Version seiner bittersüßen Metapher: »Wie macht man Schokolade? Man nimmt Kakao, mischt ihn mit weißer Milch, und heraus kommt ein hervorragendes Getränk. Das ist die Schokolade, von der ich spreche.«

Über 65 Prozent der Wähler in den Stadtteilen, in denen Afroamerikaner nach wie vor die Mehrheit bilden, stimmten für ihn. Vor vier Jahren waren ihm auch die Stimmen der weitaus finanzkräftigeren Weißen in New Orleans gewiss, deren Wohlwollen er jedoch weitgehend verloren hat. Nur acht Prozent von ihnen wählten ihn im April. Für Landrieu stimmten 23 Prozent der afroamerikanischen Wähler und 30 Prozent der Weißen. Wahlanalytiker prophezeien nun, dass Nagin gewinnen könnte, wenn es ihm gelingt, die durch seine ungeschickte Rhetorik verärgerten Weißen wieder für sich zu begeistern.

Dass nur die Hälfte der Einwohner über die Zukunft der Stadt abstimmen konnte, wurde unter anderem von Bürgerrechtlern und afroamerikanischen Politikern kritisiert. Reverend Jesse Jackson beklagte, dass die Evakuierten nur sehr eingeschränkte Möglichkeiten hatten, an der Wahl teilzunehmen, beschuldigte die Regierung des Bundesstaats Louisiana, sie wolle die afro-amerikanischen Wähler an der Stimmabgabe hindern, und fragte, ob die Regierung ­George W. Bushs »erfreut sei zu sehen, wie New Orleans eine weiße Stadt wird«. Er organisierte am 1. April eine Demonstration in New Orleans zusammen mit dem Congressional Black Caucus, einem Lobbyverband afroamerikanischer Parlamentsabgeordneter, und anderen Organisationen. Er forderte, allen Flüchtlingen die Rückkehr und die Teilnahme an der Wahl zu ermöglichen.

Andere Politiker bestreiten, dass »Rassenfragen« eine Rolle gespielt haben. Ron Forman, ein weiterer weißer Kandidat, der sich um das Bürgermeisteramt in New Orleans bewarb, sagte vor den Wahlen: »Der Konflikt um die Hautfarbe wird hochgespielt. Wenn man die Straßen von New Orleans ent­langläuft, wird man bemerken: Die Menschen liegen sich in den Armen.«

Unmittelbar nach dem Hurrikan hatten zahlreiche Kritiker die zögerlichen Hilfsleistungen der Regierung Bush mit Rassismus erklärt. Viele US-Bürger, Schwarze und Weiße, erwarteten eine gesellschaftliche Diskussion über den Rassismus in einem Land, in dem ein Viertel der Afroamerikaner, aber weniger als neun Prozent der Weißen zur Armutsbevölkerung zählen. Manche hofften sogar, der Hurrikan »Katrina« werde eine soziale Bewegung auslösen. Doch die Debatte ist weitgehend ausgeblieben.

»Rassismus in den USA ist ein ausgesprochen heikles Thema«, sagt Ted Henken, Professor für Afroamerikanische und Hispanische Studien an der City University New York. »Niemand will darüber reden. Weiße haben oftmals nur sehr wenige Erfahrungen mit der schwarzen Welt. Umgekehrt ist das nicht so, denn in einem Land mit weißen Machtstrukturen muss sich der Rest anpassen. Und das ist keine Verschwörungstheorie, das ist die Realität. Die Leute wissen wirklich nichts übereinander, und eine Krise wie »Katrina« legt diese Probleme offen. Das heißt aber noch lange nicht, dass eine Debatte stattfindet.« Die wird wohl, ungeachtet der offensichtlichen Missstände, keiner der beiden Kandidaten vor dem 20. Mai beginnen. Denn dann gilt es, »Geschichte zu machen«, und nicht, sie aufzuarbeiten.