Alle Menschen sind verwertbar

Das Antidiskriminierungsgesetz wird nicht vor Diskriminierung schützen. Es erfüllt lediglich Richtlinien der EU, die vor allem darauf abzielen, den europäischen Markt zu vereinheitlichen. von thomas uwer

Beginnen wir mit einem Klassiker: Das Verhältnis, in das die Menschen als Warenträger zueinander treten, ist gegründet auf der abstrakten Gleichheit menschlicher Arbeit. Wo die Ware Arbeitskraft zählt, da verschwinden übrige feine Unterschiede im Privaten. Oder anders gesagt: Dem Aktionär von VW kann es egal sein, ob in den Werkshallen Türken oder Deutsche stehen, solange sie billig Autos produzieren, oder ob diejenigen, die die Wagen kaufen, schwul sind oder heterosexuell, so lange sie bezahlen.

Nicht viel anders sieht dies zumindest die Europäische Kommission. Bereits zweimal wurde Deutschland seit Anfang des Jahres 2005 vom Europäischen Gerichtshof dazu verurteilt, Richtlinien der EU zum Schutz vor Diskriminierung auf dem Arbeitsmarkt, im privatrechtlichen Handel, in der Bildung und dem Sozialwesen in nationales Recht zu überführen. Im Gegensatz zur deutschen Wahrnehmung handelt es sich dabei keineswegs nur um regulative Eingriffe des Staates in die Vertragsfreiheit, sondern vielmehr um eine weitere Vereinheitlichung des europäischen Marktes.

Diskriminierung gilt im Jargon der EU als Behinderung des »freien Waren- und Dienstleistungsverkehrs«. Nur in Deutschland wird die Vertragsfreiheit als die Freiheit verstanden, darüber zu entscheiden, wer aufgrund seiner Herkunft, seiner Behinderung oder seines Geschlechts vom Markt ausgeschlossen wird. Die europäischen Vorschriften zielen also in erster Linie auf eine Marktöffnung für jene, die bis dato aufgrund von Kriterien ausgeschlossen blieben, die außerhalb wirtschaftlicher Erwägungen liegen. Formeller Schutz wiederum bleibt der Effizienz und der Verwertbarkeit unterworfen.

Konsequenterweise darf, wer sich einen effekti­veren rechtlichen Schutz gegen Diskriminierung erhoffte, angesichts des von der Bundesregierung vorgelegten Allgemeinen Gleichstellungsgesetzes, auch Antidiskriminierungsgesetz genannt, enttäuscht sein. Denn das Gesetz bietet keine Grundlage dafür, sexistische Arbeitgeber zu bestrafen oder die katholische Kirche zur Beschäftigung geschiedener Frauen zu zwingen. Und auch die Berliner Mutterkreuzträgerin, die ihre Hinterhofwohnungen nur an Deutsche vermietet, darf weiter unbehelligt für eine »sozial ausgewogene Zusammenstellung der Mieterschaft« sorgen. Beschränkt wurde der Schutz vor Diskriminierung auf Beschäftigungsverhältnisse und privatrechtliche so genannte Massengeschäfte.

Damit ist einerseits der gesamte private Lebensbereich ausgenommen. Wer also seinen gebrauchten Kleinwagen inseriert, aber nicht an einen Juden verkauft, ist nicht getroffen. Erfasst werden nur Geschäfte, die generell mit jedem abgeschlossen werden. Andererseits bleibt auch im Falle solcher Massengeschäfte die Möglichkeit einer »sachlich gerechtfertig­ten Unterscheidung«. Kann also eine Res­taurant­besit­zerin einem Behinderten den Service mit der Begrün­dung verwehren, er blockiere mit seinem Rollstuhl den Durchgang? Kann ein Taxifahrer in Brandenburg sich weigern, einen Schwarzen zu einem Volksfest zu transportieren, mit der Begründung, er setze sich selbst damit einer Gefährdung aus? Das wird die Rechtsprechung entscheiden. Wer sich an Urteile wie das des Oberlandesgerichts Köln aus dem Jahr 1998 erinnert, in dem Behinderten zu bestimmten Zeiten des Aufenthalt im Garten untersagt wurde, weil sich die Nachbarn durch ihre Geräusche gestört fühlten, ahnt, wie wenig die neue gesetzliche Regelung bringen wird.

Genau hier fängt allerdings Diskriminie­rung an und wird auch für den Bereich der Lohnarbeit relevant. Wenn ein Betrieb nun einmal keine behindertengerechten Arbeitsplätze einrichtet, so ist die Abweisung eines Bewerbers wegen seiner Behinderung eben »sachgerecht«. In Fällen rassistisch begründeter Ablehnung werden üblicherweise ohnedies andere Argumente vorgeschoben.

Diskriminierung spielt sich oft auf einer alltäglichen Ebene ab, die dem Betroffenen kaum Einzelklagen ermöglicht. Wie dieser Alltag aussieht, beschreibt die Antidiskriminierungsstelle Brandenburg: »Es ist keine Ausnahme, dass Migranten und Flüchtlinge in der Öffentlichkeit beleidigt und herabwürdigend behandelt werden, indem sie beispielsweise geduzt werden. Sie werden am Arbeitsplatz schikaniert und haben oft Schwierigkeiten, eine Wohnung oder Arbeit zu finden. Der freie Zugang zu Waren und Dienstleitungen bleibt ihnen oft verwehrt, und Einlassverweigerungen in Diskotheken und Gaststätten sind an der Tagesordnung.« Die noch im Entwurf der früheren rot-grünen Bundesregierung enthaltene Möglichkeit für Verbände, in solchen Fällen im Sinne der Betroffenen zivilrechtlich vorzugehen, wurde gestrichen.

So stellt das Allgemeine Gleichstellungsgesetz wenig mehr als die formelle Erfüllung des von der EU geforderten Minimums dar. Auch die Erweiterung auf die Merkmale Alter, sexuelle Identität und Religion bzw. Weltanschauung nennt lediglich, was in Artikel 13 des Vertrages zur Gründung der Euro­päischen Gemeinschaft, des EG-Vertrags, bereits festgelegt ist. Von der angeblich zu erwartenden Häufung von Prozessen kann schon von daher keine Rede sein. Vielmehr zeigt sich, dass auch das bisschen mehr Marktfreiheit, das die EU den Deutschen aufzwingen will, nur dann Wirkung entfalten kann, wenn es auch einen Markt gibt, der sich öffnen lässt.

In anderen Ländern, in denen die Gesetze gegen Diskriminierung mit einer affirmative action, der Integration Diskriminierter also, verbunden wurden, ist dies durchaus der Fall. Der disabilities act in den USA etwa zielt mit Maßnahmen wie der Einrichtung barrierefreier Arbeitsplätze unter anderem auch darauf, behinderte Menschen wirtschaftlich besser verwertbar zu machen.

Fast jedes hoch entwickelte kapitalistische Land verfügt mittlerweile über Antidiskriminierungsgesetze. Dass die deutsche Wirtschaft gegen derartige Maßnahmen protestiert und das Allgemeine Gleichstellungsgesetz als Staats­protektionismus ablehnt, gibt Auskunft darüber, wie wenig Profit und bürgerliche Gleichheitsideale notwendigerweise miteinander verknüpft sind. Mit der gesetzlichen Regelung, die wenig mehr formuliert, als dass Einstellungen nach den Qualifikationen der Bewerber zu erfolgen haben, würden »Neueinstellungen erschwert«, meint der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI). Das gilt natürlich nur dann, wenn man sich weigert, Behinderte, Nicht-Deutsche, Nicht-Weiße oder Nicht-Heterosexuelle einzustellen. Denn: »Das ist das Gegenteil von dem, was Deutschland braucht« – sagt Jürgen Thumann, der Präsident des BDI. Damit meint er das Gesetz, nicht die Leute.