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In Montenegro findet ein Referendum über die Unabhängigkeit von Serbien statt. Vor allem die Cliquen um den Machthaber Djukanovic sind an einem positiven Ausgang interessiert. von boris kanzleiter, belgrad

Wenn in Athen der alljährliche Eurovision Song Contest stattfindet, wird keine Band aus Serbien und Montenegro dabei sein. Zwar erfreut sich der Schlagerwettbewerb im ehemaligen Jugoslawien großer Beliebtheit. Aber als im März der nationale Ausscheidungswettbewerb stattfand, konnten sich Serben und Montenegriner nicht auf einen gemeinsamen Repräsentanten einigen. Alle montenegrinischen Jurymitglieder votierten nur für Bands aus ihrer Teilrepublik. Das Publikum in der Belgrader Konzerthalle Sava Centar reagierte mit entrüsteten Buhrufen. Alexandar Tijanic, Leiter der staatlichen serbisch-montenegrinischen Fernsehanstalt RTS, sagte daraufhin die Teilnahme am Song Contest am kommenden Samstag ab.

Der Verzicht war eine Geste der Ehrlichkeit. Denn tatsächlich existiert der Staatenbund aus den Republiken Serbien und Montenegro nur noch auf dem Papier. Seit Monaten sind die föderalen Institutionen blockiert. Die Regierung von Premierminister Milo Djukanovic in Montenegros Hauptstadt Podgorica konzentriert sich auf das bevorstehende Referendum, in dem über die vollständige staatliche Unabhängigkeit der 600 000 Einwohner zählenden Republik entschieden werden soll. Nach langen innen­politischen Kontroversen und der diplomatischen Intervention der Europäischen Union soll die Abstimmung am kommenden Sonntag stattfinden.

Hintergrund des Referendums ist vor allem das Machtinteresse der Gruppe um den Autokraten Djukanovic. Der erst 44­jährige ehemalige Funktionär des Bundes der Kommunisten ist seit dem Jahr 1991 in wechselnden Positionen der einflussreichste Politiker des verarmten Mon­tenegros. Während der Kriege bis zum Jahr 1998 hielt er dem serbischen Machthaber Slobodan Milosevic die Treue, seitdem propagiert er die Unabhängigkeit. Er wurde während der Kosovo-Krise 1999 bis zum Sturz von Milosevic im Oktober 2000 von der Europäischen Union und den USA unterstützt. In den vergangenen Jahren setzte die EU allerdings andere Schwerpunkte, um die territo­riale Zersplitterung auf dem Balkan zu verlang­samen. Djukanovic hofft durch die Unabhängigkeit der Republik, seine Regierungszeit zu verlängern.

Sein Werdegang ist ein Lehrbeispiel für die politische Ökonomie des Zerfalls von Jugoslawien. Ideo­logien kümmern ihn wenig. Während der Kriegszeit etablierte er ein System des Zigarettenschmuggels, das bis heute mehrere Milliarden Euro in die Taschen der polit-mafiösen Cliquen in der Republik spülte. Tonnen unversteuerter Zigaretten wurden jahrelang nach Montenegro importiert und dann über die Adria auf den Schwarzmarkt nach Italien exportiert. In staatsanwaltlichen Ermittlungsverfahren in Italien wurde der Mechanismus längst detailliert untersucht. Aufgrund seiner politischen Funktionen konnte Djukanovic aber nicht angetastet werden.

Das Hauptargument der Befürworter der Unabhängigkeit ist, dass Montenegro mit dem krisengeschüttelten Serbien als Ballast auf absehbare Zeit kaum in die EU gelangen dürfte. Das scheint realistisch. Die Mehrheitsverhältnisse sind dennoch nicht eindeutig. Um­fragen zufolge will nur eine knappe Mehrheit für die Unabhängigkeit stimmen. Ein großer Teil der Bevölkerung betrachtet sich dagegen als Serben. Dabei gibt es in Montenegro keinen ethnischen Konflikt. Serben wie Montenegriner sind orthodoxe Christen und sprechen dieselbe Sprache. Der Unterschied wird durch Loyalitäten zu klientelistischen Parteien und das Geschichtsbild bestimmt. Dieses lässt bei­de Möglichkeiten offen. Vor dem Ersten Weltkrieg war Montenegro ein unabhängiges Königreich. Im Jahr 1918 stimmte die Nationalversammlung für den Zusammenschluss mit Serbien.