Vorwärts zum Rückzug

Israels neue Regierung von andré anchuelo

Zufrieden ist der bisherige Interimspremierminister Ehud Olmert mit der Zahl seiner Verbündeten noch nicht. Doch seit Donnerstag vergangener Woche hat Israel eine neue Regierung. Neben Olmerts zentristischer Kadima (Vorwärts) gehören die Arbeitspartei, die Rentnerpartei und die sephardisch-orthodoxe Shas der Koalition an. Kadima stellt mit Tsipi Livni auch die Außenministerin und mit Avraham Hirschson den Finanzminister. Von den wichtigsten Ressorts musste Kadima lediglich das Verteidigungsministerium an die Arbeitspartei abtreten. Den Posten übernimmt deren Vorsitzender Amir Peretz, der als ehemaliger Gewerkschaftschef zwar erfahren in Arbeitskämpfen, aber nicht in militärischen Auseinandersetzungen ist.

Olmert hat mit dieser Personalentscheidung eine israelische Tradition beendet und für heftige Diskussionen gesorgt. Dem murrenden bisherigen Amtsinhaber, dem ehemaligen Generalstabschef Shaul Mofas, wurde der Abstieg zum Verkehrsminister mit dem zusätzlichen Amt des stellvertretenden Premierministers versüßt. Insgesamt sitzen 25 Minister in Olmerts Kabinett, mehr als in jeder israelischen Regierung zuvor. Weitere könnten noch hinzukommen, wenn, wie allgemein erwartet, noch die ashkenasisch-orthodoxe Partei Ver­einigtes Thora-Judentum und möglicherweise auch die Linkspartei Meretz der Koalition beitreten.

Olmert möchte die bisher nicht allzu komfortable Mehrheit von 67 auf 78 der insgesamt 120 Knessetabgeordneten erweitern. Denn sein zentrales Projekt, der Rückzug aus kleineren und isolierten Siedlungen in der mehrheitlich von Palästinensern bewohnten Westbank und die damit einhergehende Ziehung endgültiger Staatsgrenzen, wird nicht von allen Verbündeten gut geheißen. Die Shas-Partei, immerhin der drittgrößte Koalitionspartner, hat dem Plan bislang nicht zugestimmt.

Und auch international ist der Plan umstritten. Nicht umsonst hat Olmert zugesagt, zunächst die Verhandlungsbereitschaft der Palästinenser weiter zu prüfen. Ende Mai wird möglicherweise ein Treffen mit dem Palästinenserpräsidenten Mahmoud Abbas stattfinden. Viel zu erwarten ist davon allerdings nicht. Denn trotz seiner im Vergleich zur Hamas moderaten Rhetorik hat seine Amtsführung auch vor Antritt der Hamas-Regierung deutlich gemacht, dass er weder willens noch in der Lage ist, die wichtigsten Forderungen Israels zu erfüllen. Weder hat er ernsthafte Anstrengungen unternommen, die Terrororganisationen zu entwaffnen, noch hat er die Medienhetze gegen Israel unterbunden.

Da mit der Hamas die größte Terrorgruppe selbst viele Machtpositionen besetzt hat, ist ein derartiges Vorgehen noch unwahrschein­licher geworden. Im Gegenteil, fast wöchentlich werden neue bewaffnete Einheiten gegründet, und um die meisten und verheerends­ten Anschläge liefern sich der Islamische Jihad und die Al-Aqsa-Märtyrerbrigaden der Fatah einen Wettbewerb. Die Hamas sieht dabei zu und applaudiert, wie etwa Mitte April, als ein Selbstmordanschlag in Tel Aviv neun Todes­opfer forderte und Vertreter der Hamas von »legitimer Selbstverteidigung« sprachen.

Tatsächlich scheint Olmert mit dem Treffen eher zu bezwecken, internationale Anerkennung für den Rückzugsplan zu gewinnen. Er hätte damit einmal mehr deutlich gemacht, dass Verhandlungen, zumindest derzeit, zu nichts führen und einseitige Maßnahmen die einzige Alternative darstellen. Insofern dürfte Olmerts Antrittsbesuch in Washington weitaus mehr Bedeutung zukommen als einem etwaigen Treffen mit Abbas.