Feinheiten des Grunzens

Über Dada, faschistische Ästhetik und den feinen, aber bedeutenden Unterschied zwischen Death Metal und Black Metal. von bertrand w. klimmek

Nur ungern erinnere ich mich an jenen Diskurs-Hipster und Poplinken, der heute angemessenes Kriterium als Musik, um über Musik zu sprechen.

Dada und Industrial

Dada hatte von Anfang an ein kindliches Moment, war entlarvendes Spiel mit der Absurdität der Sachzwänge der bürgerlichen Gesellschaft, mit einem Wort: bestimmte Negation. Zwar ist die Message ebenso eine Worthülse wie der Groove. Dennoch kann Musik durchaus substanzielle Botschaften verkünden, vorausgesetzt, man sucht sie nicht im plakativen, expliziten Songtext, sondern in den immanent musikalischen Ausdrucksformen. Der dadaistische Ausbruch jedenfalls unterscheidet sich fundamental von dem, was als »krass« oder »provokant« wahrgenommen zu werden trachtet, vom ästhetischen Vernichtungskult also, der radikal posiert und nur abstrakte Negation ist.

Wie äußerlich die Verwandtschaft zwischen dem posierenden Vernichtungskult und dem links-nihilistischen Dadaismus ist, der nichts wollte als bürgerliche Formen zu zersetzen, belegt das »Futuristische Manifest« des Schrift­stellers Filippo Tommaso Marinetti aus dem Jahr 1909: »Wir wollen preisen die angriffslustige Bewegung, die fiebrige Schlaflosigkeit, den Laufschritt. (…) Wir wollen den Krieg verherrlichen – diese einzige Hygiene der Welt –, den Militarismus, den Patriotismus, die Vernichtungstat der Anarchisten, die schönen Ideen, für die man stirbt, und die Verachtung des Weibes.« Als Urahn des Industrial kann Luigi Russolo gelten, ein Weggefährte Marinet­tis, der allerdings dessen offen faschistische Gesinnung nicht teilte. Ehrfürchtig beschwor er »das Brummen der unbestreitbar animalisch atmenden und pulsierenden Motoren, das Pochen der Ventile, das Hin und Her der Kolben«. Doch im Industrial, ursprünglich durchaus dadaistisch, ist das Brummen und Zischen längst zum Selbstzweck geworden. Zugleich ist die Szene anschlussfähig an rechtsextrem-antimoderne Ideologie.

Death Metal

Eine ähnliche Diskrepanz besteht zwischen dem Death Metal und dem Black Metal, zwei provokanten Arten der Popmusik, bei denen die Übergänge mitunter unklar sind. Die demonstrative Atonalität verzerrter Gitarren und die krass eruptive, manische Rhythmik sind Ausdruck der Dialektik der instrumentellen Vernunft. Die bewusst dissonanten, mathematisch und konstruiert wirkenden Akkordab­folgen im klassischen Death Metal, die bisweilen sogar nach serieller Komposition klingen, illus­trieren das Primat der Technik in einer Gesellschaft, die sich auf Kapitalakkumulation gründet, die kein humanes Ziel verfolgen kann, da ihr der Weg zum Ziel geworden ist.

Seit den frühen Tagen der Band Celtic Frost wird im Death Metal vom atonal klingenden Tritonus-Intervall (das ironischerweise bereits der klassischen Musik als diabolus in musica ­bekannt und gemieden war) ausgiebig Gebrauch gemacht. Seltener und bloß kontrastierend kam die große Terz zum Einsatz, die als harter, trivialer Dur-Klang gleichsam die reine Affirmation als solche besonders forsch ausdrückt. Ebenso kann der pumpende Rhythmus als Ausdruck eines entmenschlichten, von der Akkumulation diktierten Zeittaktes gesehen werden. Meist rasend im wörtlichsten Sinne oder betont schleppend und somit einen ­Modus der Krise illustrierend, stets aber mit zwanghaftem Moment. Zum vollendeten ­musikalischen Formalismus trug schließlich auch der Grunz-, Gurgel-, Bell- oder Röchelgesang (»Growl«) bei.

Der Groove von gelungenem Death Metal hat zudem etwas grob Libidinöses: Hier groovt es nicht nur, sondern das Es groovt. All dies aber in so entfremdeter Form, dass man, mit ­etwas gutem Willen, ausgewähltem Death Metal mehrere gesellschaftskritische Aspekte zusprechen kann, nämlich eine, wenngleich notwendig vulgarisierte Kritik an der zum Wahn­sinn gewendeten Verselbständigung, am unkontrolliert rasenden Selbstlauf der kapitalistischen Rationalität und zugleich die Kritik an der Deforma­tion der beteiligten Subjekte, die den Selbstzweck exekutieren.

Death Metal entsteht zu einer Zeit, in der es nicht mehr, wie vielleicht noch in den zwanziger Jahren, bei Verstande möglich ist, sich positiv auf die maschinellen Produktivkräfte zu beziehen. Sie sind im Krieg der Produktivität vermittels ihrer kapita­­lis­tischen Form längst zu Destruktivkräften geworden. Hatte Walter ­Benjamin in den dreißiger Jahren gegen die faschistische Ästhetisierung der Politik eine Politisierung der Kunst gefordert, so ging der Grindcore, ­darin radikaler als jeder Politpunk, einen anderen Weg: den der Dele­gitimierung jeder Politik durch die De-Ästhetisierung der Gesellschaft.

Die zermürbend-erdrückende Vertonung der real existierenden Totalität im fortgeschrittenen Death Metal geht auf Einflüsse des linken Grind­core der späten achtziger Jahre zurück. Dieser hatte sich musikalisch und ­ästhetisch gegen den verbal-expliziten und stumpf-folkloristischen tradi­tionellen Punk und Hardcore gewandt (ähnlich wie dieser zuvor gegen sein Feindbild Hippie). Der Grindcore wollte nicht den objektiven Zynismus vor einer sentimental gestimmten musikalischen Kulisse anprangern, sondern ihn als Zynismus musikalisch dar- und bloßstellen. Das war keine spitzbübisch-poserhafte Provokation wie wir sie heute aus dem Pop kennen. Es war die Kritik durch Darstellung.

Doch inzwischen ist die radikale Gesellschaftskritik im musikalischen Ausdruck einer Art sportlichen Veranstaltung gewichen, bei der es allein darum geht, immer schneller zu spielen. Darin zeigt sich, dass auch in der Musik der Weg zum Ziel wird. In einem lichten Moment gestand Shane Embury, der Bassist und Songwriter der stilbildenden Band Napalm Death, er könne, wenn er nur wollte, jeden Gitarrenriff, jeden Taktwechsel dieser so streng formalisierten Musik erschöpfend analysieren.

Black Metal

Von dieser relativ distanzierten und anspielend-entlarvenden Art hat der Black Metal nichts mehr. Hier werden teils andere, teils dieselben Dinge zelebriert, aber eben nicht bloßgestellt. Noch hinter der unscheinbarsten Tonalität im Metal, der vorsichtigsten Verbindung von Härte mit Harmonie, lauert der Bombast, das Hymnische, Ideolo­gische, die Ästhetisierung der Gewalt. Man muss sich nicht erst den bekennenden NS-Black-Metal vorknöpfen, um bereits in der musikalischen Formsprache qualitative ­Unterschiede zu Death Metal und Grind­core zu finden. Diese besteht nicht mehr in einer ausschließlich atonalen Dynamik, sondern bringt immer wieder kitschig-­krude Schlachtengemälde in bombastischen Moll-Orgien hervor, wenn man so will: Richard Wagner mit anderen Mitteln.

Die Aggression ist nicht mehr die einer bösartigen Totalität gegenüber den Subjekten, sondern die eines autoritären Sadisten, der jetzt die Ich-Perspektive einnimmt. Obwohl er das entbehrlichste Instrument ist, lässt sich dieser Wechsel auch beim ­Gesang beobachten. Ist das Grunzen und Röcheln bei gutem Death Metal eher das abgeklärte Kommentieren des Geschehens des abgestumpften Subjekts, macht sich das zwanghafte Kreischen und Fauchen, wie es für den Black Metal charakteristisch ist, den Wahnsinn nur noch zu Eigen.

Die Neurose und manische Obsession des Black Metal ähnelt der des Death Metal. ­Allein die Perspektive ist verstellt; von der kritischen Opfer- oder auch nur Betrachterperspektive hin zur Identifikation mit dem Aggressor. Diese ist aber nicht nur böse (was gewollt ist), sondern auch ideologisch und dumm, denn die Gewalttätigkeit der Gesellschaft ist nicht mehr zu persona­li­sieren, sondern eine strukturelle. Alle ­dahingehenden Tendenzen im Black Metal sind insofern konsequent, als man sich ­ohnehin eine »nordische« Welt mit Herrschern, Schwertern, Ritualen, dunklem Wald und hartem Leben erträumt und nicht mehr fähig oder willens ist, zwischen solchen faschistischen Projektionen und der Realität zu unterscheiden, wie diverse ­Ritualmorde insbesondere in der skan­dinavischen Szene zeigen.

Geschichte

Nicht zuletzt auch in Reaktion auf die »geistig moralische Wende« der Ära Kohl, Thatcher und Reagan entwickelten sich Mitte der achtziger Jahre, in Abgrenzung zum gemächlichen Hardrock wie zum selbstgenügsam ge­wordenen Punk, Musik­richtungen wie Speed Metal und Hardcore. Beide spielten mit neuen Stilelementen, die den lässigen Rock als musikalische Grundlage kaum noch erkennen ließen. Sie mündeten in immer wüstere Sub­genres wie Grindcore, Thrash und Death Metal. Man könnte es Fans und Musikern als schrulliges Hinterwäldlertum auslegen, dass ihre Musik nun stakkatoartiger, neurotischer, eben ­mechanischer daherkam. Damit verkennt man aber eine entscheidende Qualität: Die besten Interpreten nahmen Metal beim Namen und wollten nicht nur in einem infantil-männlichen Sinne hart sein, sondern die erstarrte Verdinglichung hörbar machen.

Auch die Texte von Thrash-Bands der späten achtziger Jahre hatten an­dere Themen als der machistische Hardrock. Im schlechtesten Fall waren sie lächerlich und pseudowissen­schaftlich, im besseren Fall hilflose Versuche über Angst und Verding­lichung. In der zeitgenössischen Fachpresse kursierte dafür die Phrase »so­zialkritisch«. Wenn noch weit entfernt von tatsächlich materialistischer Kritik, war es weder die Affirmation der ­modernen Entwicklung noch der sen­timentale Protest von Hippies und ­rückwärtsgewandten Naturfreunden. Punk hingegen wollte vom Unter­bewusstsein nie etwas wissen und tendierte oft zum Maulheldentum. Kaum war der Kalte Krieg entschieden, wandelte sich der ideelle Gesamtmetaller zum hässlichen Spiegelbild der neuen Konflikte. Man braucht nicht lange zu rätseln, auf welche Seite (westliche Moderne oder reaktionäre Antimoderne) sich Bands mit Namen wie »Nordisches Blut«, »Waffenweihe« oder »Treblinka« gestellt haben.