Angry White Men

Bei den britischen Kommunalwahlen erlitt die Labour-Party eine schwere Niederlage. Die rechtsextreme British National Party eroberte die Londoner Arbeiterviertel. von matthew heaney, london

Schon auf der kurzen Strecke zwischen dem Bahnsteig und der Einkaufsstraße befinden sich 19 Überwachungskameras. Musik von Antonio Vivaldi beschallt den U-Bahnhof und soll nach einem neuen Programm der Londoner U-Bahn-Gesellschaft zur Bekämpfung der Kriminalität unerwünschte Jugendliche aus der Umgebung fernhalten. Der letzte große Supermarkt machte vor Jahren zu. Zum Einkaufen gibt es hier, im Ostlondoner Arbeiterviertel Dagenham, haupt­sächlich Ein-Pfund-Läden und so genannte Charity Shops.

Bei den Kommunalwahlen am Donnerstag vergangener Woche wurde die neo­faschistische British National Party (BNP) im Wahlbezirk Barking und Dagenham mit elf Stadträten zur zweitstärksten Partei. Sie verdoppelte bei der Wahl, die in London und 36 weiteren britischen Städten stattfand, die Zahl ihrer Gemeinde- und Stadträte auf insgesamt 44. Die Labour Party hingegen erlitt eine schwere Niederlage. Sie landete mit 26 Prozent der Stimmen auf dem dritten Platz, hinter den Liberaldemokraten, die 27 Prozent erzielten, und den Konservativen, die auf 40 Prozent kamen.

Für das gute Ergebnis hat sich die BNP bereits bei der Arbeitsministerin der Labour-Regierung, Margaret Hodge, bedankt, die den Rechtsextremen indirekt geholfen hat. Sie behauptete im Wahl­kampf, »80 Prozent der weißen Arbeiter« in ihrem Wahlkreis Barking und Dagenham überlegten ernst­haft, die BNP zu wählen. Viele Leute seien durch diese Äußerung und durch die darauf folgenden Berichte und Analysen in der Presse erst auf die Idee gebracht worden, meinen einige Labour-Funk­tionäre.

Über Jahrzehnte hinweg war der Bezirk Barking und Dagenham eine Hochburg der Labour Party. Inzwischen hat sie dort keine funktionierende Struktur mehr, wie übrigens andere Parteien auch nicht. Im Jahr 1994 bekam hier bei einer Parlamentsnachwahl der damalige Vorsitzende der BNP, John Tyn­dall, erstmals mehr als fünf Prozent der Stimmen. Damals wurde der Wahlkreis noch hauptsächlich von Weißen bewohnnt. In den Parlamentswahlen 2005 erreichten die BNP und die rechte UK Independence Party in Dagenham neun bzw. fünf Prozent, in Barking erzielte die BNP alleine 17 Prozent. Bei einer Nachwahl zum Stadtrat 2004 bekam die BNP sogar 51 Prozent aller Stimmen.

Die Bevölkerungsstruktur von Barking und Dagenham aber hat sich verändert. Zwischen 1991 und 2001 erlebte der Bezirk den größten Zuwachs nicht weißer Bewohner im gesamten Königreich. Neue Läden entstanden, auf dem Markt kann man Lebensmittel aus der ganzen Welt kaufen. Einige evan­gelikale Sekten eröffneten hier so genannte Black Churches, etwa in ehemaligen Pubs. Darüber sind Teile der weißen Bevölkerung nicht glücklich. Eben­so wenig darüber, dass man auf den Straßen nicht nur Englisch hört.

In der um 1920 erbauten Wohnsiedlung, die den größten Teil des Bezirks ausmacht, wurden seit der Regierungszeit von Margaret Thatcher nach und nach viele Wohnhäuser privatisiert, die vorher im städtischen Besitz waren. Dabei bleibt Barking und Dagenham der Bezirk mit den billigsten Mie­ten. Trotz vieler Baustellen wird jedoch die Anzahl günstiger Wohnungen immer ge­rin­ger und die Wartelisten für die Council Houses, die Sozialwohnungen, sind sehr lang, weil es immer weniger davon gibt. Nur wer eine Kau­tion zahlen oder eine Hypothek anbieten kann, hat auch Chancen, eine Wohnung zu bekommen.

Viele Bewohner des Be­zirks sind davon überzeugt, dass Migranten daran schuld seien, denn sie würden bei der Wohnungsvergabe bevorzugt. Die BNP schürt ausländerfeindliche Ressentiments seit Jahren mit der Lüge, der Bezirk schenke zuziehenden Schwarzafrikanern 50 000 Pfund (ca. 80 000 Euro). In den Kneipen hört man ähnliche Geschichten. Zum Beispiel, dass Asylbewerber aus dem Kosovo Schwäne aus dem Stadtpark klauten, um sie dann auf der Stelle zu grillen, oder dass Ausländer an der angeblich gestiegenen Anzahl von kleinkriminellen Verbrechen und Ver­gewaltigungen schuld seien. Statistiken der Polizei beweisen jedoch einen Rückgang solcher Verbrechen.

Am Wahltag um 14 Uhr steht bei drückender Hitze ein Kandidat der BNP vor einem Wahllokal in Dagenham, wo sich sonst Pfadfinder treffen. Er schwitzt in seinem rosafarbenen Hemd, seine Lackschuhe glänzen. Direkt gegenüber befindet sich ein so genannnter Conservative Club. »Vote blue, go green« (Blau wählen, grün werden), so heißt der Wahl­slogan, mit dem die Tories unter der Führung des jungen David Cameron versuchen, sich um­weltbewusst und modern zu geben. Die Wähler hier in Barking und Dagenham sind aber nicht ihre Zielgruppe. Ein Wahlhelfer der Labour Party erzählt, aus dem Pub nebenan seien bereits mehrere betrunkene Menschen herausgekommen, die dann wählen gegangen seien. »Dickheads«, nennt er sie. Wollen die Besoffenen vielleicht nur die Schwä­ne des Bezirks retten? Bis Spät­abends fährt ein Lautspre­cherwagen der BNP herum und wirbt für »die Partei des britischen Volkes«.

Am Freitagmorgen kommentierten Politiker in Talkshows das Wahlergebnis. Man müsse unbedingt über die Bedürfnisse der Arbeiterklasse und der »traditionellen Labour-Wählerschäft« diskutieren, lautete ihr Urteil. Premierminister Tony Blair reagierte auf die Wahlniederlage mit einer Kabinetts­umbildung, bei der das Innen- und das Außenminis­terium neu besetzt wurden. Rufe nach dem Rauswurf von Innenminister Charles Clarke waren in den vergangenen Wochen immer lauter geworden, nachdem das Innenministerium mehr als 1 000 ausländische Kriminelle nach die Verbüßung ihrer Haftstrafen nicht abgeschoben hatte. Clarkes Nach­folger ist der bisherige Verteidigungsminister John Reid. Außenminister Jack Straw wurde durch die bisherige Umweltministerin Margaret Beckett ersetzt.

Auf diese Weise versucht Blair den Eindruck eines Neuanfangs zu vermitteln und gleichzeitig die Forderungen nach seinem Rücktritt, die immer mehr Labour-Abgeordnete erheben, zu übertönen. Dass die Menschen, die in Barking und Dagenham die Faschisten gewählt haben, damit besänftigt werden, ist unwahrscheinlich. Der Vorsitzende der BNP, Nick Griffin, bezeichnete das Wahlergebnis seiner Partei als eine »Revolte der arbeitenden Bevölkerung«.