Bikinis machen Politik

Den Parteien fehlt der Nachwuchs. Ihre Jugendorganisationen versuchen mit allen Mitteln, attraktiv zu wirken. von christopher van den hövel

Pünktlich morgens um 7.45 Uhr fängt für viele Kinder die Schule an, und die Bundeskanzlerin beginnt das Land zu regieren. Angela Merkel versammelt um diese Zeit ihre wichtigsten Mitarbeiter zur »Morgenlage«. Mit dabei ist Hildegard Müller, 38 Jahre alt und Staatsministerin im Bundeskanzleramt für die Koordination zwischen Bund und Ländern. Sie hält den Kontakt zwischen der Regierung und den 16 Ministerpräsidenten und vermittelt bei Problemen. Das bedarf der Erfahrung und guter Kontakte. Die hat sie. Seit 2002 sitzt sie im Deutschen Bundestag, seit dem Jahr 2000 ist sie Mitglied des Bundes­vorstands und des Präsidiums der CDU. Entscheidender aber war wohl ihr Posten als Vorsitzende der Jungen Union, den sie von 1998 bis 2002 innehatte. Dort knüpfte sie Beziehungen zu den wichtigsten Politikern und lernte die Regeln des Politikalltags kennen. »Das stählt«, schrieb das Magazin Cicero.

Wer Ursula von der Leyen heißt und einen ehemaligen Ministerpräsidenten als Vater hat, kann es auch auf anderem Wege schaffen. Doch die Karriere der meisten bekannten CDU-Politiker hat in der Jungen Union begonnen.

Hendrik Wüst etwa ist 30 Jahre jung und Vorsitzender der Jungen Union Nord­rhein-Westfalens. Seit 2002 sitzt er im Bundesvorstand der CDU, und es geht weiter aufwärts mit ihm. Ministerpräsident Jürgen Rüttgers will ihn zum Generalsekretär im stärksten Landesverband der Partei machen, der junge Mann gilt als sein Vertrauter.

In der SPD ist es nicht anders. Unter den Vorsitzenden der Jungsozialisten in den Jahren 1974 bis 1980 waren Heidemarie Wieczorek-Zeul, Klaus-Uwe Benneter und Gerhard Schröder. Andrea Nah­les, ebenfalls ehemalige Vorsitzende der Jusos, hätte es beinahe zur Generalsekretärin gebracht, wäre nicht Franz Müntefering dagegen gewesen. Bei den Jusos habe Nahles die »innerparteilichen Kampfmethoden« gelernt, schrieb der Spiegel. Der Vorsitzende der FDP, Guido Westerwelle, führte die Jungen Liberalen von 1983 bis 1988.

Die Chance, in einer Partei groß raus zu kommen, dürfte sich in den vergangenen Jahrzehnten sogar noch verbessert haben, denn die Konkurrenz ist kleiner geworden. Haben die Parteien seit der Wiedervereinigung rund eine halbe Million Mitglieder verloren, so fehlt es auch dem Parteinachwuchs an Nachwuchs. Von rund 320 000 Jusos in den siebziger Jahren sind noch 70 000 übrig, bei der Jungen Union sank die Zahl der Mitglieder im gleichen Zeitraum von 270 000 auf 129 000.

Lediglich die Jungen Liberalen, die seit ihrem ersten Bundeskongress im Jahr 1980 auf 10 000 Mitglieder angewachsen sind, haben bislang noch keine Verluste zu beklagen. Sie hatten sich in Opposition zur früheren, eher linksliberal orientierten Jugendorganisation der FDP, den Jungdemokraten, gegründet. Die Wege der FDP und der Jungdemokraten trennten sich mit dem Ende der sozial-liberalen Koalition im Jahr 1982. Die Grüne Jugend wurde erst im Jahr 1994 gegründet, weil sich die Grünen stets selbst für jung und frisch gehalten hatten.

Die Nachwuchsorganisationen bezeichnen sich wahlweise als »Hefe im Teig« (Julis), »innere Opposition« (Jusos) oder »Motor« (Junge Union) und sind doch nur Kaderschmieden. Dass die Veränderung der Parteien von unten eine Illusion ist, mussten die Jusos feststellen, die sich immerhin einmal als rebellische Basis ihrer Partei verstanden hatten. Teile der 68er wollten bei ihrem Marsch durch die Institutionen die SPD nach links rücken und traten Anfang der siebziger Jahre in Massen in die Partei und den Jugendverband ein. Heraus kamen Figuren wie Gerhard Schröder.

Wozu die Jugendorganisationen heute dienen, erklärt Jan Dittrich, der ehemalige Vorsitzende der Jungliberalen: »Als unabhängige Jugendorganisation können wir vielleicht leichter junge Menschen für Politik interessieren, die nicht gleich mit dem Apparat einer Partei in Kontakt kommen wollen.« Tatsächlich dürfte der Parteiapparat früher oder später all jene abschrecken, denen Politik wichtiger als die eigene Karriere ist. Unabhängig von der Gesinnung ist das einzige Mittel Einfluss zu nehmen zugleich das zermürbenste: Anträge einbringen. Mehr als dass ein Jugendclub nicht dicht gemacht, ein Kinderspielplatz oder ein Skatepark gebaut wird, kommt dabei selten heraus.

Nur noch zwei Prozent der Parteimitglieder der CDU und der SPD sind unter 30 Jahre alt. Ihre wenigen jungen Mitglieder behandeln die Parteien fürsorglich. In der SPD können sie ein »Politik Diplom« erwerben. In vier Modulen lernen sie die theoretischen Grundlagen der Parteiarbeit kennen, absolvieren Gesprächs- und Rhetoriktrainings. Die weibliche Parteielite wird in einem Men­toringprogramm herangezüchtet. Jede Jungsozialistin erhält eine erfahrene Politikerin als Mentorin.

Das alles ändert wenig daran, dass Parteien als wenig »sexy« und daher als unattraktiv gelten. Um nicht völlig auszusterben, arbeiten die Jugendorganisationen diesem Ruf mit aller Kraft entgegen. Politik muss Spaß machen und darf vor allem nichts mit Politik zu tun haben, verstanden? Weil Politik out ist, sind fun und event in.

Trotz des misslungenen Spaßwahlkampfs Westerwelles zur Bundestagswahl 2002 versuchten es die Jungen Liberalen im vergangenen Jahr mit einer ebenso inhaltsleeren Werbekampagne. »Freibäder, Discos und Mallorca« waren die Orte, an denen die Julis potenzielle Wähler und Mitstreiter vermuteten. Sie verteilten Kondome mit dem Slogan »Freier Verkehr für alle«, und ihr ehemaliger Vorsitzender Daniel Bahr steuerte in seinem Wahlkreis Münster lustige Wortspiele bei: »Wähl Bahr« wollte er sein und stellte eine »Cocktail-Bahr« auf die Beine, wo er »Blau-Gelb on the Beach« mixte. Auch Aufkleber mit der Aufschrift »Fruchtbar-Deutsch-Paarungswillig« kursierten. Wer wollte da nicht gleich in die Partei eintreten, deren Name, um Verwechslungen vorzubeugen, mit auf dem Aufkleber stand?

Diese Arbeitsweise, die sich die Jugendorganisationen nicht nur im Wahlkampf zu Eigen gemacht haben, offenbart ihre Marketingstrategie: Die Partei ist ein Produkt, das sich am besten verkauft, wenn jeder politische Beigeschmack fehlt. Ökonomen nennen das Ausrichtung am Markt. Die Zielgruppe der Jungliberalen und ihrer Konkurrenz sind die 14- bis 30jährigen.

Die Junge Union hat zu diesem Zweck einen alten Slogan aus den sechziger Jahren wieder entdeckt und feierte seinen »Relaunch«. Mit »Black is beautiful« wollen sie ihre »Leidenschaft« für die Mutterpartei ausdrücken. Der Relaunch gelte als »Portfolio« und funktioniere unabhängig von der verbandseigenen »Corporate Identity«, verrät die Website der jungen Konservativen. Wer unbedingt möchte, kann Schlüsselanhänger, die obligatorischen Kondome und Handyhüllen mit der Aufschrift erwerben. Das Topangebot aber stellt ein »süßer Bikini« dar, auf dessen Unterteil hinten »Black is beautiful« prangt. Blitzen uns demnächst aus Hüfthosen Tangas mit derselben Aufschrift entgegen? Möglich wäre es. Nur die Jugendlichen, die deshalb in Scharen zu den Jugendorganisationen der Parteien laufen, sind bisher noch nicht gesichtet worden.