Die Katze malt

Der Kunstraum Lakeside in Klagenfurt zeigt die Arbeit des Konzeptkünstlers Mario Navarro. von jens kastner

Die Farbe Rot hat in seiner Kindheit nicht existiert. Nachdem der Vater als Kommunist verhaftet worden war, tat die Familie alles, um nicht aufzufallen. Das konnte im Chile der siebziger Jahre eben auch die Verbannung einer Farbe aus dem Alltag bedeuten. Jetzt hat Mario Navarro die Fassade des Kunstraums Lakeside in Klagenfurt mit leichten Stoffen in verschiedenen Rottönen verhängt. Dass die flatternden Stoffbahnen Reminiszenzen an die Flaggen des Sozialismus sind, fällt dabei nicht unbedingt auf. Dementsprechend wenig provoziert fühlt sich bislang auch die in Klagenfurt sitzende Kärntner Landesregierung unter dem Rechtspopulisten Jörg Haider.

Dass rechten Politikern das Verständnis für die Kunst fehlt, hatten chilenische Künstlerinnen und Künstler schon in den siebziger Jahren erkannt und daraus eine Strategie entwickelt. So konnte beispielsweise die Künstlergruppe »Colectivo Ac­cio­nes de Arte« (Cada) auch unter der Diktatur Augusto Pinochets Kunst im öffentlichen Raum präsentieren, die für die Herrschenden kaum angreifbar war, weil sie ihnen unverständlich war. Erst später griffen sie Künstler zu expliziteren Mitteln: Zum zehnten Jahrestag des Militärputsches schmückte die Gruppe die Wände der Hauptstadt mit dem Slogan »NO +«. Das Plus-Zeichen wird im Spanischen als »más« ausgesprochen, was so viel bedeutet wie »mehr«, woraus sich dann die imperati­vische Form »Nicht mehr!«, »Stopp!« ergibt. Die Aktionen der Gruppe Cada wurden nicht nur in Kunstzirkeln diskutiert, sondern eroberten für einige Zeit tatsächlich den öffentlichen Raum. Dennoch waren die im kleinen Kreis geführten Debatten entscheidend für die Verbreitung kritischer Strategien in der Kunst, wie die Schriftstellerin und Mitbegründerin von Cada, Diamela Eltit, in einem Aufsatz betont. Zu diesem Kreis gehörte auch Eugenio Dittborn, bei dem Navarro studiert hat.

Im Inneren des behängten Klagenfurter Ausstellungsraumes hat Navarro fünfzig Stühle aufstellen lassen. Auf lateinamerikanische Kontexte bezieht sich die Arbeit weniger als auf partizipatorische Projekte, die spätestens seit den sechziger Jahren zum Standardrepertoire kritischer Kunst gehören. In seine derzeitige Arbeit wurden 50 Leute aus Klagenfurt einbezogen, u. a. Mitarbeiter des »Lakeside Science & Technology Parks«, in dem sich der Kunst­raum befindet, sowie Leute mit migran­tischem Hintergrund. Sie alle waren dazu aufgerufen, ihren Lieblingsstuhl für die Ausstellung zur Verfügung zu stellen. An den Sesseln oder Stühlen hängt jeweils ein Foto und ein Statement des Besitzers oder der Besitzerin. Gefragt waren sie alle, zum Begriff der »Kontrolle« Stellung zu beziehen.

Symbolisierte der Stuhl in der Kunstgeschichte immer wieder die Abwesenheit einer Person, bezieht sich Navarro eher auf seine kulturgeschichtliche Bedeutung und die Themen Eigentum und Herrschaft. Während die Mehrzahl der befragten Personen Kontrolle als Macht­technik ablehnte, erklärten einige Leute, darunter auffällig viele Angehörige von Minderheiten, wie notwendig kontrollierende Maßnahmen für die Durch­setzung von Rechten sind.

Mit dem Thema der Kontrolle knüpft Mario Navarro an eine andere Arbeit an. In der aktuellen Ausgabe der Wiener Kunstzeitschrift springerin findet sich eine Bildstrecke, die einem Projekt des Kybernetikers Stafford Beer gewidmet ist. Dieser hatte Anfang der siebziger Jahre im Auftrag des sozialistischen chilenischen Präsidenten Salvador Allende ein System zur besseren Kontrolle der Wirtschaft entwickelt. Nach seiner Definition von Kybernetik als »Wissenschaft der effektiven Organisation« wurden ökonomische Daten in ein rudimentär entwickeltes Com­putersystem eingespeist, um sie zentral zu steuern, aber Befugnisse zugleich de­zentralisieren zu können. In den zwei Jahren vom Beginn des Projektes bis zum Putsch unter General Augusto Pinochet am 11. September 1973 waren bereits 75 Prozent der nationalen Indus­trie erfasst.

Teil des Konzeptes war ein so genannter »decision room«, ein runder Raum mit mehreren Sesseln in einem Design, das der ersten Star-Trek-Staffel hätte entstammen können. Sozusagen über die Bestuhlung ergibt sich hier die Verbindung des Mikrobereiches von Kontrolle, die Navarro durch die persönlichen Kommentare der Leih­geber thematisiert, mit dem Makrobereich, der nationalen Wirtschaft, um die es der Regierung Allende ging. Wie jede modernistische Form war auch die der Sessel im »decision room« Ausdruck eines ganz bestimmten Versprechens: Eine bessere Zukunft wird kommen. Mit dem Hinweis darauf, dass neben einigen Konzernleitungen auch die gegenwärtige konservative Regierung Mexikos das Modell des »decision room« übernommen hat, macht Navarro nicht nur seine Skepsis gegenüber solchen Be­teuerungen deutlich. Auch der Vorstellung, eine bestimmte Form garantiere gewisse Inhalte, erteilt er eine Absage.

Seit 1993 fasst er verschiedene seiner Arbeiten unter dem Titel »The New ­Ideal Line« zusammen. Zurückgehend auf einen Cartoon, in dem eine Katze einen Strich malt, den ein Künstler anschließend aufgreift und zur »neuen idealen Linie« erklärt, kommentiert er aber nicht nur Allendes Regierungszeit mit Ironie. Zwar hält er es für eine Verklärung, den ehemaligen Präsidenten des großen Links­bündnisses Unidad Popular als Helden zu feiern, wie es in der lateinamerikanischen Linken immer noch häufig getan wird. Seine künstlerischen Mittel, die sich auf die subversiven Strategien aus den Zeiten der Diktatur beziehen, richten sich aber auch gegen die Modernitäts­versprechen im postdiktatorischen Chile. Die Ausstellung fügt sich also bestens in das Programm »Grenzen der Arbeit«, das die Kuratorin Hedwig Saxenhuber und der Kurator Christian Kravagna für den Kunstraum Lakeside entwickelt haben. Darin werden über ein halbes Jahr verteilt verschiedene künstlerische Positionen zur neoliberalen Umgestaltung des Sozialen vorgestellt.

Das Flattern der roten Stoffbahnen thematisiert die Flüchtigkeit der sozialistischen Utopien. Aber immerhin geht es noch um diese. In einem Landstrich, in dem mit dem Kärntner Abwehrbund eine der größten rechtsextremen Organisationen im deutschsprachigen Raum existiert und Landeshauptmann Haider die – als Minderheitenrecht verfassungsmäßig vorgesehene – Aufstellung zweisprachiger Ortstafeln verhindert, ist dies kein unbedeutender Inhalt. Navarro ist aber kein Propagandist. Auf die Frage, worum es in seinen Werken eigentlich geht, antwortet er kurz und bündig: Fra­gilität und Hoffnung.

Mario Navarro: The New Ideal Line. Klagenfurt. Bis 2. Juni 2006