Gute Chefs gesucht

Die Belegschaft der wirtschaftlich angeschlagenen französischen Boulevardzeitung France Soir befindet sich im Streik. Gegen die potenziellen Käufer geht sie gerichtlich vor. von bernhard schmid, paris

Der ehemalige Sportjournalist Olivier Rey und der Immobilienmakler Jean-Pierre Brunois haben die in ernsten wirtschaftlichen Schwierigkeiten steckende Boulevardzeitung France Soir aufgekauft. Am 12. April erhielten sie vom Handelsgericht in Lille den Zuschlag, nachdem der Vorsitzende des Gerichts die sonstigen vorliegenden Übernahmeangebote als unseriös eingestuft hatte. Von 112 Festangestellten der Zeitung und 20 »festen freien Mitarbeitern« wollen die beiden nur 51 übernehmen, unter ihnen keinen einzigen der bisherigen Beschäftigten aus dem Ressort Politik, aus dem Fotoarchiv und der Dokumentation.

Stattdessen soll es Sportberichte geben, Lotte­rien und Pferdewetten. Und vor allem »People-Journalismus«, also Klatsch und Tratsch über Pro­mi­nen­te. Montags soll es zudem eine Beilage zu Sport­themen geben, donnerstags eine Wellness-Beilage, freitags eine weitere zum Thema »Ban­lieue«. Vom Kulturteil soll nur noch eine große Fernsehseite übrig bleiben, denn Olivier Rey sagt: »Kultur? Ich weiß nicht, was das ist, ich bin Sportjournalist.« Aber selbst beim Thema Sport könnte es mehr um den Boulevard gehen, denn Rey meint: »Wir werden doch nicht ein Fußballspiel ins Blatt nehmen, um zu erzählen, dass Juninho in der 73. Minute einen Freistoß ins Tor bekommen hat. Das haben die Leute längst im Fernsehen verfolgt. Mich interessiert, in welche Disko die Spieler nach dem Match gegangen sind, und ob Juninho sich eine Nutte genommen hat.« Und weil’s so schön war, führt er bei anderer Gelegenheit aus: »Ich will wissen, wer Juninho einen geblasen hat.«

So tief ist France Soir gesunken. Am Ende des Zweiten Weltkriegs wurde die Zeitung von Leuten aus der Résistance gegründet und zunächst von Pierre Laza­reff geleitet, 1949 wurde sie verkauft. Anfang der sechziger Jahre erreichte sie eine Auflage von über einer Million verkaufter Exemplare und war eine große »volkstümliche« Zeitung: politisch eher rechts orientiert, verständlich geschrieben und tendenziell populistisch. Sie verzichtete aber auf plumpe Propaganda, wie sie die britische Boulevardpresse und die deutsche Bild-Zeitung betreiben.

Der Niedergang von France Soir setzte in den späten siebziger Jahren ein. Damals wurde ihr Erscheinen über mehrere Jahre hinweg wegen länger andauernder Streiks beeinträchtigt. Die Auflage sank zunächst auf rund 400 000 Stück. Später geriet das Blatt durch neue Kommunikationstechnologien wie das Internet, wo man sich ebenfalls schnelle Information »auf einen Blick« besorgen kann, und das Erscheinen von Gratiszeitungen wie 20 minutes in Auflagennöte. Vor zwei Jahren erreichte France Soir nur noch eine Auflage von 60 000 Exemplaren. Im Oktober vorigen Jahres kam auch noch ein heftiger Konflikt mit den Druckereien in Südfrankreich hinzu, so dass das Blatt dort nicht mehr ausgeliefert wurde. Monatelang wurden daher nur noch 35 000 Exemplare verkauft.

In den vergangenen Jahren wechselte France Soir mehrfach den Besitzer: Zunächst kaufte der italienische Pressekonzern Poligrafici das Blatt, 2004 wurde es an den ägyptisch-koptischen Geschäftsmann Raymond Lakah veräußert. Am 31. Oktober des vergangenen Jahres wurde das Konkursverfahren eröffnet. Ein neuer Übernehmer wurde verzweifelt gesucht.

Es fand sich auch zunächst jemand, doch er hatte auf ganz anderen Geschäftsfeldern Erfahrung. Arkadi Gaydamak war in Frankreich vor allem wegen seiner Verwicklung in einen illegalen Waffendeal aufgefallen, die im Jahr 2000 aufflog. Der Ge­schäfts­mann Pierre Falcone hatte damals in großen Mengen Waffen in das afrikanische Bürgerkriegsland Angola geliefert, wo er gleichzeitig einen Anteil an der Erdöl- und Diamantenproduktion erwarb. Gaydamak war sein wichtigster Mitarbeiter und besorgte die Waffen aus der ehemaligen Sowjetunion. In Frankreich wurde er wegen seiner Beteiligung an dem Waffendeal polizeilich gesucht und zudem zur größten Steuernachzahlung aufgefordert, die es je in der französischen Geschichte gegeben hat. Daraufhin flüchtete er nach Israel, dessen Staats­bürgerschaft er neben der Russlands, Kana­das und Angolas besitzt. Die israelische Justiz weigerte sich, ihn nach Frankreich auszuliefern. Doch später wollte Gaydamak sich dem Militärdienst entziehen und ging zurück nach Moskau.

Heute ist der Mann, dessen Privatvermögen auf eine Milliarde Euro geschätzt wird, unter anderem Besitzer der Nachrichtengesellschaft Moscow News. Diese bot sich zu Anfang dieses Jahres an, sechs Millionen Euro in France Soir zu investieren. Als einziger Übernahmekandidat versprach Gaydamak, der wegen der Verfahren gegen ihn nicht selbst nach Frankreich reisen kann, die Bewahrung aller Arbeitsplätze. Allerdings wollte er sich nur für ein Jahr festlegen. Dennoch hoffte die Mehrzahl der Beschäftigten bei France Soir auf ihn. Allerdings vergeblich, denn die Richter wollten die Bürgschaft einer russischen Bank nicht gelten lassen und forderten eine französische Bürgschaft, die Gaydamak nicht vorweisen kann.

Das Duo Rey und Brunois dagegen war der Belegschaft von Anfang an verhasst. Gleichzeitig sorgten ihre Sprüche für einen handfesten Skandal in der Öffentlichkeit. Rey hat sich Ende vorigen Jahres in der Redaktion mit den Worten angepriesen: »Ich bin Savoyarde, kein Jude. Ich bin kein Dieb.« Damit hatte er sich wohl mit dem denkbar schlimmsten aller Argumente gegenüber Gaydamak zu profilieren versucht. Seine Äußerungen wurden erstmals in der von den Beschäftigten gedruckten Streikzeitung France Soir – Résistance am 14. April veröffentlicht. Damit bekam das Plädoyer von Brunois einen mehr als ekligen Beigeschmack. Er hatte mit diesen Worten für sein Projekt geworben: »Man muss eine noble und notwendige Form von Populismus moralisch rehabilitieren.«

Seitdem sie in Eigenregie ihre »Notausgabe« vom 14. April herausgaben, befinden sich die Beschäftigten von France Soir im Streik. Ein Ende ist derzeit nicht absehbar. Eine Minderheit von »Arbeitswilligen« aus der Belegschaft, an die 20 Personen, glaubt man Rey, nur fünf nach Angaben der streikenden Redaktion, versuchte Ende April vorübergehend, die Streikposten zu überwinden und eine Ausgabe von France Soir in Druck zu geben. Sie konnte sich jedoch nicht durchsetzen. Daraufhin klagten die »Arbeitswilligen« lautstark, sie würden von der streikenden Mehrheit »als Geisel genommen«. Die Bezeichnung eines Streiks als Geisel­nahme war bisher bei jedem Streik in den öffentlichen Diensten auf der Titelseite von France Soir angeprangert worden.

Nun entscheidet ein Gericht in zwei­ter Instanz über die Berufung, die von der Mehrheit der Re­dak­tion gegen das Duo Rey und Brunois eingelegt worden ist. Wer wird sich am Schluss durchsetzen: der Waffenhändler oder der Antisemit?