Flucht nach Amerika

Die Feministin und Islamkritikerin Hirsi Ali verlässt die Niederlande. Dort wollte man ihr die Staatsbürgerschaft entziehen. von udo wolter

Ayaan Hirsi Ali, niederländische Abgeordnete und Kritikerin des Islam, verkündete am Dienstag vergangener Woche, sie werde die Niederlande verlassen und in die USA gehen. Ihr Weggang ist nicht nur ein herber Verlust für eman­zi­pierte Migrantinnen, die gegen alle Formen von Zwangsgemeinschaft und sexueller Unterdrückung kämpfen. An ihr zeigen sich der Widersinn europäischer Migrations- und Asylpolitik und die Widersprüche in der Debatte um Integration und Multikulturalismus.

Hirsi Ali kam mit der Ankündigung ihres Wegganges einer möglichen Aberkennung ihrer Staatsbürgerschaft zuvor. Diese hatte ihre Parteikollegin von der rechtsliberalen Volkspartei für Freiheit und Demokratie (VVD), die Einwanderungsministerin Rita Verdonk, initiiert, da Hirsi Ali bei ihrem Asylantrag falsche Angaben gemacht hat. Bereits vor einigen Monaten war diese zudem von Nachbarn, die sich offenbar von den Sicherheitsmaßnahmen vor ihrem Haus gestört und wegen der Anwesenheit der von Islamisten bedrohten Parlamentarierin bedroht fühlten, aus ihrer Wohnung geklagt worden.

Hirsi Ali ist im Jahr 1997 in Holland eingebürgert worden. Im Alter von 23 Jahren hätte die gebürtige Somalierin mit einem kanadischen Cousin verheiratet werden sollen. Über Deutschland floh sie daraufhin in die Niederlande, wo sie im Jahr 1992 Asyl beantragte. Sie veränderte ihren Namen »Hirsi Magan« und verschwieg, dass sie nach ihrer Ausreise aus Somalia bereits jahrelang in Kenia gelebt hatte. Sie gab allerdings bereits im Jahr 2002 öffentlich zu, ihren Asylantrag gefälscht zu haben, um einer Zwangsheirat zu entgehen. Hätte sie die Wahrheit gesagt, wäre sie sofort nach Deutschland und von dort vermutlich direkt in das »sichere Drittland« Kenia abgeschoben worden, da sie für sich keinen Status als Bürgerkriegsflüchtling hätte reklamieren können.

Dieses Schicksal teilt sie mit Tausenden von Migranten in Europa, die aus ganz ähnlichen Gründen mit falschen Angaben Asyl beantragen. Etwa mit einer irakischen Familie, die 1992 in ihrem in Holland gestellten Asylantrag einen falschen Namen genannt hatte, um ihre im Irak verbliebenen Verwandten nicht zu gefährden. Die ebenfalls seit 1997 eingebürgerte Familie wurde, nachdem dies kürzlich bekannt geworden war, in den Irak zurückgeschickt. Die Geschichte hätte sich aber auch in jedem anderen europäischen Land abspielen können, wie das Beispiel der Familie Aydin in Berlin zeigt. (Jungle World, 9/06)

Dass Hirsi Ali vortäuschte, ein Bürgerkriegsflücht­ling zu sein, hat auch mit der fehlenden Anerkennung von geschlechtsspezifischen Fluchtgründen wie Zwangsehen zu tun. Darüber schreibt sie in ihrem Buch »Ich klage«. Sie hat der Partei von Einwanderungsministerin Verdonk bereits im Jahr 2002 die Details ihrer Flucht offenbart, als sie ein Abgeordnetenmandat der VVD übernahm. Für Verdonk, die in Fragen der Zuwanderung als kompromisslos bekannt ist, spielte das damals keine Rolle. Nun aber war die Geschichte in einer Fernsehsendung erneut Thema. Verwandte traten auf und erklärten, dass Hirsi Alis Heirat keineswegs unter Zwang erfolgt sei und sie entgegen ihren eigenen Angaben auch selbst an ihrer Hochzeit teilgenommen habe. Ein Bruder nahm diese Behauptung allerdings inzwischen zurück. Doch selbst ohne diese Unstimmigkeiten bleibt die Frage, was von solchen Aussagen, die von Familien­angehörigen vorgetragen werden, die nach dieser »Tradition« leben, zu halten ist.

Rechte Politiker wie Hilbrand Nawijn, der ehemalige Einwanderungsminister und Parteifreund des ermordeten Rechtspopulisten Pim Fortuyn, aber auch einige Mitglieder der VVD forderten umgehend den Entzug der Staatsbürgerschaft für Hirsi Ali. Daraufhin stellte auch Verdonk die Staatsbürgerschaft von Hirsi Ali in Frage, denn »Regeln sind Regeln«, meinte sie. Offenbar wollte sie sich damit im Kampf um die Spitzenkandidatur der VVD in den 2007 bevorstehenden Parlamentswahlen Vorteile verschaffen.

Nach überwältigenden öffentlichen Reaktionen zugunsten von Hirsi Ali und einer hitzigen Parlamentsdebatte veränderte sich die Stimmung allerdings binnen weniger Tage wieder. Verdonk sah sich heftiger Kritik selbst aus der eigenen Partei ausgesetzt, und ihre Umfragewerte sanken dramatisch. Schließlich wurde sie vom Ministerpräsiden­ten Jan Peter Balkenende persönlich aufgefordert, nach Wegen zu suchen, um Hirsi Ali die Staatsbürgerschaft zu erhalten.

Das absurd anmutende Hin und Her wirft ein bezeichnendes Licht auf die wi­der­sprüch­liche Rolle von Hirsi Ali. Mit ­ihrer scharfen Kritik am Islam eckte sie selbst in der VVD an, und ihre Ansichten zur Asyl- und Einwanderungspolitik waren vielen zu liberal. Sie tritt für so genannte Wirtschaftsflüchtlinge ein und forderte ein Aufenthaltsrecht für sie. Erst kürzlich setzte sie sich für eine junge Frau aus dem Kosovo ein, die kurz vor dem Abitur wegen falscher Angaben bei der Einbürgerung ausgewiesen wurde.

Mit Hirsi Ali richtete sich in den vorigen Wochen das Ressentiment gegen eine intellektuelle Migrantin, die weder das duldsame unterdrückte Opfer spielen noch die angepasste Vorzeigemigrantin geben wollte, die es allen recht zu machen versucht, den Etablierten genauso wie antirassistischen Linken und der eigenen »Community«. Stattdessen störte sie mit ihrem kämpferischen Feminismus die Beschwichtigungsversuche linker Multikulturalisten in Sachen Islamismus genauso wie sie der rassistischen Rechten letztlich ein Ärgernis blieb. Die Linken beschuldigten sie der »Islamophobie« und der Kollaboration mit den Rassisten, diese wiederum nutzten die Chance, an der aufmüpfigen »schwarzen« Frau ein ordnungspolitisches Exempel zu statuieren.

Der Sekretär des niederländischen Contactorgaan Moslims en Overheid, Nasr Joemman, freute sich in der vorigen Woche: »Ich feiere die Tatsache, dass sie die Niederlande verlässt. Ich hoffe, nach ihrer Abreise können wir damit fortfahren, eine harmonische Gesellschaft aufzubauen.« Mit ähn­licher Häme warf Ulrike Hermann in der taz Ayaan Hirsi Ali hinterher, sie sei die »Frau der weißen Männer« und die »Necla Kelek der Niederlande« gewesen, die »nicht den realen Islam beschrieb, sondern ihre Fiktion für die Einwanderungsbehörde«. Der mit Hirsi Ali befreundete Publizist Leon de Winter dagegen schrieb in seinem Web­log von einem »traurigen, traurigen Tag für Holland«, nachdem sie ihren Weggang verkündet hatte.

Das ist er gewiss, jedoch nicht nur für Holland. Der Fall Hirsi Ali zeigt exemplarisch, wie Europa mit Migranten umgeht: Etwa wie die Union nicht nur Armutsflüchtlinge mit allen Mitteln fernhält, sondern auch noch brilliante Köpfe hinausekelt, die gegen alle Zumutungen der Mehrheitsgesellschaft und auch ihrer eigenen »Community« ihren Weg gehen und sich unbequem politisch äußern. Immer wieder fordert die EU, die Migranten sollten die Bereitschaft zur Bildung zeigen und sich integrieren, um dann die in diesem Sinne Integrier­ten wegen früherer Notlügen bei Asylanträgen oder bei der Einbürgerung wieder hinauszuwerfen.

Der Fall Hirsi Ali gereicht schließlich auch allen jenen zur Schande, die ständig von den Rechten von Migrantinnen und Migranten reden, aber Migrantinnen fallen lassen, wenn sie diese Rechte auch entgegen den Vorstellungen der identitären Zwangsgemeinschaft des Islam und der eigenen Familie in Anspruch nehmen.