Streitende Brüder, duldsame Völker

Der staatliche brasilianische Energiekonzern Petrobrás investiert auch in Bolivien. Und protestiert nun gegen die dortige Verstaatlichung des Energiesektors. von nicole tomasek

So schnell hatte Luiz Inácio Lula da Silva mit der Verwirklichung eines der zentralen Wahlversprechen von Evo Morales nicht gerechnet. Der Präsident Brasi­liens, den Morales als »großen Bruder, aber keinen Meister« bezeichnet hat, reagierte dennoch erstaunlich verständnisvoll auf den unerwarteten Streich des kleinen Bruders. »Es gibt keine Krise«, sondern »einen nötigen Ausgleich eines duldsamen Volkes«, das sein Recht auf »mehr Macht über den größten Reichtum, den es hat«, verteidigt, meinte Lula zur angekündigten Verstaatlichung des bolivanischen Ener­giesektors.

Beim brasilianischen Staatsunternehmen Petro­brás, das 1,5 Milliarden US-Dollar in die Öl- und Gasförderung in Bolivien investiert hat, sorgte die Besetzung seiner Anlagen durch bolivianische Soldaten dagegen für Unmut. Sein Vorsitzender, Ser­gio Gabrielli, bezeichnete die Verstaatlichung als »unfreundlich« und drohte die Einstellung aller Investitionen des Konzerns an.

Petrobrás, einer der 15 führenden Erdöl­konzerne, ist der größte ausländische Investor im bolivianischen Energiesektor. Vor drei Jahren wurde das 50jährige Jubiläum des Staatsunternehmens gefeiert, das in Brasilien als nationales Symbol gilt. Am 3. Oktober 1953 schuf Präsident Getúlio Vargas mit dem Gesetz 2 004 die Grundlage für das Monopol des Staates über den Erdölsektor. Damit reagierte er auf Proteste der Bevölkerung gegen den Versuch der Vorgängerregierung, die Ressourcen internationalen Unternehmen zu überlassen.

Die Schaffung eines bolivianischen Staatskonzerns wird heute von vielen Brasilianern als Gefährdung der eigenen Energieversorgung gesehen. Die Verstaatlichung sei ein »mit Souveränität verknüpfter Akt«, sagte Lula, er wehrte sich aber auch gegen den Versuch einer Nation, »ihre Souveränität anderen aufzudrücken«. Auf dem Gipfeltreffen am Donnerstag der vergangenen Woche mit Evo Morales, Hugo Chávez und Néstor Kirchner vermied er es, Morales zu kritisieren. Stattdessen will er »so demokratisch wie möglich« über den künftigen Gaspreis verhandeln.

Die Gasversorgung von Brasilien und Argentinien soll nicht unterbrochen werden. Bislang bezog Brasilien das bolivianische Erdgas zum Vorzugspreis von 3,18 Dollar per BTU (British Thermal Unit). Selbst die von Morales veranschlagte Preiserhöhung auf mindestens fünf Dollar läge immer noch unter dem internationalen Durchschnittspreis von sieben Dollar, und die brasilianische Wirtschaft ist an einem möglichst niedrigen Energiepreis interessiert.

Abgeordnete der liberalen Oppositionspartei PFL warfen Lula nach dem Treffen, das ihnen zufolge eher einer »Unterhaltung von Freunden« geähnelt habe, einen »klaren Verlust von Führung« und die mangelnde Vertretung nationaler Interessen vor. Der Parlamentsvorsitzende Ideli Salvatti von der regierenden PT hingegen sagte, es gehe vielmehr um »herzliche Beziehungen zwischen den lateinamerikanischen Ländern«.

Auf »herzliche Beziehungen« zum bolivianischen Erdgas ist Brasilien besonders angewiesen. Zwar deckt das Erdgas bisher weniger als neun Prozent des Energiebedarfs, die Nachfrage steigt aber stetig. Ungefähr die Hälfte des Erdgases muss importiert werden, und 95 Prozent der Importe kommen aus Bolivien. Im Jahr 1996 schloss Brasilien mit Bolivien einen Vertrag ab, mit dem es sich zur Abnahme einer bestimmten Menge bis ins Jahr 2019 verpflichtete. Lula räumte nun ein, dass es ein Fehler gewesen sei, sich von bolivianischen Erdgaslieferungen abhängig zu machen, neben der Suche nach neuen Lieferländern soll auch die Eigenproduktion erhöht werden. Dem kleinen Bruder will er aber noch eine Chance geben. Petrobras werde »als Unternehmen immer dort investieren, wo es eine Chance sieht, einen Gewinn aus seinen Investitionen zu ziehen«.